Dann kam noch der Schiffshändler, der mich strahlend begrüßte, nicht nur, weil wir ihm einen dicken Auftrag verschafft hatten, sondern weil er mich wiedererkannte. Da war die Freude auf beiden Seiten groß. Feiner Macker. Hatte mir damals mehr als einmal geholfen und auch das Unmögliche möglich gemacht. Schön, dass er es mit uns und wir es wieder mit ihm zu tun hatten. Da konnte ich gleich meine Sonderwünsche loswerden. Er nahm mich am nächsten Vormittag mit in die Stadt, wo ich drei Stunden durch die Straßen schlenderte, in bekannte Shops einguckte und das eine oder andere einkaufte. In dieser winzigen Stadt zu spazieren war mir immer eine Freude und Erholung. Schön übersichtlich und geruhsam. Keine Wolkenkratzer säumten die Straßen, alles anheimelig und gemütlich. Ich genoss den Bummel durch Tauranga. Leider wurde es später ziemlich nieselig und wenn das so weiterginge, würden wir hier noch eine Verspätung wegen Regens kassieren. Denn dann könnte aus verständlichen Gründen nicht geladen werden. Wo die Kiwi-Bauern doch sowas von pingelig waren! In einer Kunstgalerie bekam ich auch noch die eine und andere Kleinigkeit, ehe ich mir ein Taxi rief, das mich innerhalb von zehn Minuten zurückbrachte.
Tatsächlich waren alle Luken zu und die Kräne ruhten. Kein Aas weit und breit zu sehen. Ich stapfte mit meinen Tüten den Landgang hoch. Der Blitz war immer noch mit dem Motor der Gangway beschäftigt. Vom Chief Mate erfuhr ich, dass seit Mittag nichts mehr gegangen sei, weil es mehr oder minder ununterbrochen stark nieselte. Auch gut. So hatten wir wenigstens doch noch die Chance, zum Abend an Land Essen zu gehen. Ein Repräsentant der Kiwi-Bauern lud uns dazu ein. Wir waren froh, überhaupt noch an Land zu kommen und die Gelegenheit doch so günstig am Schopfe zu packen! Das offizielle Auslaufen war weiter verschoben worden: Nun bereits auf den späten Abend. Das reichte uns ja wohl dicke! Keiner aß doch länger als zwei Stunden!
Wir wurden abgeholt, ich gab das Ziel vor: Harbourside Restaurant. Ein etwas schäbiges, aber ausgesprochen beliebtes Fischrestaurant, das von uns schon früher häufig besucht worden war. Es hatte ein uriges Flair und war offenbar auch bei den Eingeborenen gern Ziel eines Besuchs. Denn zu bestimmten Zeiten konnte nur eine Reservierung dem hungernden Gast einen Platz am gedeckten Tisch sichern. Dieses Restaurant war direkt unter einer hölzernen Brücke, die die Bucht querte, gelegen, und über diese Brücke donnerten und rasselten stündlich Güterzüge. Nicht selten konnte man dreißig oder auch vierzig Waggons zählen. Die Güterströme hatten sich vom Hafen Aucklands nach Tauranga verlagert. Mittlerweile war Tauranga zum größten Umschlagsplatz Nord-Neuseelands avanciert. Aus dem Mucker- und Fischerdorf hatte sich ein moderner kleiner, aber effektiver Universalhafen entwickelt, der expandierte. Nicht nur Holzstämme, was in Riesenmengen aus kontrolliertem Anbau, den sogenannten Holzfarmen, stammte, wurden als Bauholz verschifft, ebenso Berge von Holzchips für die Papierherstellung. Fast ausschließlich für Asien. Natürlich auch Vieh und Fleisch, genauso wie eben Früchte und Container. Autotransporter aus Japan liefen diesen Hafen ebenfalls regelmäßig an. Wie der Lotse wusste, mauserte sich das ehemalige Fischerdorf mehr und mehr zu einer großen Stadt. Zum Leidwesen der ehemaligen Dörfler, die die Abgeschiedenheit und Einsamkeit hier einst gesucht, gefunden und nun wieder verloren hatten.
Die meisten Ansiedlungen ringsum waren eh nur auf Grund der Hafenentwicklung entstanden. Hinzu kam die zunehmende Bedeutung des Tourismus. Hier gab’s schöne breite Strände und unweit Taurangas luden sogar Thermalquellen zum Besuch ein. Das ist aber so verwunderlich gar nicht, immerhin ist das hier ein aktives geologisches Gebiet, das zum sogenannten pazifischen Feuerring gehört, mit richtigen ausgewachsenen Vulkanen und Erdbeben und allem, was so dazugehörte, also auch heißes Wasser aus der Erde . Ein einzigartiges, geschütztes Refugium ist „White Island“, eine Insel, von Tauranga aus bei guter Sicht in etwa fünfzig Meilen Entfernung in östlicher Richtung zu sehen, wo die Erde noch spuckte und Schwefelgestank aus wabernden Schlammtümpeln entwich.
Man konnte diese Insel nur mit einem Heli erreichen, denn natürlichen Zugänge sind nicht existent, zu rau und zu steil sind die felsigen Ufer. Wenn man einen Tag frei hätte und das nötige Kleingeld für so eine Helitour! Mann, das wäre was! Tatsächlich hatte ich mal vor Jahren für mitreisende Passagiere dort nachfragen lassen, wo und für wieviel Knete das ginge. Aber die Antwort war niederschmetternd: Pro Person wären für eine Rundtour und zwei geführte Stunden auf der Insel um die dreihundertfünfzig Dollar fällig gewesen. Das hatten die nicht – und ich erst recht nicht. Heute bedauere ich meine damalige Entscheidung, diese Chance ungenutzt gelassen zu haben.
Wir betraten kurz nach 1800 Uhr das Restaurant, für hiesige Sitten noch viel zu früh, als dass man sich zu Abend traf, um was zu essen. Aber wir hatten trotzdem schon Mühe, einen schönen Extra-Platz zu bekommen, weil das meiste unter Vorbestellung wegging.
Natürlich waren wir zum Fischessen gekommen! Den Besten, den’s gab. Da der Chief des Englischen nicht so mächtig war, wollte er sich sofort meiner Entscheidung anschließen – wie immer. Aber er sah dann am Nachbartisch Lamm und orderte Gleiches für sich. Mein Tier hörte auf den Namen „John Dory“, ein lokaler Plattfisch, Spezialität des Hauses, solange ich schon hier verkehrte. Auf Holzkohlen gegrillt. Vorab ein wenig Ciabatta mit Knoblauch und einen trockenen, milden Hauswein. Wir sabbelten mit unserem Bauern, der sich die Schweinerippen munden ließ, über Neuseeland, Tauranga, Kiwis und was sonst noch so als Thema ergiebig war. Insgesamt eine runde Sache.
Als wir einige Stunden später aufbrachen, begann sich das Lokal richtig zu füllen. Es wurde laut, nicht nur wenn ein Zug über unseren Köpfen hinwegrumpelte! Stimmengewirr, Lachen, eilig flitzende Bedienungen, ein Kommen und Gehen. Nach diesem gelungenen Abend zwängten wir uns wie die Sardinen wieder in seinen engen Jeep, dem wir Minuten später an der Gangway unseres Schiffes wieder entstiegen. Sowas hatte man nicht alle Tage. Vollgefressen und zufrieden betraten wir die heimatlichen Stahldecks. Kein Kran drehte, alle Luken geschlossen. Der Chief Mate informierte uns, dass alles bis morgen früh gestoppt worden wäre. Es würde zu teuer, wenn die Stauer nur rumsäßen und es immer wieder anfing zu nieseln und keiner wusste, wie lange noch. Also zu diesem netten Tag auch noch eine nette Nacht der Ruhe! Hatte hier irgendwer Geburtstag oder was? Womit man sowas nur verdiente, wie? Vielleicht als ausgleichender Ersatz für das misslungene Bootsmanöver …?
Am Folgetag kamen die Werkstattleute früh an Bord zurück und reparierten erfolgreich die Winde. So konnten wir dann schon am Vormittag unser Boot mit eigener Kraft wieder mit dem Davit hochnehmen. Die horrenden Kosten eines gemieteten Mobilkrans wurden gespart. Die wartenden Schlepper gingen gegen 1300 Uhr längsseits, mit wenigen Maschinenmanövern legten wir ab, umfuhren den Bogen am Vulkankegelstumpf und suchten die Weiten des Südpazifiks. Das war Tauranga, das ich zukünftig nicht nur mit dem „Harbourside Restaurant“ in Verbindung bringen werde, sondern immer auch mit einem ganz bestimmten Bootsmanöver.
Dreizehn und ein halber Tag Seetrip lagen vor uns. Und mit etwas Glück auch drei Highlights auf unserer Route, wenn wir sie am Tage passieren würden: Pitcairn, Henderson Island und die Galapagos Inseln. Auf der viereinhalbtausend Seemeilen langen Strecke die einzigen Steine, die am Wege lagen und deshalb ganz oben auf meiner persönlichen Wunschliste standen.
Wenige Tage später bekamen wir die Order vom Charterer, erst am 23. August in Balboa, also Panama, vorzuliegen. Wie schön war denn das? Dieses als Ausgangslage nutzend, errechnete ich, dass wir Pitcairn erst am späten Abend haben würden. Dafür schon mussten wir noch etwas mit dem Speed schummeln, denn entsprechend der Order sollten wir eigentlich für den vorgegebenen Termin mit reduzierter Leistung fahren. Das aber würde die Pitcairn-Passage in eine Nachtaktion verwandeln! Und wann käme man hier noch mal vorbei? Wir logen also etwas in den täglichen Berichten, die der Charterer von mir erhielt, was Position, Geschwindigkeit und den dazugehörenden Verbräuchen anbelangte und liefen etwas schneller, um den ersten Stein noch bei Büchsenlicht anzutreffen. Danach wieder etwas langsamer, was sich dann auch wieder ausglich. Jedenfalls, was die Zeit und die dazugehörigen Verbräuche anbelangte.
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