„Ja, das wäre großartig.“ Er gab ihr seine Faxnummer und fragte: „Was meinen Sie denn, wie lange das dauern wird?“
„Ich schicke es sofort ab, wenn ich aufgelegt habe.“
„Vielen Dank für Ihre Mühe“, sagte Zac, beendete das Gespräch und steckte sein Handy wieder in die Tasche. Dann ging er zum Faxgerät hinüber und wartete, die Hände in die Hüften gestemmt, auf das Fax. Sobald er den Namen von Lucys Verlobtem wusste, würde er dessen Telefonnummer googeln, aber vielleicht stand sie ja sogar auf dem Aufgebot. Ob es wirklich so einfach sein konnte?
Und vielleicht würde der Kerl ja sogar kommen und Lucy abholen. Bei diesem Gedanken hatte Zac allerdings ein mulmiges Gefühl im Bauch. Konnte er sie einfach mit jemandem wegfahren lassen, den er gar nicht kannte? Vielleicht sollte er …
Nein , schalt er sich selbst. Du hast doch gar nichts mehr mit ihr zu tun.
In dem Moment kam das Fax aus dem Gerät, und er überflog es.
Brad Martin, Portland, Maine. Alter: 29 Jahre. Weiß. Bingo.
Er ging den Gang hinunter und klopfte an Lucys Tür.
„Brad Martin“, sagte Zac im selben Moment, als sie von innen die Tür öffnete. Dabei sah er sie intensiv an, und die silbernen Sprenkel in seinen Augen sprühten Funken.
Lucy stand in der Tür und war sich sehr bewusst, dass sie völlig zerzaust und ungeschminkt dastand. Diese Tabletten machten so schläfrig. Vielleicht war das ja auch der Grund, weshalb sie keinen klaren Gedanken fassen konnte.
„Was hast du gerade gesagt?“, fragte sie.
„Brad Martin. Sagt dir der Name irgendwas?“
„Äh… nein, nicht dass ich wüsste.“
„Bist du ganz sicher?“
„Ja. Ich habe den Namen noch nie gehört. Heißt er so? Mein Verlobter?“
Er hielt einen Zettel hoch und erklärte: „Sie haben euer Aufgebot gefaxt.“
„Zeig mal“, sagte sie, nahm ihm das Blatt aus der Hand und überflog es. Brad Martin. Sie runzelte die Stirn. Brad Martin. Der Name sagte ihr absolut gar nichts.
„Vielleicht ist sein vollständiger Name ja Bradley“, versuchte er es und klang dabei gleichzeitig drängend und hoffnungsvoll.
Sie schüttelte den Kopf und schaute noch einmal auf das Blatt, bevor sie es ihm zurückgab. „Nein, ich kann mich nicht an den Namen erinnern. Tut mir leid.“
Daraufhin wandte er sich wieder zum Gehen, und sie folgte ihm in sein Büro, wo er sich hinter den Schreibtisch an den Computer setzte.
Sie trat hinter ihn und sah, wie er den Namen in die Suchmaschine eingab und dabei die Suche auf die Gegend um Portland eingrenzte. Kurz darauf hatte er 27 Ergebnisse.
„Na toll“, sagte er seufzend.
„Schau doch mal. Da steht auch immer das Alter dabei.“ Wieso hilfst du ihm denn jetzt auch noch?
Er beugte sich vor und scrollte die Liste durch. „Es ist kein Brad Martin dabei, der 29 Jahre alt ist“, sagte er kurz darauf. „Aber der hier ist 28. Das müsste er dann doch sein, oder?“
„Schon möglich.“
Er nahm das Telefon in die Hand und begann die Nummer einzugeben.
Ihr Herz schlug heftig. „Warte mal. Wen rufst du denn jetzt an? Und was willst du sagen?“, fragte sie.
Er schaute kurz zu ihr hin und antwortete: „Ich? Ich werde gar nichts sagen. Schließlich ist er ja nicht mein Verlobter …“ Er wählte die Nummer zu Ende und gab ihr dann das Telefon.
Mit Panik in der Stimme fragte sie: „Was soll ich denn sagen?“
„Frag ihn, ob er weiß, wer dran ist. Wenn er es tatsächlich ist, erkennt er dich bestimmt an der Stimme.“
Ihre Panik war ihr offenbar anzusehen, denn sein Blick wurde ein bisschen freundlicher. „Er ist sicher erleichtert, von dir zu hören.“
„Hallo?“, meldete sich eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
Sie merkte, dass sie plötzlich einen Kloß im Hals hatte, und brachte kein Wort heraus. Hilfesuchend schaute sie zu Zac. War er das? Der Mann, mit dem sie verlobt war? Der Mann, den sie eigentlich lieben sollte? Aber müsste sie dann nicht wenigstens seine Stimme wiedererkennen?
„Hallo?“, fragte die Stimme noch einmal, jetzt schon ein wenig ungeduldig. Oder vielleicht auch erwartungsvoll und erfreut.
„Hallo, Brad, bist du das?“
„Lucy? Lucy, bist du es?“
„J… ja.“
Am anderen Ende der Leitung war ein lauter Fluch zu hören und dann: „Hast du eine Ahnung …“ Doch er unterbrach seinen Ausbruch selbst durch einen tiefen Seufzer. „Wo bist du?“
Sie zögerte plötzlich, es ihm zu sagen. „Ich … ich bin oben im Norden. Ich hatte einen Unfall und habe eine Kopfverletzung. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“
„Das weiß ich schon, weil ich mich mit dem Krankenhaus in Verbindung gesetzt habe. Sie suchen dich, Lucy.“
„Wer?“
„Wer dich sucht? Na, die Polizei. Alle. Ich habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“
„Die Polizei?“, fragte sie entgeistert und sah Zac an, der daraufhin die Augenbrauen zusammenzog.
„Ich sage gleich der Polizei Bescheid, dass du wiederaufgetaucht bist. Wieso hast du mich denn nicht angerufen? Ich habe mir solche Sorgen gemacht“, sagte er.
„Ich habe doch schon gesagt, dass ich mich an nichts erinnern kann“, erklärte sie.
Daraufhin folgte ein so langes Schweigen in der Leitung, dass sie fast gefragt hätte, ob er noch am Apparat sei.
„Was soll das heißen – an nichts?“, fragte er schließlich.
„Ich … ich kann mich an die vergangenen siebeneinhalb Monate nicht mehr erinnern.“
Wieder Schweigen. Dann: „An gar nichts?“
„Nein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich nach Portland gezogen bin, nicht daran, dass ich dich kennengelernt habe, und auch an kein einziges Date. Wir mussten ziemlich lange am Computer recherchieren, um überhaupt deinen Namen herauszubekommen.“
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“
Irgendetwas an seinem Ton kam ihr merkwürdig vor, aber ihre Wahrnehmung war auch noch nicht wieder so wie vor dem Sturz, und außerdem war er wahrscheinlich immer noch in einer Art Schockzustand wegen ihres plötzlichen Verschwindens.
„Du erinnerst dich nicht mehr an unsere Hochzeit?“, fragte er völlig fassungslos.
„Nein. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich auf dem Fliesenboden der Damentoilette in einem kleinen Lokal wieder zu mir gekommen bin.“
„Wird … also kommt dein Gedächtnis denn zurück?“, fragte er.
„Das kann keiner sagen. Es ist möglich, aber nicht sicher. Ich hatte Angst und bin … ich bin nach Norden gefahren.“
„Ich komme und hole dich ab. Wo bist du denn?“
Sein Angebot erschreckte sie. Ihr war klar, dass das albern war, aber er hatte irgendetwas an sich, das ihr gar nicht gefiel – etwas Berechnendes.
Das bildest du dir sicher nur ein, Lucy. Er war dein Verlobter, um Himmels willen.
„Vielen Dank, aber das brauchst du nicht. Ich möchte lieber erst einmal eine Weile hierbleiben. Ich brauche noch Ruhe und muss mich erholen.“
Zac schüttelte entschieden den Kopf und formte mit den Lippen ein Nein , während Brad versuchte, sie dazu zu überreden, zurückzukommen. In ihrem Kopf begann es jetzt wieder zu pochen. Brad argumentierte weiter, aber sein scharfer Ton tat ihr in den Ohren weh, sodass sie beschloss, das Gespräch zu beenden.
„Ich muss jetzt aufhören, Brad“, sagte sie und unterbrach ihn in seinem Redefluss.
„Aber du kannst doch nicht einfach wegbleiben, Lucy. Du hast hier einen Job und Freunde … und mich. Lass mich doch …“
„Ich rufe dich wieder an“, sagte sie zum Abschluss und legte dann auf, bevor er weiterreden konnte. Ihr Herz raste, und sie hatte Mühe zu atmen.
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