Was die Grundannahmen übers wirtschaftliche Handeln respektive die einschlägigen Menschenbilder im Einzelnen anbelangt, die auf diese Weise als eine weitere Richtschnur des Nachdenkens über die betriebliche Wirklichkeit eingeführt werden, so handelt es sich dabei zum einen um eine ideologische Deutung der sozialen Bestimmung, die der Mensch im bürgerlichen, marktwirtschaftlich verfassten Gemeinwesen aufgeprägt bekommt: Die Figur des vom „Eigennutz“ getriebenen Egoisten verkörpert den Umstand, dass in der Welt des Privateigentums die ökonomischen Interessen, die die Menschen verfolgen, so beschaffen sind, dass sie in lauter Gegensätzen zueinander stehen – zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Mieter und Vermieter etc.; aber sie verkörpert ihn so, dass dies nicht als gesellschaftliche Natur kenntlich ist, die den Menschen im Kapitalismus auszeichnet, sondern als Natur des Menschen überhaupt erscheint. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Bild vom ‚egoistischen Menschen‘ also um ein affirmatives Hirngespinst, das das Wirken des privaten Konkurrenzsubjekts, das die BWL schon auch selbst als Charakteristikum der marktwirtschaftlichen Eigentumsordnung kennt, in eine Natureigenschaft des Menschen schlechthin verfabelt. Dem stellt der moralische Verstand die Fiktion des „solidarischen Idealisten“ entgegen, der „vom Gedanken der Nächstenliebe und des Teilens“ beseelt ist; eine Figur, die in der bürgerlichen Welt Anerkennung genießt, weil sie den Gemeinschaftssinn pur verkörpert, in ökonomischen Dingen aber ganz bestimmt nicht als kompetent gilt; und diese moralische Fiktion wird vorgestellt als die Alternative, die die BWL im Angebot hat.
Der Mann der Wissenschaft ist ersichtlich nicht beschämt darüber, dass in dieser Sphäre moralisierender Vorurteile über den Menschen – der gängigen schlechten oder guten Meinungen über ihn – die unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkte der verschiedenen Schulen seines Fachs, der „wirtschaftstheoretisch und der verhaltenswissenschaftlich orientierten Betriebswirtschaftslehre“, zu verorten sein sollen. Er bewegt sich in ihr wie der Fisch im Wasser, klärt uns darüber auf, dass er sich für die eine und gegen die andere Richtung entschieden hat, und begründet seine Entscheidung damit, dass dem einen Menschenbild mehr Nähe zur Wirklichkeit zu bescheinigen ist als dem anderen. Unter diesem Gesichtspunkt scheidet die „verhaltenswissenschaftlich orientierte“ BWL mit ihrem Bild vom nach „Maximierung des Gemeinnutzes“ (I / S. 6) strebenden Individuum als ernst zu nehmende ökonomische Lehre für ihn aus:
„Die wirtschaftstheoretisch fundierte Betriebswirtschaftslehre [der sich unser Autor zurechnet] hält dieses idealistische Menschenbild für wirklichkeitsfremd.“ (Ebd.)
Was er zum Argument für die eine und gegen die andere ‚Lehre‘ macht, das ist ein Vergleich zwischen dem jeweils zugrundeliegenden Menschenbild und der Welt der Konkurrenz, die jeder vor Augen hat, der in die Welt der Marktwirtschaft blickt. Und bei dem Vergleich ist es wahrlich kein Wunder, dass die von ihm bevorzugte Auffassung vom Menschen, der zufolge „jedes Individuum ... nach maximalem Eigennutz [strebt]“ (ebd.), im Unterschied zur anderen als realistisch erscheint. Schließlich ist dieses Menschenbild der Sphäre der ökonomischen Konkurrenz entlehnt; was es dem Menschen als sein Wesen zuspricht, ist aus ihr herausdestilliert; während es sich bei dem „solidarischen Idealisten“ um einen moralischen Gegenentwurf dazu handelt, weswegen sich der an der Welt der ökonomischen Konkurrenz auch leicht blamieren lässt. Der Wirtschaftstheoretiker braucht zu dem Zweck nur auf die allseits bekannten Gegensätze zwischen „Kunden ... , Lieferanten, Kapitalgebern und Arbeitnehmern“ zu deuten, die „möglichst wenig zahlen“ wollen und „möglichst hohe Zahlungen ... erwarten“ (I / S. 7), und schon ist klar, dass ein solches Bild vom Menschen absolut unrealistisch ist.
Die Prüfung der Wirklichkeitsnähe möglicher Annahmen über die Motive wirtschaftlichen Handelns erweist sich somit als Spiegelgefecht, mit dem der BWL-Lehrmeister unter Berufung auf die Welt der marktwirtschaftlichen Konkurrenz ein Menschenbild ins Recht setzt, das seinerseits so konstruiert ist, dass es diese Welt der Konkurrenz als die der Menschennatur entsprechende und somit als wohlbegründete erscheinen lässt.
Mit dieser zirkulären Spiegelfechterei ist die Einführung in die BWL einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die BWL hat sich im Namen des Menschen und seines natürlichen Strebens nach Mehrung seines Eigennutzes – der „homo oeconomicus“ (I / S. 6) lässt grüßen! – zur Dienstbarkeit gegenüber den im Betrieb wirklich maßgeblichen Interessen verpflichtet. „Ein ideelles Konstrukt ohne praktische Realisierungschance“ (I / S. 7), wie es die Minderheit der Kollegen mit ihrem auf ein unrealistisches Menschenbild gestützten „Harmoniemodell“ (ebd.) propagiere, will der „wirtschaftstheoretisch fundierte“ (ebd.) Mainstream des Fachs auf keinen Fall abliefern. 2)) Und wie die wirklich maßgeblichen Interessen in so einem Betrieb beschaffen sind, darüber macht man sich und anderen nichts vor: Da geht es um das „Rendite-Interesse“ der „Shareholder“, die „Verfügungsrechte“ der „Eigentümer an den Produktionsmitteln“, die „Vorrangstellung der Eigenkapitalgeber“ und das „Ziel der langfristigen Gewinnmaximierung“ (I / S. 7 ff.). Die Herleitung des Gewinnstrebens aus der Menschennatur respektive den Triebkräften des Menschen ist damit perfekt. Für die Gleichsetzungen, die da recht flott vollzogen werden – Nutzenstreben wird mit Eigennutz identifiziert, der Eigennutz mit Gewinninteresse –, braucht die BWL kein einziges Argument zu mobilisieren. Die „wirtschaftstheoretische Fundierung“, die sie reklamiert, besteht schlicht und ergreifend darin, die marktwirtschaftliche Realität zu unterstellen und für sich sprechen zu lassen, in der die Leute in ihrem Materialismus alias ‚Nutzenstreben‘ aufs Geldverdienen festgelegt sind, in der der Nutzen, den die ‚Wirtschaftssubjekte‘ verfolgen, deswegen die Form eines Eigennutzes annimmt, welcher im Gegensatz zu lauter konkurrierenden Privatinteressen steht, und in der die ganze Ökonomie dem Gewinninteresse kapitalistischer Unternehmen untergeordnet ist. Man sieht es doch, lautet ihr Argument, mit dem sie ihren Gleichsetzungen den Schein einer von den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängigen Notwendigkeit verleiht – an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen, wohlgemerkt, soll man diese von den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängige Notwendigkeit sehen!
Die Betriebswirtschaftslehre bekennt sich so letztlich in nicht zu überbietender Deutlichkeit dazu, den eigennützigen Interessen der Betriebseigner dienen zu wollen – und achtet dabei umso mehr darauf, dass man ihre Veranstaltung nicht mit parteilichem Denken identifiziert. Vornehm enthält man sich der wertenden Beurteilung der Interessen, in deren Dienst man seine Wissenschaft stellt:
„Die wirtschaftstheoretisch fundierte BWL verzichtet auf eine (ethische) Bewertung unternehmerischer Ziele.“ (I / S. 11)
Die überlässt man den dafür zuständigen Disziplinen der „Theologie und Moralphilosophie“ (I / S. 12). 3)Da sind dann auch solche „ethischen Fragen“ (ebd.) gut aufgehoben wie die nach der Grenze zwischen tolerablem Egoismus und vielleicht doch nicht menschennatürlicher Übertreibung desselben; und dahin gehört auch die tiefschürfende Problematisierung eines geldgierigen Suchtverhaltens von Managern und Spekulanten, das womöglich gar zu Wirtschafts- und Finanzkrisen führt. Mit dieser demonstrativen Zurückhaltung in Sachen ‚ethische Bewertung‘ bestehen die Theoretiker der Betriebswirtschaft darauf, dass ihre unbedingte Parteilichkeit für das Interesse der Betriebseigner, das auf die Vermehrung ihres Kapitalvermögens abzielt, gar nichts anderes ist als der wissenschaftlich gebotene Realismus in der Bezugnahme auf eine Wirklichkeit, in der sich nun einmal eigennützige Individuen und keine Altruisten tummeln.
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