Nina Scholz
Heiko Heinisch
Wie der politische Islamunsere Gesellschaft verändert
COVER
TITEL Nina Scholz Heiko Heinisch Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert
AUFTAKT: EINE BESTANDSAUFNAHME
DIE ISLAMISTISCHE HERAUSFORDERUNG
POLITISCHER ISLAM: SEINE URSPRÜNGE UND SEIN SELBSTVERSTÄNDNIS
Ein Brief an den IS
WAS IST POLITISCHER ISLAM?
Islamische Unduldsamkeit
ISLAMISMUS – GESCHICHTE UND GEGENWART
DIE ISLAMISIERUNG DER ISLAMISCHEN WELT
DER WEG NACH WESTEUROPA
DER MARSCH DURCH DIE INSTITUTIONEN
ISLAMISTISCHE GRÜNDERZEIT IN EUROPA
Ein eigener Fatwa-Rat für Europa
Rein in gesellschaftspolitische Bewegungen
Rein in die Parteien
SOZIALES ENGAGEMENT ALS MITTEL DER BEEINFLUSSUNG
IDENTITÄTSPOLITISCHE DISKURSE
MUSLIMIFIZIERUNG – GEWOLLT UND UNGEWOLLT
„Hausmuslime“
OPFERDISKURSE
DIE IDEOLOGIE DER GEWALT
HAT DER TERROR MIT DEM ISLAM ZU TUN?
MUSLIME ALS OPFER ISLAMISCHER AGITATION
MIT ISLAMISTEN GEGEN DEN TERROR?
MEINUNGSFREIHEIT
GEWALT ALS MITTEL DER EINSCHÜCHTERUNG
„RELIGIÖSE GEFÜHLE“
KAMPFBEGRIFF ISLAMOPHOBIE
ANTISEMITISMUS
ANTISEMITISMUS IN DER ISLAMISCHEN WELT
Originär islamische Judenfeindschaft
„Schutzbefohlene“ – eine lange Geschichte
FEHLENDES GESCHICHTSBEWUSSTSEIN
MORAL- UND EHRVORSTELLUNGEN: GESCHLECHT ZÄHLT
MORALVORSTELLUNGEN IM GEPÄCK
DAS KOPFTUCH – AUSHÄNGESCHILD DES POLITISCHEN ISLAM
TRENNUNG DER GESCHLECHTER
PARALLELGESELLSCHAFTEN
PARALLELJUSTIZ
RAN AN DIE KINDER!
Ein islamistisches Lehrstück
Koranschulen
Religiöse Konflikte in der Schule
Erziehung zur Segregation
AUSSICHTEN UND EINSICHTEN
INTEGRATION STATT SEGREGATION
DIE FREIE GESELLSCHAFT VERTEIDIGEN
RELIGIONSFREIHEIT UND MENSCHENRECHTE GELTEN FÜR ALLE
ANMERKUNGEN
IMPRESSUM
AUFTAKT: EINE BESTANDSAUFNAHME
„Es gibt keinen Islam und Islamismus.
Es gibt nur einen Islam.
Wer etwas anderes sagt, beleidigt den Islam.“
Recep Tayyip Erdoğan, 2008
Wir haben ein Problem mit dem islamischen Mainstream. Dieses „Wir“ umfasst alle, die – unabhängig von Herkunft und Religionszugehörigkeit – in einer freien, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft leben wollen. In den vergangenen 40 Jahren ist innerhalb des Islam eine politische Bewegung herangewachsen, die, auf ältere islamische Konzepte zurückgreifend, im Islam ein ganzheitliches Programm sieht, das den einzelnen Menschen sowie Staat und Gesellschaft von Grund auf bestimmen soll. Diese Entwicklung, die der syrische Islamwissenschaftler Aziz Al-Azmeh als „Islamisierung des Islam“ bezeichnete, hat längst auch die muslimischen Communitys außerhalb der islamischen Welt erreicht. Das vorliegende Buch geht diesen Entwicklungen in Europa, insbesondere in Österreich und Deutschland, nach.
Eine wachsende konservative Bewegung innerhalb des Islam stellt die Werte der europäischen Aufklärung und die pluralistische Gesellschaft infrage, betrachtet sie als Zumutung, als Kränkung und als Angriff auf ihre Identität. Anhänger dieser Strömung wollen zwar in Europa leben, aber nicht als Teil der europäischen Gesellschaft, sondern als nach eigenen Regeln lebende Community.
Im Verbund mit islamistischen Organisationen, Islam-Lobbyisten und -Lobbyistinnen zwingen sie so westlichen Gesellschaften jenen Kulturkampf auf, der seit den 1970er-Jahren in der islamischen Welt tobt und diese in eine Krise geführt hat, deren Ausmaß noch nicht absehbar ist. Sie erzwingen im Namen der Religionsfreiheit eine permanente Debatte über den Islam, über religiöse Anliegen und Forderungen, indem sie die Gesellschaft, in der sie leben, immer wieder mit den Regeln und Moralvorstellungen des Islam konfrontieren. Gleichzeitig versuchen sie, jede kritische Debatte über islamische Vorstellungen und die in Europa tätigen Islamverbände zu unterbinden und als rassistisch und „islamophob“ zu diskreditieren. Letztlich geht es ihnen darum, dem Islam eine exklusive Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen und für fundamentalistische Communitys Freiräume für ein Leben nach streng islamischen Regeln durchzusetzen. Einem polarisierenden Weltbild folgend, das die Welt in Muslime und „Ungläubige“ einteilt, ziehen sie eine klare Grenzlinie zwischen die Menschen.
Diese Debatten und Auseinandersetzungen sind für europäische Gesellschaften relativ neu, während sie die islamische Welt schon sehr lange beschäftigen. In nahezu allen islamischen Ländern hat eine puritanische islamische Strömung gesellschaftliche Hegemonie erlangt. Wir haben es letztlich mit einer globalen politischen Bewegung zu tun, die von diversen Organisationen und Staaten (vor allem Saudi-Arabien, Katar, Türkei und Iran) getragen wird, die sich oft genug gegenseitig bekämpfen, aber in ihren Utopien Übereinstimmungen aufweisen.
Im Kern laufen diese Utopien auf eine Gesellschaft hinaus, die sich islamischen – als göttlich imaginierten – Regeln unterwirft. Islamisten träumen von einer unter einem Kalifat geeinten idealen islamischen Weltgemeinschaft, von „der Herrschaft Gottes in der ganzen Welt“ 1, oder, weniger poetisch ausgedrückt, von der Weltherrschaft. Yusuf al-Qaradawi, der Chefideologe der Muslimbruderschaft und wohl einflussreichste Fernsehprediger der arabischsprachigen Welt, offenbarte bereits vor einem Jahrzehnt unverblümt, was in Europa lebende und wirkende Proponenten des politischen Islam antreibt: „Ich erwarte, dass der Islam Europa erobern wird, ohne zum Schwert oder zum Kampf greifen zu müssen – mittels Dawa [Missionierung, Anm.] und durch die Ideologie. Die Muslime müssen zu handeln beginnen, um diese Welt zu erobern.“ 2
Die Kraft islamistischer Überzeugungen wird von vielen unterschätzt, obwohl die Geschichte reich an Beispielen ideologischer Verblendung, dem Glauben an das vermeintlich „Richtige und Wahre“ und dem daraus resultierenden Eifer ist. Wir brauchen uns nur den Nationalsozialismus, die Beseeltheit seiner Anhänger, die Begeisterung unzähliger Frauen und Männer vor Augen halten, von denen sich allzu viele zu allem bereitfanden. Oder den Fanatismus der Kommunisten unter Stalin, die Verfolgung von Dissens und den Gulag für eine historische Notwendigkeit hielten. Sie alle waren überzeugt, das Richtige zu tun und für eine gerechte Sache zu kämpfen, die am Ende der ganzen Welt zum Heil gereichen sollte. 3Ihre Ideologen meinten, was sie sagten, und ihre Anhänger haben versucht, die Welt in diesem Sinne zu gestalten. Wir sollten davon ausgehen, dass auch die islamistischen Ideologen ernst meinen, was sie sagen, und dass ihre Anhänger ebenso beseelt sind von der Idee, das „gute und richtige Leben“ in die Welt zu tragen. Sie glauben, im Wortsinn, „Alles für Allah“ zu tun. Mit dem Islamismus ist eine neue totalitäre Ideologie in Europa angekommen, die in muslimischen Communitys wachsenden Zuspruch erhält, andererseits jedoch ihre vehementesten Gegnerinnen und Gegner unter denjenigen findet, die selbst oder deren Vorfahren aus islamischen Ländern stammen.
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