»Die Union repräsentierte bislang die Menschheit, die führende Spezies des Planeten Erde. Bis jetzt hat sich das Volk der Tloxi ihr angeschlossen. Ein solcher Beitritt ist eine der Möglichkeiten, die wir uns vorstellen könnten, um unserem gemeinsamen Willen, die Galaxis in Frieden zu gestalten, Ausdruck zu verleihen und ihr einen institutionellen Rahmen zu geben. Selbstverständlich sind auch andere Formen der Zusammenarbeit möglich.«
Ganze Delegationen sprangen von ihren Sitzen auf.
»Wir wollen keine Zusammenarbeit!«, riefen sie.
Manche schrien in Uniertem Englisch auf Salana ein, andere bedienten sich der Übersetzungsautomatik, aus deren Kanälen eine undurchdringliche Kakophonie auf den Hohen Repräsentanten einprasselte.
»Wir wollen Entschädigung! Wir verlangen Restitution und Rehabilitation! Freiheit und Selbstbestimmung! Keine Einmischung in unsere Angelegenheiten! Das ist kultureller Imperialismus!«
Salana trat einen Schritt zurück. Im holografischen Livestream, der an die Stirnwand projiziert wurde, sah man, dass seine Hände zitterten. Jorn Rankveil, der sich dicht hinter ihm gehalten hatte, fasste ihn an der Schulter und flüsterte ihm ins Ohr:
»Gehen Sie nicht darauf ein. Lassen Sie sich nicht provozieren. Die warten nur darauf, dass ein falsches Wort ihnen den Vorwand gibt, die Sache hinzuschmeißen …«
Salana nickte und ging wieder ans Pult.
»Das alles wird zur Sprache kommen«, sagte er. »Heute geht es darum, uns gegenseitig unseres Vertrauens zu versichern. Wir alle sind Bürger dieser Galaxis. Dutzende hoch entwickelter und dabei höchst unterschiedlicher Völker, Rassen, Spezies und Kulturen. Wir werden hier den Grundstein für ein friedliches Miteinander legen. Dieser Kongress wird die Basis für das Erblühen unserer gemeinsamen Heimat schaffen und die Gründungsfeier einer neuen, Tausende von Welten überwölbenden Zivilisation sein.«
Es wurde ruhiger. Man schien abwarten zu wollen, welche Angriffsflächen Salana bot. In den Wohnmodulen und auf den Schiffen draußen im Parkraum arbeiteten schon jetzt Hunderte von Anwälten und Referenten, Persönlichen Beauftragten und Völkerrechtlern, die die Rede im Livestream verfolgten, an ihren Eingaben, die sie in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten den Kommissionen und Ausschüssen vorlegen würden, an Protestnoten und Petitionen, an Forderungen und Anträgen.
»Ich biete«, schloss Salana, »ich biete allen, die anderer Ansicht sind, den offenen und unvoreingenommenen Dialog an. Und ich begrüße alle, die bereit sind, an der gemeinsamen Aufgabe mitzuarbeiten. Ich erkläre den Ersten Galaktischen Kongress für eröffnet! Lassen Sie uns in Frieden beginnen!«
Noch während seine letzten Worte durch den Saal hallten, brach der Tumult wie eine Flutwelle über ihm zusammen. Die Unionsvertreter spendeten demonstrativ Applaus. Ebenso die Tloxi und einige andere der wohlwollenden Delegationen. Sie waren in der Minderheit. An der Rampe zogen Soldaten des Wachdienstes auf, um zu verhindern, dass die Zthronmic die Tribüne stürmten. Salana und sein Stab wurden unter Sicherheitsvorkehrungen hinausgebracht.
Sowie die Bühne leer war, beruhigte sich auch das Parkett. Die Delegierten verließen das Plenum. Auf den Zwischengängen kamen sie mit ihren Beratern zusammen, die der Rede in ihren Besprechungszimmern gefolgt waren. Sie begannen, den Auftakt des Kongresses zu analysieren und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Vereinzelt kam es zu delegationsübergreifenden Kontakten. Die Gruppen, die lose zu Flügeln oder Fraktionen zusammengehört hatten, knüpften erste konkrete Gespräche an, um ihre Strategien für die Verhandlungen zu koordinieren. So sah man auf einem der Gänge einen Vertreter der Amish, der bemüht war, die Abordnung des Prana-Bindu-Ordens, die auf der Beobachtertribüne Platz genommen hatte, ins Gespräch zu ziehen. Offenbar war hier der Gedanke treibend, dass man die Mönche zum Beitritt ins Plenum bewegen wollte, um den Block der Neutralen zu stärken.
Auf der anderen Seite steckten einige Zthronmic mit den Abgeordneten der Laya die Köpfe zusammen. Sie hatten schon auf der Ebene der Störmanöver und Zwischenrufe eine gemeinsame Partei gebildet. Jetzt legten sie den Grundstein für die Zusammenarbeit in der Gruppe jener, die sich als Nachlassverwalter der Sineser zu verstehen schienen. Als die beiden anmutigen Vertreter der kuLau vorüberschwebten, wurden auch sie von ihnen angesprochen. Es war auf den ersten Blick klar, dass die filigranen pflanzenhaften Wesen und die raubtierartigen Zthronmic nie etwas anderes als eine Zweckgemeinschaft würden bilden können. Dennoch mussten sie einander aufgefallen sein, weil ihre Reaktionen auf Salanas Rede synchron gegangen waren. Vielleicht hatten sie auch im Vorfeld schon miteinander Bekanntschaft gemacht. Die Forderung nach Entschädigung für die zerstörten Heiligtümer wurde von ihnen gemeinsam unterstützt.
Begleitet von zwei Tloxi schwebte das Wasserbecken G.R.O.M.s aus dem Saal. Ihm folgte ein Wesen, das wie eine spindelförmige Wolke aus Rauch oder Dampf wirkte, die in intensiven Rot- und Grüntönen gebändert war. Es sah aus wie ein Gasplanet, den man in die Länge gezogen und dabei auf die Maße eines übergewichtigen Menschen verkleinert hatte. Vor seiner »Brust« war mittels eines berührungslosen Generatorfeldes eine Übersetzungseinheit angebracht. Ihre Aktivitätsanzeige wies darauf hin, dass das sonderbare Lichtwesen sich angeregt mit G.R.O.M. zu unterhalten schien, auch wenn die Szene in völlige Stille getaucht blieb.
Jennifer setzte ihren japanischen Bambus-Seide-Drink ab und fuhr die Lehne ihres gravimetrischen Liegestuhls bis zum Anschlag zurück. Dann streckte sie ihre endlosen Beine aus und machte es sich bequem. Ich hatte mir, gegen ihren Protest, eine Qatzigarette angesteckt, deren wohltuendes Aroma ich in tiefen Zügen inhalierte. Reynolds drehte eines der elektronischen Bauteile, an denen er beständig herumzubasteln pflegte, in den Händen. Sein Blick war in sich gekehrt. Jennifer studierte angelegentlich die Decke des kleinen Raumes.
Wir hatten die Übertragung von Salanas Rede zur Eröffnung des Kongresses im Livestream verfolgt. Da wir keine Delegierten waren, waren wir nicht für das Plenum zugelassen. Rogers hatte in Aussicht gestellt, uns für einige der Ausschüsse und Fachgruppensitzungen kooptieren zu lassen. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich Wert darauf legte. Wir waren Wissenschaftsoffiziere, Mitglieder der fliegenden Crew und Kommandanten. Was ging dieses Politikergeschwätz uns an? Eigentlich waren wir nur als militärische Eskorte hier, als Chauffeure, und um dem ganzen Auftritt einen gewissen Pomp zu verleihen. Die Anwesenheit der MARQUIS DE LAPLACE, die draußen im Parkraum schwebte, war ein Argument von nicht zu unterschätzender Schlagkraft. Gerade in den anstehenden Geheimverhandlungen, den Vieraugengesprächen, den Sitzungen hinter verschlossenen Türen und den Gremien, von deren Existenz kein Protokoll jemals etwas verraten würde.
Nicht ohne Genugtuung hatte ich zur Kenntnis genommen, dass die MARQUIS DE LAPLACE das mit Abstand mächtigste Schiff war, das über der Rotationsebene des Torus lag. Die Kreuzer, Zerstörer oder Frachtschiffe, mit den die anderen Delegationen angereist waren, konnten ihr nicht das Wasser reichen. Und es war immer noch das Schiff, das die Schlacht von Persephone für sich entschieden und das Sina den Todesstoß versetzt hatte. Seine Feuerkraft hatte, soviel wir wussten, in der Galaxis nicht ihresgleichen, seit wir Sina ausgeschaltet hatten. Das musste auch den anderen Abordnungen klar sein. Und es beruhigte mich umso mehr, als mir Salanas Rede ein wenig unterwürfig und leisetreterisch erschienen war. Sollten wir uns dafür entschuldigen, dass wir uns zur Wehr gesetzt und das Sinesische Imperium in den Rinnstein der Geschichte getreten hatten?
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