Tamara Hinz
Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es denn nicht?
JESAJA 43,18 - 19
Bibbernd stehe ich in der Frühlingskälte. Dicke Jacke, eiskalte Finger und eiskalte Füße. Aber ich habe beschlossen, dass heute der erste Tag im Jahr für Gartenarbeit ist. Tapfer bewaffne ich mich mit allerlei Gerätschaften, die mir nötig erscheinen, um Totes, dem Frost Anheimgefallenes abzuschneiden und das Unkraut auszurupfen, das sofort mit den ersten, wärmenden Sonnenstrahlen aufgebrochen ist. Ich jäte und hacke mir die Seele aus dem Leib, da sehe ich ein kleines, noch ganz dunkles, fast erdfarbenes Blatt aus dem Boden hervorsprossen. Winzig, kaum wahrnehmbar. Es gehört zu einer Pflanze, die ich im Herbst neu gesetzt hatte und die durch die Wintermonate hindurch gänzlich verschwunden gewesen war. Ich hatte sie schon vergessen oder war davon ausgegangen, dass der lange Frost in diesem Winter sie dahingerafft hatte. Gerade noch rechtzeitig sehe ich das Pflänzlein, bevor meine Hacke niedersaust und ihm gänzlich den Garaus macht. Just in diesem Moment fällt mir obiger Bibelvers ein. Und wie so oft wird mir eine Alltagssituation zum Lehrmeister, durch den Gott spricht.
Manchmal ist das Neue, das Gott schafft, ein Bravourstück, das plötzlich unübersehbar da ist und alles andere in den Schatten stellt. Aber oft genug ist es ein kleines, zartes Pflänzchen, das sich vorsichtig ans Licht schiebt und meines Schutzes bedarf. Wie oft reiße ich es in meinem Arbeitseifer einfach aus oder trampele es unachtsam nieder! Oder es passt mir nicht in den Kram: Meine schöne, vertraute Gartenordnung wird durcheinandergebracht. Was da wächst, ist mir zu groß, zu klein, zu unscheinbar oder zu raumgreifend.
Manchmal ist es aber auch anders. Da sehne ich mich nach dem Neuen, nach Veränderung, und finde sie nicht. Dann tippt Jesus mir auf die Schulter und flüstert mir zu: »Guck mal, da ist doch schon etwas, schau mal genau hin, erkennst du es denn nicht?« Wie immer macht er mir Mut, auch die kleinen, zögerlichen Anfänge zu achten …
In dieser Woche will ich gut aufmerken, ob etwas Neues in mir wächst. Das mögen ein ganz neuer, fremder Gedanke, ein mir bis dahin unbekanntes Gefühl oder noch nie da gewesene Wünsche oder Sehnsüchte sein. Wenn ich mir noch nicht sicher bin, ob dieses Neue von Gott in mein Leben hineingelegt wurde oder sich vielleicht doch als Unkraut entpuppt, will ich es dennoch achtsam behandeln und nicht mit Füßen treten. Auch nicht mit frommen Füßen. Erst einmal darf es sein. Erst einmal darf ich es angstfrei wahrnehmen. Darf es beobachten, darf es wachsen lassen. Ohne es direkt als »gut« oder »schlecht« zu bewerten. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich klarer sehe – möglicherweise werde ich dann auch manches behutsam entfernen müssen.
In dieser Woche will ich das Neue, das von Gott kommt, nähren und schützen. Womit könnte ich es nähren? Welche Menschen, welche Bücher, welche Bilder, welche Musik könnten ihm Nahrung geben? Vor wem muss ich es schützen? Wer würde dieses Neue vielleicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, weil es ihm zu bedrohlich erscheint? Was tut diesem neuen Pflänzchen gut, was schadet ihm? Ich will es mit liebevoller Aufmerksamkeit beobachten.
Zum Thema Wenn Neues wächstfinde ich in der Bibel folgende Texte: Jesaja 42,5 - 9; Jeremia 4,3; Matthäus 9,16 - 17; Matthäus 13,24 - 30; Markus 4,1 - 20;Apostelgeschichte 10,9 - 23; Epheser 4,22 - 24.
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
GALATER 6,2
Heute feiern wir in der Gemeinde Abendmahl. Wir stellen uns in kleinen Gruppen zusammen und teilen unter uns das Brot und den Wein. Leise Musik läuft im Hintergrund und untermalt das feine Gemurmel – Worte der Ermutigung und Verheißungen, die wir uns gegenseitig zusprechen. Selten empfinde ich die Gemeinschaft und unsere Zusammengehörigkeit so stark wie beim Abendmahl. Bei aller Unterschiedlichkeit stehen wir füreinander ein, gehören zusammen, sind ein Leib. Als ich mich umsehe, bleibt mein Blick an einer Frau hängen, die sich nicht zu einem dieser Kreise gestellt hat, sondern an ihrem Platz sitzen geblieben ist. Ich weiß auch, warum. Sie lebt, wie man in frommen Kreisen zu sagen pflegt, in Sünde. Leidet selbst daran, kämpft, kann nicht loslassen. Hinkt auf beiden Seiten und geht daran kaputt. Will vertrauen und schafft es nicht. Weiß, dass die Wege, die sie geht, nicht gut sind, aber verlässt sie trotzdem nicht. Deshalb ist sie sitzen geblieben und nicht zum Abendmahl gekommen. Mit versteinertem Gesicht und Tränen in den Augen sitzt sie da. Ausgeschlossen, allein, ohne Worte der Ermutigung und der Verheißung. Mir zerreißt es schier das Herz. Wenn jemand hier in diesem Raum ein Stück von Jesus braucht, dann sie. Ohne weiter zu überlegen, nehme ich das größte Stück Brot, das ich finden kann, vom Teller und reiße es entzwei. Während alle anderen in tiefer Andacht versunken sind oder fröhlich ihr Brot vor sich hinmümmeln, husche ich schnell zu ihr hinüber, reiche ihr das Stück Brot und flüstere ihr zu: »Hier, ich geb dir was von meinem Brot ab – das reicht für uns beide.« Kurz nehme ich sie in den Arm, genauso kurz wiege ich sie einen Moment hin und her, bevor ich wieder auf meinen Platz zurückkehre.
Wenn sie schon der Vergebung nicht glauben kann, dann soll sie meinen Glauben an die Vergebung haben. Wenn sie schon die Freiheit im Moment nicht ergreifen kann, dann soll sie meine Freiheit haben. Wenn sie schon nicht vertrauen kann, dann gebe ich ihr von meinem Vertrauen ab. Wenn sie im Moment nicht die Kraft zu Gehorsam und Konsequenz findet, dann soll Jesus eben meinen Gehorsam nehmen.
Ich gebe ihr, was sie nicht hat, und hoffe, dass es für uns beide reicht. Für einen Moment bleibe ich andächtig und mit gesenkten Augen stehen. Dann wage ich aber doch einen vorsichtigen Blick in Richtung Jesus. Er sieht etwas verwirrt aus (kein Wunder, das Ganze ging ja auch so was von schnell), dann guckt er etwas ungläubig, und um seine Mundwinkel beginnt es verräterisch zu zucken. Ich glaube, wenn wir jetzt nicht im Gottesdienst wären, würden wir beide in schallendes Gelächter ausbrechen …
In dieser Woche will ich darauf achten, ob es Menschen in meinem Umfeld und in meiner Gemeinschaft gibt, die ich mit meinem Glauben und mit meinem Gebet unterstützen kann. Ich will ihnen abgeben von dem, was ich empfangen habe, und ihnen zur Verfügung stellen, was sie im Moment nicht zur Verfügung haben. Vielleicht hilft ihnen das über eine Durststrecke hinweg.
Vielleicht bin ich aber im Moment auch selbst der Bedürftige, der von jemand anders in der Gemeinschaft mitversorgt werden muss. Dann will ich Scheu und Scham ablegen, mich mitteilen und dankbar annehmen, dass jemand anders seinen Glauben und seine Beziehung zu Jesus mit mir teilt und sich schützend vor mich stellt. So lange, bis ich wieder auf eigenen Füßen stehen kann.
Zum Thema Füreinander einstehenfinde ich in der Bibel folgende Texte: 2. Mose 17,8 - 13; Psalm 133; Sprüche 17,17; Römer 15,1 - 3; 2. Korinther 8,13 - 14; Galater 6,2; Hebräer 13,16.
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie, denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr bittet.
MATTHÄUS 6,7 - 8
Du vollkommene, schützende Macht im Himmel, bergend, sorgend, Dich kümmernd, stark. Du bist für mich besonders, kostbar und einzigartig. Ich wünsche mir, dass all das Gute, Vollkommene und Heilbringende von Dir sich umsetzt und verwirklicht in meinem Leben und in meinem Umfeld. Bei Dir und in Deinem Reich ist es schon da. Hier bei mir möchte ich noch manches wachsen sehen.
Читать дальше