Kurz danach sahen wir die Abordnung der Laya, auf deren idyllischer und krimineller Heimatwelt Sin Pur wir unsere Flitterwochen verbracht hatten; leider waren sie nicht ungestört geblieben. Ich musterte die Delegation feindselig, der selbst bei einer solchen staatstragenden Mission etwas Schmieriges anhaftete. Ich hoffte nur, dass ich im weiteren Verlauf dieses Kongresses nichts mit ihnen zu tun haben würde. Die Laya stanken. Und sie verströmten eine Aura von schimmeligen Spelunken und fettigen Garküchen. Auch sie hatten stets Wert darauf gelegt, neutral zu sein. Aber im Gegensatz zu den Amish, deren Neutralität immer zur Union tendiert hatte, hatten sie sich unverhohlen an Sina angelehnt. Jetzt existierte das Sinesische Imperium nicht mehr. Sie mussten sich neu orientieren. Aber jede ihrer Bewegungen drückte aus, dass sie der Einladung der Union nur höchst widerstrebend gefolgt waren.
Ich versuchte in Rogers’ immer bedenklicher werdender Miene zu lesen.
»Gibt es«, fragte ich ihn, »eigentlich ein Volk, das sich schon offen zur Union bekennt? Bis jetzt scheinen mir alle auf ihre Neutralität zu pochen …«
Er verzog das vom Whiskey gerötete Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse.
»Offiziell nur die Tloxi«, knurrte er. »Aber natürlich lässt sich am Anfang niemand in die Karten schauen.«
Jennifer fuhr die Ellbogen nach hinten aus und schob ihre Schultern zwischen mich und die kleine Hostess, deren Blick ich zu erhaschen versucht hatte. Um eine neue Bestellung aufzugeben!
»Sie werden«, sagte sie, »alle versuchen, den Preis für ihren Beitritt so hoch wie möglich zu treiben.«
Ich bog mich um sie herum und machte der Bedienung ein Zeichen, unsere Gläser wieder zu füllen.
»Sie sollten doch froh sein, aufgenommen zu werden!«, sagte ich.
Rogers feixte wissend.
»Genau«, brummte er. »Aber sie wissen, dass wir das so sehen. Und deshalb zieren sie sich wie die Jungfrau vor der ersten Nacht.«
Ich seufzte. Also Politik. Derartige Spielchen hatten mich noch nie interessiert. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass es, je größer die Verantwortung und je höher die beteiligten Ränge waren, umso kindischer und alberner wurde.
Jennifer hatte meine Gedanken mitgelesen. Nach mehreren Jahrzehnten war da nichts mehr zu machen. Außerdem war sie beleidigt wegen des kleinen Flirts, den ich hinter ihrem Rücken durchgezogen hatte.
»Es hilft nichts«, sagte sie scharf. »Wir müssen uns mit unserer Lage abfinden. Wir müssen die Leerstelle besetzen, die durch die Ausschaltung Sinas entstanden ist, und auf alle Fälle verhindern, dass ein Machtvakuum entsteht.«
Reynolds nickte.
»Vielleicht wird es alles nicht so schlimm. Realistisch betrachtet, haben sie alle ein vitales Interesse daran, der Union anzugehören. Wir haben viel zu bieten. Vor allem Verlässlichkeit und Stabilität.«
Nun, er war Mathematiker. Je mehr Variablen im Spiel waren, umso mehr Spaß machte die Sache ihm. Vielleicht hätte man ihn zum Verhandlungsführer ernennen sollen. Ich erinnerte mich, dass die Planspiele bei der Vorbereitung des Kongresses auf KI-Tools abgelaufen waren, die er in seiner Zeit als ENTHYMESIS-WO programmiert hatte.
Jetzt nahm Dr. Rogers das Wort im Tonfall eines abschließenden Statements.
»Ich hoffe auf einen Rutschbahn-Effekt«, sagte er leise. »Wenn es uns erst einmal gelingt, ein oder zwei Delegationen zum Beitritt zu bewegen, werden die anderen es mit der Angst kriegen, dass sie außen vor bleiben. Dann rechne ich damit, dass es am Ende ganz schnell geht und wir uns vor Aufnahmegesuchen nicht mehr retten können.«
Er hob sein Glas.
»In der Regel will keiner der Erste sein, aber ganz sicher will keiner der Letzte sein …«
Ich lehnte die Schulter an Jennifers rückwärts ausgeklappten Oberarm und spielte mit dem kurzen Stoppelhaar über ihren Schläfen.
Eigentlich beschäftigte mich etwas ganz anderes.
»Das ist sehr menschlich gedacht«, gab ich zu bedenken. »Ein Anthropozentrismus. Wir wissen ja noch gar nicht, was diese – Leute für Begriffe von Taktik oder Realpolitik, von Macht oder Interessensabwägung haben.«
Rogers war von dem Einwand nichts weniger als getroffen.
»Selbstverständlich«, sagte er lapidar. »Dem dienten zum einen die bilateralen Vorgespräche. Zum anderen werden wir auch hier noch einmal viel Zeit dafür ansetzen, die kulturellen Eigenheiten abzuklopfen. Wir müssen erst einmal eine gemeinsame Sprache finden.«
Gerade, wie er das sagte, zog eine weitere sonderbare Abordnung vorbei. Sie bestand aus zwei fremdartigen Wesen, die in schlangenhaften Bewegungen mehr zu tanzen als zu gehen schienen. Dabei waren sie mit ihren schmalen, jadegrün schimmernden Gliedern am ehesten zwei anmutigen Pflanzen vergleichbar, Orchideen etwa, Orchideen von annähernd menschlicher Größe, deren feine grüne Stängel in kopfgroße blau-rote Knospen mündeten.
Rogers nickte mir vielsagend zu. Ich versuchte, ein pfiffiges Gesicht zu machen.
Mit weit ausholenden, schlingernden Schritten glitten sie an uns vorüber. Ihre Gliedmaßen wirkten ebenso filigran wie zerbrechlich. Ich fragte mich, ob sie nackt waren oder ob die smaragdgrün irisierende Haut ein hauchdünner selbstregulierender Ganzkörperanzug war, ein KI-gestütztes Polymer, wie wir sie für die Außenbeschichtungen unserer Raumschiffe verwendeten.
»kuLau«, flüsterte Rogers.
Ich sah den beiden Wesen nach, wobei mir schien, dass ihre schlangenhaft fließenden Bewegungen synchronisiert und vollkommen aufeinander abgestimmt waren. Ein Ballett weit mehr als profane Fortbewegung.
»Eine kleine Delegation«, war alles, was mir zu bemerken einfiel.
»Sie treten stets zu zweit auf«, zischte Rogers.
Der Anblick hatte mich in eine ästhetische Stimmung versetzt, dass ich das »Auftreten« unwillkürlich auf eine theatralische Vorstellung bezog.
»Ihre – Köpfe«, sagte ich leise, »sie sehen wie Knospen aus …«
Wieder dieses wissende Grinsen.
»Warte nur, bis sie erblühen!« Und damit ließ er es bewenden.
Wenig später traf der Nuntius des Prana-Bindu-Ordens mit seiner Entourage ein. Die Delegation war direkt von ihrem Sitz auf dem Gebirgsplaneten Musan hierher gekommen. Jennifer sprang auf und eilte auf die ehrwürdigen Äbte und Mönche zu, deren Gewand sie küsste und deren Stirn sie mit der ihren berührte. Der Nuntius war niemand anderes als Lama Töndup persönlich, der Großmeister des Prana-Bindu-Ordens, Nachfolger Seiner Heiligkeit Tsen Resiqs und amtierender Abt der Großen Gompa von Loma Ntang. Er segnete Jennifer, indem er ihr beide Daumen an die Nasenwurzel legte und eine Beschwörungsformel murmelte.
Der Orden, erläuterte Rogers unterdessen, hatte die offizielle Neutralität der anderen Nationen noch dahingehend unterboten, dass man erklärt hatte, nur in beobachtender Mission an dem Kongress teilzunehmen. Das konnten ja schöne Verhandlungen werden, bei dem alle vorgaben, von interesseloser Unabhängigkeit zu sein, während die Raffinierteren ein bloßes Monitoring betrieben. Diplomatisches Mikado: Wer sich zuerst bewegte, hatte verloren.
Was die Abgesandten des Prana-Bindu-Ordens betraf, so konnte an ihrer politischen Integrität kein Zweifel sein. Sie waren der Union seit Langem eng verbunden, was sich schon darin niederschlug, dass die Anfangsgründe der Prana-Bindu-Meditation seit Jahrzehnten auf der Akademie gelehrt wurden und zum Curriculum angehender Offiziere gehörten. Vielleicht war es nicht von Schaden, dass es eine moralische Instanz gab, die außerhalb des protokollarischen Kleinkriegs stand.
Doch dann zog eine Delegation unsere Blicke auf sich, die uns den Atem nahm. Zwölf Wesen stapften vorbei, deren Anblick uns das Blut gefrieren ließ. Ihre Stiefel mussten mit Stahl beschlagen sein, denn ihre Schritte hallten in der weiten Kuppelwölbung wider und schmerzten in den Ohren. Und das Fauchen und Knurren, das sie dabei ausstießen und das wohl ihre Sprache war, hätte hingereicht, einen alten Veteranen erbleichen zu lassen. Wenn wir über die Sineser immer gespottet hatten, sie sähen aus wie Nilpferde, die man in Uniformen gesteckt hatte, so waren das hier Säbelzahntiger, die sich unbeholfen am aufrechten Gang versuchten. Ihren Kampfanzügen entquollen die roten Zotteln eines Raubtierfells. Ihre Katzenaugen loderten gefährlich. Und ihre handlangen Hauer wetzten, während sie einander anbrüllten, die mächtigen Unterkiefer.
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