Matthias Falke - Opak

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'Okay, was ist es?'
'Wir wissen nicht sehr viel darüber.'
'Ich vermute, das ist der Grund, weshalb wir es uns ansehen sollen. Also?'
'Eigentlich wissen wir – überhaupt nichts.'
'Ihr geht davon aus, dass es existiert.'
'Es scheint da etwas zu sein.'
'Das Dasein ist zweifelhaft?'
'Wir haben Daten, nach denen es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bewegt.'
'Oha, es bewegt sich also!'
'. und Ihr Befehl lautet, die Beobachtungen aus der Nähe durchzuführen, die aufgrund der Beschaffenheit des Objektes von hier aus nicht möglich sind.'
'Da ist dann wohl nichts zu machen.'
'Herzlichen Dank für Ihre konstruktive Mitarbeit, Commander Carlssen.'
'Wie heißt es?'
'Es hat eine Routine-Nummer, die Sie dem Marschbefehl entnehmen werden. Intern nennen wir es das ›OPAK‹.'
Die sechs Erzählungen dieses Bandes zeigen Matthias Falke als Autor beklemmender Zukunftsvisionen.
Die Texte sind düster bis dystopisch, sie halten der Menschheit einen pessimistischen Spiegel vor. Die Eroberung des Weltraums geht einher mit Krieg und Diktatur bis hin zur Gefahr der Selbstauslöschung.
Manche Erzählungen spielen in Falkes ENTHYMESIS-Universum, andere stehen für sich. Ihnen allen ist der schonungslose Blick auf unsere Spezies und das Verhängnis, das sie sich zu gerne selbst bereitet, gemein.

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Matthias Falke

O P A K

© 2015 Begedia Verlag

© 2007-2010 Matthias Falke

Umschlagbild Alexander Preuss

ISBN: 978-3-95777-048-6

Besuchen Sie uns im Web:

http://verlag.begedia.de

Opak

»Okay, was ist es?«

»Wir wissen nicht sehr viel darüber.«

»Ich vermute, das ist der Grund, weshalb wir es uns ansehen sollen; also: Was ist es? Ein Asteroid?«

»Eigentlich wissen wir – überhaupt nichts …«

»Ihr geht doch davon aus, dass es existiert.«

»Es scheint da etwas zu sein.«

»Das bloße Dasein ist zweifelhaft?«

»Wir haben Daten, nach denen es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bewegt …«

»Oha! Bewegen tut es sich auch noch.«

»… und Ihr Befehl lautet, aus unmittelbarer Nähe die Beobachtungen durchzuführen, die aufgrund der Beschaffenheit des Objektes von hier aus oder aus dem Erdorbit nicht möglich sind.«

»Da ist dann wohl nichts zu machen.«

»Herzlichen Dank für Ihre konstruktive Mitarbeit, Carlssen.«

»Wie heißt es?«

»Es hat eine Routinenummer, die Sie dem Marschbefehl, der auf Ihr Logbuch überspielt wird, entnehmen können; intern nennen wir es: ›Opak‹.«

Als wir unseren Marschbefehl erhielten, den Oberst Tyrone uns im Auftrag der Zentralen Überwachungsstation auf Luna III übermittelte, befand sich die Leibniz in einem stationären Uranusorbit innerhalb der Umlaufbahn von Miranda. Das Schiff war erst wenige Wochen zuvor von Sirius II, dem entferntesten bemannten Außenposten jener Zeit, zurückgekehrt und wurde nach der interstellaren Reise überholt. Eigentlich hatten wir uns ein paar Tage Erholung verdient und freuten uns darauf, den während der Expedition gesammelten Sonderurlaub abzufeiern. Jedenfalls hofften wir, die Sache in einigen Wochen hinter uns zu bringen. Silesio, wie immer bemüht, die Not zur Tugend umzudefinieren, versuchte, uns das Unternehmen dadurch schmackhaft zu machen, dass er uns einredete, es würde bestimmt noch ein paar Sonderprämien an Freizeit geben und dann vielleicht für einen Abstecher zu den Vergnügungskuppeln von Luna reichen.

Es war 6:30 Uhr Bordzeit, als die Dorset von der Leibniz – in deren Großem Drohnendeck sie auf Werft gelegen hatte – abkoppelte und sich einige hundert Kilometer auf den nächtlichen Planeten zurückfallen ließ. Von der Schwerkraft des blauschwarzen Gasriesen dem Sonnenaufgang entgegengeschleudert, der in arktischer Lautlosigkeit vor den Panoramafenstern gefror, gaben wir viereinhalb Minuten vollen Schub aus dem Photonentriebwerk und beschleunigten mit Richtung auf das innere Sonnensystem. In einem weiteren Swing-by an Oberon erhöhten wir unsere Reisegeschwindigkeit auf knapp 1 ‰ c . Uranus sank in violette Unsichtbarkeit zurück und der Funkverkehr mit der Leibniz wurde abgehackter und gleichgültiger.

»Ich würde euch gerne mehr erzählen. Ich kann euch jedoch versichern, dass keine interne Informationssperre vorliegt, aber unser Wissen ist gegenwärtig außerordentlich gering. Ich bekomme stündliche Updates, die die vorliegenden Daten zu bestätigen scheinen. Substanziell breiter wird unsere Informationsbasis allerdings nicht.«

»Vollführ kein Geschwätz, sondern sag uns, was Sache ist und warum wir hier rumhängen, während die anderen wochenlang blau machen und im Mutterschiff unter der Höhensonne liegen?«

»Das ist kein Geschwätz, Gus, sondern eine Einleitung.«

Theresa erntete einen beleidigten Blick Evchen Groenewolds, die ihre blauen Augen schmatzend von Gus ablöste. Die Erste Offizierin zog das rechte Knie an, stützte ihr schönes Kinn darauf und sah wieder nach vorne.

»Mach weiter, Darling!«

»Vielen Dank. Das Objekt, das unsere Freunde, die Witzbolde von der Planetarischen, ›Das Opak‹ getauft haben, damit wir uns alle etwas darunter vorstellen können, wurde vor einigen Wochen gesichtet. Es befand sich damals auf Höhe der Saturnbahn. ›Gesichtet‹ ist natürlich nicht ganz richtig, wie der Name auszudrücken bemüht ist.«

»Opak heißt: nicht leuchtend.« Silesio kam einer erneuten Heftigkeit Gus’ gelassen zuvor. »Es scheint sich um ein lichtschwaches Objekt zu handeln, das weder eigene Helligkeit emittiert noch externe Strahlung reflektiert.«

»Genau genommen ist es nicht nur lichtschwach, sondern tatsächlich unsichtbar. Es ist bislang nicht gelungen, eine Aufnahme im optischen oder einem anderen Spektrum herzustellen. Auch einer zufällig vorbeifliegenden Drohne war es nicht möglich, das Opak zu fotografieren oder sonstige Informationen über seine Beschaffenheit zu gewinnen. Das war der Anlass, uns – mitten aus dem wohlverdienten Urlaub heraus, Gus, du hast recht, aber ich bin sicher, dass dir jeder Tag doppelt vergütet wird – zu aktivieren.«

»Und woher wissen wir dann überhaupt, dass es da ist?«

Der Bordingenieur spürte Groenewolds himmelnde Augen auf sich.

»Es verdeckt manchmal das Licht einzelner Sterne, vor denen es vorbeizieht. Das ist auch der Grund, weshalb es so spät geortet wurde. Für gewöhnlich werden Kometen oder Asteroiden weit jenseits der Neptunbahn erfasst. Nur die extrem ungünstigen Eigenschaften dieses Objekts ermöglichtem ihm, so weit unerkannt in unser System einzudringen.«

»Warum manchmal?« Silesio hatte den Bart in die Faust gestützt und sah den Commander aus hängenden Augen an. »Warum verdeckt es die Sterne nur manchmal?«

»Nach den ersten Einzelbeobachtungen wurde versucht, die singulären Daten miteinander zu verknüpfen und in einer Theorie zu vereinigen, das heißt, ein Objekt zu definieren, das für sämtliche Durchgänge verantwortlich sein könnte. Dies ist nicht gelungen. Die Vorhersagen, sowohl was die Größe, also das Feld der Abdeckungen, als auch was die Geschwindigkeit, also die Bewegung der Abdeckungen betrifft, ließen sich nur partiell verifizieren. Man entwarf Hilfshypothesen und ging zeitweise von mehreren Objekten aus, doch führte auch das nicht zu befriedigenden Ergebnissen, die die Vorhersagen und Messungen miteinander in Einklang hätten bringen können. Erst als man die einzelnen Daten statistisch miteinander verrechnete und ein virtuelles Durchschnittsobjekt auf einer hypothetischen Durchschnittsbahn erstellte, stimmte es. Einigermaßen.«

»Das heißt?« Gus reagierte lustlos auf Evchens stachelnde Miene.

Silesio nahm einen Zug an seinem Zigarillo und versuchte es an Stelle Carlssens, der erschöpft zu seiner Ersten Offizierin hinüberblinzelte.

»Wir haben es mit einem Objekt zu tun, das nicht der klassischen Physik nach Newton zuzuschreiben ist, sondern nur in einem quantentheoretischen Rahmen beschrieben werden kann. Wie wir die Elektronenwolke eines beliebigen Atoms nicht stationär, sondern nur als statistische Verteilung erfassen können oder wie ein Photon, das einen paradoxen Doppelcharakter als Welle und Teilchen besitzt, so scheint auch das Opak keinen gegebenen Aufenthaltsort zu haben, sondern nur über eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu verfügen, wann es sich wo befinden wird.«

Er hatte sich direkt an Gus gewandt, dessen binärer Technikerverstand mit seinem grobklotzigen Entweder-oder ihn langweilte; jetzt richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Commander.

»Wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es sich um ein Artefakt handelt?«

Carlssen, der einen Schluck von Theresas Kaffee genommen hatte, erhob sich von der Tischkante.

»Das ist eine von mehreren Möglichkeiten, wenn auch eine eher unwahrscheinliche. Jedenfalls unterliegt unser Auftrag den strengsten Sicherheitsvorschriften und der höchsten Geheimhaltungsstufe.«

Ein tiefblaues Schweigen des Commanders unterstrich den letzten Satz.

»Wenn keine Fragen mehr sind, komme ich zum äußeren Ablauf der Expedition.«

Gus warf sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die bulligen Arme vor der Brust, blieb aber stumm. Groenewold wandte sich enttäuscht ab.

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