Na, bei dem Stress nicht verwunderlich, denke ich, beiße mir aber auf die Zunge.
Ende Mai bin ich wieder dort und werde durch eine Schar schreiender Kinder in die Küche gelotst. Auch die geschiedene Schwiegertochter ist anwesend. Ich spreche ihnen mein Beileid aus und das ist durchaus ernst gemeint. Ich leide mit, denn bei der jetzt entstandenen verworrenen Erbsituation wird es eine Weile dauern, bis wir alle Angaben und Belege für eine Grundbucheintragung des neu zu vermessenden Hofes haben werden.
Der Verstorbene und seine geschiedene Ehefrau stehen bis jetzt als Eigentümer im Grundbuch. Die Übertragung des großen Bauernhofs auf diese beiden haben die Eltern vor Jahren veranlasst, damit die jungen Leute einen Ausbaukredit bekommen. Eine Grundstücksteilung zu diesem Zweck war nicht möglich. Es sind eben unvermessene Hofräume. Leider haben es die Eltern versäumt, sich wenigstens ein lebenslanges Wohnrecht eintragen zu lassen.
Der Verstorbene war vor Jahren zu seiner Freundin gezogen. Die Ehefrau blieb bei ihren Schwiegereltern wohnen. Eine Tochter ist 27 Jahre alt und lebt mit zwei Kindern und dem im September zu erwartenden dritten mit auf dem Hof. Eine weitere Tochter ist erst 22 Jahre alt, hat aber bereits vier Kinder und lebt auswärts.
Alle sind aber oft und gern da, zumal die alte Frau seit Jahren für die gesamte Sippe nicht nur kocht, sondern meist auch zahlt. Sie sagt, „die haben doch alle nichts“. Keiner habe jemals gearbeitet, nur sie und ihr Mann in der Braunkohle bis zur Rente. Die Rente ist üppig, sie leben gut davon. Zweimal waren sie von der Knappschaft aus schon zur Kur, einmal sogar vier Wochen lang im höchsten Luxus, in Heringsdorf.
„Wissen Sie, wie das manchmal nervt mit den vielen Kindern?“, fragt sie mich. „Und wir haben alles bezahlt, wir bezahlen das Öl für die Heizung, den Strom, das Wasser und Abwasser. Und am liebsten wollen sie uns loswerden, wir sollten schon eine Mietwohnung im Ort nehmen. Jetzt ist der Freund der einen Enkeltochter mit hier, sie erwarten im September ein Kind. Der Freund ist ja zu ihr ganz nett, der vorige hat sie nur verprügelt. Aber die machen sich breit, jetzt züchten sie in unserer Scheune Karnickel und sonst sitzen sie den ganzen Tag im Hof und trinken Bier. Und Arbeit hat der Freund auch nicht. Die Ausbildung macht er wohl irgendwie fertig, obwohl er erst mal durch die Prüfung gefallen ist, aber danach sieht es düster aus.“
Als ich im Juni noch einmal vor Ort auftauche, werde ich schon auf der Straße empfangen: „Ach, hören Sie auf“, sagt die Frau. „Der Erbschein ist da, die Schwiegertochter und ihre Kinder bekommen alles. Und das hat alles einmal uns gehört, stellen Sie sich das mal vor. Wir werden uns jetzt eine Wohnung suchen, das hält man nicht mehr aus. Ich musste ihr ja sogar den Erbschein bezahlen, 170 Euro, die hat ja nichts.“
oder: Was Sie schon immer über Kleidercontainer wissen wollten…
Die junge Frau am Telefon wirkt locker und voller Tatendrang. Als ich sie am Montagmorgen in ihrem Büro aufsuche, erlebe ich eine Art „Unternehmerin des Jahres“. Zumindest stelle ich mir genau das darunter vor. Sie ist knapp fünfzig und sprüht vor Tatendrang. Das steht an diesem Tag im krassen Gegensatz zu mir. Ich bin aber irgendwie entschuldigt, es ist schließlich mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub.
Als Bauingenieure haben sie und ihr Mann nach der Wende eine eigene Firma gegründet und viel Geld verdient, sich ein Anwesen errichtet, ein weiteres als Vermietobjekt erworben.
„Und dann war plötzlich Schluss. Über fünfzig Beschäftigte hatte das Unternehmen in seiner Blütezeit. Aber es begann das, was Ende der Neunziger überall passierte. Die Kunden begannen zu tricksen, zahlten nicht mehr oder verspätet. Der Betrieb war nicht mehr zu halten. Zum richtigen Zeitpunkt kam die Flut. So makaber das klingt, aber in unserem Fall hat uns das die Existenz gesichert.“ Der Bürgermeister bat sie seinerzeit, ihren nunmehr freien großen Lagerplatz innerhalb des Betriebsgeländes als Spendensammelplatz zur Verfügung zu stellen. „Als alle versorgt waren, lagen etwa noch 50 Prozent der gesammelten Spenden, insbesondere Kleiderspenden auf dem Hof. Sämtliche potenzielle Abnehmer wie Rotes Kreuz, Kinderheime u. ä. waren versorgt. Da meinte unser Steuerberater, das genau sei die Geschäftsidee. Wir knüpften Kontakte zu Exportfirmen und tatsächlich kam der Betrieb wieder ins Laufen. Wir beschäftigen heute fünf Angestellte und stellen Altkleidersammelcontainer in der Region auf. Städte sind besonders wichtig, da die Leute auf dem Land ihre Sachen solange tragen, bis sie auseinander fallen. Das trifft besonders auf Schuhe zu. In der Stadt dagegen laufen viele Büroangestellte herum, die ihre Schuhe auch schon mal nach einem viertel Jahr in die Container werfen. Und das rechnet sich dann, denn verkauft wird nur, was in Ordnung ist und im Ausland auch wieder Absatz findet.“
Die Firma ist nun auf ihren Namen zugelassen und sie managt das Büro. Ihr Mann dagegen ist nur noch auf Reisen. „Wir verkaufen bis nach Pakistan und all die Länder dort. Große Firmen leisten sich ein Management allein für die Transportabwicklung. Das ist zwar eigentlich nötig, da alle Nasen lang Frachtpapiere oder gleich ganze Container wegkommen, aber als kleine Firma können wir uns das nicht leisten. Deshalb fährt mein Mann viel durch die Gegend, um vor Ort den Absatz zu sichern und selbst zu kontrollieren.“
Also, alles läuft bestens, sie haben viel zu tun und verdienen auch wieder ordentlich Geld.
„Wissen Sie“, sagt sie zu mir, „am liebsten wäre ich eine einfache Angestellte. Sie glauben gar nicht, wie man sich im eigenen Betrieb selbst ausbeutet. Das würde man keinem Angestellten zumuten. Es gibt praktisch keine freie Zeit, nicht abends und nicht am Wochenende. Alles dreht sich nur ums Geschäft, auch die Themen mit dem eigenen Mann erschöpfen sich letztlich damit. Vor der Wende hätte ich mir nie vorstellen können, ohne meinen Mann in den Urlaub zu fahren. Seit wir das Geschäft haben, geht es gar nicht anders. Einer muss immer da sein. Wir haben das auch anders probiert. Da ist jedoch zu viel auf der Strecke geblieben. Und es gibt nichts Schlimmeres, als wenn sie einmal einen Kunden verprellt haben. Also fährt jeder für sich. Man erholt sich tatsächlich, auch vom Partner, der ja Kollege, Chef und Revisor in einer Person ist. Aber, ob ich mich noch einmal für diesen Weg entscheiden würde, möchte ich stark bezweifeln.“
Beide haben sich 2003 ein kleines heruntergekommenes Anwesen von einer weit verstreuten Erbengemeinschaft gekauft. Seither stecken sie so manchen Euro in die Instandsetzung: „Wir wollen gänzlich ohne Kredit auskommen, etwas Dach und einige Fenster haben wir schon erneuert, ansonsten sieht man dem Haus von außen noch nicht viel Neues an, aber innen geht’s schon.“
Das Haus liegt ausgangs einer gefährlichen Kurve und in eine Ecke ist vergangenes Jahr ein Auto gefahren. Der Riss und das Loch in der Lehmwand sind noch nicht verputzt. Die beiden haben einen siebenjährigen Sohn und beklagen, dass er in diesem Dorf keine Freunde findet. „Es gibt zu wenige Kinder. Manchmal holen wir aus dem Nachbardorf welche zum Spielen, die kennt er aus dem Kindergarten. Bald kommt ein Geschwisterchen zur Welt, in einigen Wochen ist es soweit.“
Zwei Hunde tollen in dem herrlich unaufgeräumten Anwesen herum und freuen sich ihres Lebens. Im Hof stehen eine alte Karosse eines VW-Golf, ein VW-Bus und ein schöner komfortabler Wohnwagen. „Den haben wir beide uns kürzlich für wenige Tausend Euro gebraucht gekauft, ein Schnäppchen sozusagen.“
Alle Fahrzeuge werden für das Hobby gebraucht. Ein Hobby?
„Nein, das Haus ist nicht unser Hobby, das Hobby heißt Crashcar und da besuchen wir drei bis vier Veranstaltungen pro Jahr. Mehr schafft man schon wegen des Reparierens nicht.“
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