Matthias Falke
Explorer ENTHYMESIS
Frühe Abenteuer
© 2012 Begedia Verlag
© 2007 Matthias Falke
Umschlagbild – Alexander Preuss
Covergestaltung und Satz – Begedia Verlag
Lektorat – Michael K. Iwoleit
ISBN-13 – 978-3-95777-026-4 (epub)
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Die ENTHYMESIS-Universum
Eine Science-Fiction-Saga in sieben Trilogien
1. Laertes
2. Exploration
- Explorer Enthymesis
- Ruinenwelt
- Der actinidische Götze
3. Gaugamela
4. Zthronmic
5. Tloxi
6. Jin-Xing
7. Rongphu
Inhalt
Das Schlangennest
Amygdala – Der Spiegelnebel
Das Eis von Thule
Der Planet Lento
Gefrorene Lava
Die Anderen
Das Schlangennest
Ich hatte das Abdockmanöver von Hand durchgeführt, denn ich genoss es immer noch, in jugendlicher Begeisterung die ENTHYMESIS eigenhändig vom Mutterschiff abzukoppeln, das träge im Orbit trieb und dessen 18 km langer Titan-Korpus von Sonden und Reparatur-Robotern umschwärmt wurde, und dann langsam herumzuschwenken, bis Lu-Au, der blaue Planet, in den kristallinen Frontscheiben erschien. In schwerem Ultramarin lag er vor dem Samtbeschlag des Weltraums, im kalten Licht einer fernen Sonne – die Entfernung entsprach diejenigen vom Uranus zur Erdsonne –, deren Aufgang eben das polare Hochplateau in ädrigem Lapislazuli funkeln ließ. Der Planet, dem diese Expedition gewidmet war – weil auf ihm enorme Buntmetallvorräte vermutet wurden –, hatte mehrfachen Erdumfang. Da er aber fast ganz aus leichten Silikaten bestand, seine spezifische Dichte also viel geringer war, würde die Gravitation die unseres Heimatplaneten nur geringfügig übersteigen. In der kompletten Ausrüstung und mit dem Equipment auf den Schultern würden wir uns fühlen wie daheim bei einem Waldspaziergang.
Ich tauschte die üblichen Floskeln mit der Brücke, über die wir gerade hinwegrollten, und brachte uns dann auf eine ballistische Flugbahn, die uns seitlich unter der MARQUIS DE LAPLACE hindurchtauchen ließ und uns in neunzig Minuten auf die Oberfläche bringen würde. Dann übergab ich an die automatische Steuerung und entspannte mich beim Anblick des azurblauen Panoramas.
Bald füllte die blau schimmernde Wüste das gesamte Gesichtsfeld aus, und man konnte einzelne Gebirgszüge unterscheiden, obwohl wir noch mehrere tausend Kilometer hoch waren und kaum die äußere Atmosphäre berührten. Mächtige Nordlichter stroboskopten über dem Pol, der gerade hinter den Horizont gekippt war, und ließen die Heftigkeit der magnetischen Störungen der Ionosphäre erahnen, die eine direkte Landung jenseits der Polarkreise unmöglich machte. Wir gingen auf einhundertsechzig Kilometer hinunter und schwebten mit reduzierter Geschwindigkeit nordwärts, über eine geröllbesäte Fläche porösen Gesteins, das, von schroffen Schluchten und grandiosen Faltengebirgen durchzogen, in unermesslicher Erstreckung dalag. Alles in ein intensives Blau getaucht.
»Wie das tibetische Hochland«, murmelte ich vor mich hin, »das jemand mit Unmengen Enzian vollgepinselt hat.«
»Du Träumer«, kam es von drüben, »kannst du dich niemals von deinen terrestrischen Assoziationen lösen?«
»Wenn ich wie du auf Luna III geboren wäre, würde’s mir auch leichter fallen. Warst du überhaupt mal – daheim?«
»Ein paar Monate zur Schulung in St. Petersburg.«
»Russland?«
»Nee, Florida. Fand ich ziemlich nichtssagend. Die eigentliche Ausbildung habe ich auf dem Mars gemacht. Schönes Camp am Mt. Olympus. Und die Abschlussexamina, wie du vielleicht weißt, auf der Akademie der Union in Pensacola. Aber such uns lieber mal ne vernünftige Landestelle.«
»Schon gebucht. Bei 80° Nord, 28° Ost reicht ein Canyon ziemlich weit hoch, da können wir bis dicht unter’s Plateau rangehen.« Dann hakte ich doch nochmal nach. »Woran erinnert’s dich denn hier?«
»Pluto. Die Trainingsstrecke zwischen Pluto II und III ging über die Große Depression. Da sah’s so ähnlich aus. Nur noch dunkler.«
In diesem Augenblick flogen wir unter einigen Gebirgsmassiven dahin. Auch das ist einer der Momente, die niemals ihre Faszination verlieren. Wenn ein neuer Himmelskörper, der erst als Scheibe, später als Kugel vor einem im Raum gehangen hat, sich plötzlich als dreidimensionale Landschaft um einen zusammenschließt, wenn aus dem mathematischen Punkt der Positionshologramme konkrete Wirklichkeit wird. Ich zog die Steuerbrille über, mit der ich durch den Blick, den ich auf einen möglichen Landeplatz konzentriere und der kernspintomographisch abgelesen wird, die ENTHYMESIS ausrichten kann.
Wir strebten durch eine Schlucht aus grünlichem Bauxit auf den Abhang des polaren Plateaus zu, als ich auf einer seitlichen Talsenke eine breite Terrasse entdeckte, die ich auf dem virtuellen Schirm fixierte. Gleichzeitig spürte ich, wie das Schiff leise herumkrängte.
»Fahrgestell ausfahren!«, befahl ich. »Abdämpfen auf 0,1g!«
Eine Minute lang verharrten wir einhundert Meter hoch über dem flachen Oxidboden, während die Röntgen-Scanner das Gelände auf unterirdische Hohlräume abtasteten. Dann setzten wir auf.
Es dauerte ein paar Stunden, bis wir alle Einzelheiten mit der MARQUIS DE LAPLACE abgecheckt hatten und die Instrumente der ENTHYMESIS die nähere Umgebung auf alle möglichen und unmöglichen, physikalischen und chemischen Phänomene durchleuchtet hatten – biologische waren nicht zu erwarten. Dann aktivierten wir das automatische Logbuch und stiegen aus. Dass ich der erste Mensch war, der Lu-Au betrat, beeindruckte mich nicht sonderlich. Tausende von Explorationsrobotern hatten in den vergangenen zehn Wochen seine endlosen Wüsten durchwühlt, Millionen von Bodenproben analysiert und die Datenspeicher der MARQUIS DE LAPLACE mit Milliarden Terabyte an Information gefüllt. Ich verzichtete daher auf die üblichen albern-tiefsinnigen Sprüche und marschierte nach einem kurzen Blick auf das Navigationsarmband gleich in nördlicher Richtung los.
Wir trugen jeder 50 kg Ausrüstung, aber dank der Gravitationsdämpfer in den Rucksäcken ging es sich ganz angenehm. Vage Erinnerungen an terrestrische Expeditionen stiegen in mir auf, an den Mt. Vinson etwa, den ich nach dem Examen bestiegen hatte und wo wir ähnlich vermummt gewesen waren. Über flache Geröllhänge stiegen wir seitlich an, hoch über dem Talboden, dessen Sohle hier drei Kilometer tief eingeschnitten war. Aufgrund des dreidimensionalen Kartenbildes, das ich in meinen Helm projizieren konnte, wich ich nach zwei Stunden in ein Seitental aus, das nach Nordosten abzweigte und in einem Winkel von 30° von der Hauptschlucht abzweigte, die sich allmählich verengte und bald ungangbar sein würde. Der Canyon nahm einen immer stärkeren Fjord-Charakter an, die Wände wurden senkrecht, der Boden war trogförmig ausgehobelt. Ich nahm direkte Verbindung mit dem Mutterschiff auf, ließ mich in die Exo-Geologische Abteilung durchstellen und sie online auf meine Helmkamera gehen.
»Wenn das kein Zeichen von Vergletscherung ist, weiß ich nicht, was das Wort bedeutet. Bei der Beschaffenheit der hiesigen Mineralien und der ungefähren Geschwindigkeit der Erosion würde ich folgende Hypothese aufstellen. Vom Pol bis auf 80° Grad hinunter eine Kappe aus Eis und gefrorenem Kohlendioxid (eventuell Helium und Methan – wie sind hier die Wintertemperaturen?). Mindestens drei Kilometer mächtig, und am Rand in Talgletscher von zwei Kilometern Dicke und gut einhundert km Länge abfließend. Das ganze verschwindet vor zehntausend Jahren. Habt ihr das im Protokoll?«
»Logisch«, kam es aus dem Helm, »wie auch nicht? Wird eh alles mitgeplottet, was ihr da unten treibt. Und wo ist das ganze Zeug hin?«
»Jetzt bin ich keine sechs Stunden hier und soll schon letztgültige Erklärungen abgeben! Weiß ich doch nicht. Verdunstet vielleicht ...«
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