Reynolds boxte mir vor die Brust.
»Gratuliere! Euch beiden! Ihr habt es tatsächlich geschafft!«
Wir bedankten uns artig.
»Ich wollte zu eurer Amtseinführung kommen«, fuhr er fort. »Aber ich hatte hier noch einiges zu tun.«
Er musterte uns abwartend. Wie auch Dr. Rogers bediente er sich des Du, wenn er uns im Plural ansprach, und des Sie, wenn er sich an einen Einzelnen von uns wandte.
»Diese Tloxi sind wirklich erstaunlich. Später zeige ich euch einiges an neuem Spielzeug, dessen Blaupausen ich in den Tiefen ihres Kontinuums gefunden habe.«
Wir zeigten uns beeindruckt.
»Du kannst mit ihnen kommunizieren?«, fragte Jennifer.
»Das können wir alle«, sagte ich. »Die Frage ist nur …«
»Wie viel man aus ihnen herausbringt«, führte Reynolds meinen Satz zu Ende. So leise und näselnd er sprach, liebte er es doch, anderen Leuten ins Wort zu fallen. Er zwinkerte mir entwaffnend zu, weil er wusste, dass mich das immer ganz besonders in Rage brachte. Ich ließ es ihm für heute durchgehen.
»Ich habe …«, erläuterte er. »Ich glaube, ich kann sagen, dass ich ihr Vertrauen erworben habe. Was immer das bei ihnen im Einzelnen bedeuten mag. Sie teilen sich mir offener mit als den meisten anderen – Menschen und Unionsvertretern.«
Er grinste, als er mit sichtlichem Vorgenuss den nächsten Trumpf auspackte.
»Ich kann mich in ihr telepathisches Kontinuum einloggen. Natürlich nur in dem Maße, das sie mir gestatten. Aber ich habe ein paar Algorithmen programmiert, die es mir ermöglichen, die Konstruktionspläne dieses Torus sichtbar zu machen.«
Nun, sie kommunizierten auch mit unseren Schiffscomputern. Was er herausstrich und was im Einzelnen sicher eine technische Meisterleistung war, erfüllte mich mit Unbehagen.
»Sie werden nur freigeben«, sagte ich, »was ohnehin offen zutage liegt. Etwa die holografischen Risszeichnungen einer Raumstation, die längst in der Realität existiert.«
Reynolds nickte und schwieg abwartend.
»Interessant wird es«, fuhr ich fort, »wenn wir herausbekommen oder herauszubekommen versuchen, was sie nicht herausgeben wollen.«
Jennifer schüttelte den Kopf.
»Wenn wir das mit Gewalt und gegen ihren Willen versuchen würden, würden sie es zu Recht als Zeichen des Misstrauens interpretieren.«
»Wäre das so unangebracht?«, fragte ich.
Sie zog die Mundwinkel zu einem unhörbaren Schmatzen hoch, das ihre Unzufriedenheit mit dem Gedankengang ausdrückte.
»Du legst ja auch einen menschlichen Geschäftspartner nicht unter den Quantentomografen und liest seine geheimsten Gedanken aus.«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Manchmal hätte ich mir gewünscht, so etwas wäre möglich gewesen. Es hätte uns im einen oder anderen Fall vieles erspart.«
Reynolds hob die Hände.
»Was ich eigentlich sagen wollte«, sagte er schleppend, »es haben sich dabei einige, nun: Abfallprodukte ergeben. Wir verstehen noch immer nicht restlos das Funktionieren ihrer Technologie. Aber indem wir uns anschauen, was immer sie uns anschauen lassen, können wir es auf eigene Faust kombinieren und fortentwickeln …«
»Und sie überflügeln?«, fragte ich rasch. »Kann der Kopist besser sein als der Meister?!«
Reynolds schob gleichgültig die Unterlippe vor.
»Mit ihnen gleichziehen, vielleicht. Uns austauschen und ergänzen. Ich würde gar nicht in solchen Kategorien der Konkurrenz denken, die der anderen Seite immer schon Böswilligkeit unterstellt.«
»Wir reden später weiter«, entschied ich, denn mir war aufgefallen, dass die politische Delegation ungeduldig geworden war.
Rogers hatte als Einziger aufmerksam zugehört, während die anderen nur darauf warteten, dass es weiterginge. Reynolds schaltete für seine Verhältnisse ausgesprochen rasch.
»Entschuldigen Sie«, brummte er, »dieses kleine Privatissimum.«
Dann stellte er sich den Herren vor und brachte sie zu ihren Wohnmodulen, wo sie sich häuslich einrichten konnten. Auch wir bezogen wieder einmal ein Zimmerchen, das uns erstaunlich bekannt vorkam.
Die Union hatte sich, als sie den Weiterbau des Torus beschloss, nicht nehmen lassen, beim Innenausbau einige Änderungsvorschläge einzubringen. Die geplante Ausstattung war auf die physiologischen Bedürfnisse der Sineser berechnet gewesen. Das hatte revidiert werden müssen. Was schon fertiggestellt worden war, hatten die Tloxi, die es gebaut hatten, mit derselben Emotionslosigkeit wieder hinausgeschmissen. Was stattdessen einzurichten war, war entsprechend den standardisierten Katalogen der Union erfolgt. Das Innere des Torus glich so auf ernüchternde Weise den Gängen und Schleusen, den Kabinen und Besprechungszimmern der MARQUIS DE LAPLACE und aller anderen großen Schiffe und Basen. Aber es gab auch einige Besonderheiten, sodass die Konstruktion ihre verwickelte Entstehungsgeschichte nicht verleugnen konnte.
Eines dieser Beispiele zeigte Reynolds uns, sowie wir die Delegation losgeworden waren. Wir hatten nur einen kurzen Blick auf unsere Kabine geworfen und uns dann im Vorraum wieder getroffen. Über einen langen Gang, der sich allmählich verbreiterte, führte Reynolds uns zu einer großen Halle, die sich T-förmig nach beiden Seiten öffnete. Wir begriffen, dass wir bisher in einer der winzigen Blasen gewesen waren, die an der Außenhaut des Reifens saßen. Jetzt traten wir in eine gewaltige lang gezogene Glaskuppel hinaus, die dem Hangar eines Raumhafens glich. Ihre lichte Höhe betrug mehrere hundert Meter, und sie verlor sich nach beiden Seiten im Unendlichen. Das war der eigentliche Torus. Die Eigenkrümmung war nicht erkennbar.
»Der Umfang des Torus«, erläuterte Reynolds, »beträgt über 400 Kilometer.«
Wir nickten. Die technischen Daten hatten wir uns angeeignet. Dennoch war es etwas anderes, wenn man davor stand. Oder genauer gesagt: darin.
»Ein strammer Fußmarsch«, fiel mir noch ein.
»Keine Angst«, sagte Reynolds. »Ihr müsst hier nicht weiter zu Fuß gehen, als ihr unbedingt wollt. Von den Entfernungen im Inneren der Wohn- und Arbeitsblasen einmal abgesehen.«
Wir durchquerten den riesigen Kuppelschlauch des Torus. Dabei sah ich nach oben, wo die mächtige Dachkonstruktion aus selbsttätig polarisierendem Elastalglas den Blick in den Raum freigab. Gegenüber, von uns aus gesehen genau im Zenit, verlief der fadendünne Strang der anderen Seite. Die Krümmung des Ganzen war nicht zu erkennen. Es wirkte, als verliefen zwei lineare Konstruktionen parallel im Raum.
Dann erreichten wir den gegenüberliegenden Fußpunkt des Daches. Halbrunde Arkaden öffneten sich unter den meterdicken Elastalstahlträgern, die das Ganze stützten. Unter den Arkadenbögen flimmerten gelbe und blaue Lichtfelder. Als wir näher traten, erkannten wir, dass sich zwischen den Bögen vergleichsweise kleine Tunnel und Schächte öffneten, die parallel zur großen Haupthalle dahinzogen. Sie waren von gelblich zitternden Lichtsträngen erfüllt. Ab und zu näherten sich blaue Lichtbänder, in denen Menschen saßen – oder auch Tloxi oder andere Wesen –, die ausstiegen. Andere stiegen zu, die Kraftfelder wanderten weiter. Es gab keinerlei feste Gefährte, Sitzgelegenheiten, Armaturen, sondern nur die von Feldgeneratoren erzeugten gravimetrischen Mulden, in die man sich hineingleiten ließ wie in bequeme Liegestühle und die sich dann wieder in Bewegung setzten.
»Eine Fahrt, einmal um den Torus herum, wird mehrere Stunden dauern«, sagte Reynolds. »Bis jetzt klafft in den oberen Segmenten aber noch eine Lücke von etwa dreißig Kilometern.«
Jennifer und ich hatten die Vorrichtung angestarrt. Langsam lösten wir die Blicke davon. Dann sahen wir uns an.
»Stimmt etwas nicht?« Reynolds hatte bemerkt, dass die Sache uns frappierte.
»Das haben wir doch schon einmal gesehen«, entfuhr es mir.
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