»Herr Wilhelm, Herr Wilhelm«, beginnt Mie in ihrer herben flämischen Sprache, von der Wilhelm immer nur Wörter erraten kann, die dem Plattdeutschen ähnlich sind, aber nie alles versteht. Sie stellt die Kerze auf den Nachttisch, lüftet das dumpfe Federbett, macht ihm neue Wadenwickel und wischt ihm den Schweiß von der Stirn.
Gestern haben sie einen richtigen Arzt ins Haus geholt. Die eigenen Bartscherer-Mittel schienen ihnen nicht mehr zu reichen. Der spitzbärtige Mann hat ihn abgehorcht, beklopft und befühlt und am Ende bedächtig genickt, als habe sich seine schlimmste Befürchtung bestätigt. Wilhelm hat das Erschrecken von den Gesichtern seiner Wirtsleute gelesen. Typhus.
Von dieser Krankheit stehen viele nicht wieder auf. Noch ist er nicht einmal 21 Jahre alt. War das denn schon alles? Als er am Morgen aufwacht, sitzt Mie neben seinem Bett, schon wieder oder immer noch, er weiß es nicht. Manchmal werden die Feuerräder vor seinen Augen kleiner und manchmal verschwinden sie ganz. Dann blinzelt er zu ihr hinüber und findet ihre lächelnd gütigen Augen. Ach Mie, denkt er. Wie gut ist es, die Nähe eines Menschen zu spüren. Es braucht keine Worte. Es braucht überhaupt keine Worte.
Alles wirklich Wichtige ist mit Worten ohnehin nicht zu sagen. Was er sagen wollte, wollte er in Bildern sagen. In der »Muttersprache der Kunst«. Bilder, die er in sich geahnt hat, denen er nachspüren wollte sein Leben lang. Und nun hat er sie gesehen, mit eigenen Augen gesehen. Das, liebe, verständige Mie, das ist das Schönste und Schrecklichste zugleich, was deine Stadt, was Antwerpen für mich bereitgehalten hat: die Bilder. Zwei-, fast dreihundert Jahre sind sie alt. Peter Paul Rubens hat sie gemalt, Adriaen Brouwer, David Teniers und der unvergleichliche Frans Hals.
Alles, was er sagen wollte, ist mit diesen Bildern gesagt. So wie er es nie fertig bringen wird. Stümperei und Geschmier alles im Vergleich zu den großen Niederländern. Und kein akademisches Malenlernen wird ihn je dahin bringen, den alten Meistern auch nur das Wasser zu reichen.
Ach Mie, denkt er, wie gut ist es, zusammen schweigen zu können.
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