»Und was steht mir bevor?«
»Na, ich dachte, ich werde dich so nach und nach mit den Geheimnissen diverser Köstlichkeiten bekannt machen. Heute Abend ist der offizielle Beginn der Planumsetzung.«
Das war schneller gesagt, als darüber nachgedacht. Ich merkte, wie mir das Blut abermals in die Wangen schoss, während mir klar wurde, auf welch vielfältige Weisen man meine Ankündigung verstehen konnte. Auf eine entsprechende Reaktion brauchte ich natürlich gar nicht erst warten …
»Da bin ich aber sehr gespannt. Ich lerne doch ausgesprochen gern die Geheimnisse verschiedener Köstlichkeiten von dir!«
Robert grinste anzüglich und verließ seinen Platz am Küchentisch augenblicklich, um mich von hinten zu umfassen und mir eng an mich geschmiegt beim Rühren in diversen Töpfen zuzusehen. Er strich meine Haare zurück und begann leicht und verspielt an meinem Ohrläppchen zu knabbern, was mir unablässig kleine Stromstöße durch den ganzen Körper schickte – mmmh – sehr schön,… aber leider nicht produktiv, denn ich hatte Mühe, dem köchelnden Essen in den Töpfen genügend Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
»Nicht, dass mir das nicht gefallen würde«, murmelte ich ein bisschen verlegen, »aber wenn du nicht willst, dass mir alles anbrennt, weil ich mich nicht mehr konzentrieren kann …«
»Okay, schade.« Robert verzerrte das Gesicht gespielt gequält und ließ mein Ohr mit einem lauten Seufzer frei. Schade …
»Dort oben rechts findest du Teller. Wir können nämlich essen«, trug ich ihm wenig später auf, mir erneut zur Seite zu stehen. Ich deutete auf den Schrank mit den Tellern und stellte schnell die Vanillesoße auf den Balkon, damit sie noch ein wenig abkühlen konnte.
»Leider habe ich keinen Wein da«, entschuldigte ich mich.
»Das ist nicht schlimm. Es sieht auch so alles verlockend köstlich aus«, meinte Robert und half mir den Tisch zu decken und die Teller zu füllen.
»Lass es dir schmecken«, sagte ich und guckte ihm voller Liebe und Erstaunen beim Essen zu. Selbst bekam ich kaum einen Bissen herunter, geschweige denn, dass ich hätte sagen können, wie das, was ich mir ab und an auf die Gabel schob, eigentlich schmeckte. Was für ein schöner Mann! Dies war so ein Moment, in dem ich kaum glauben konnte, dass Robert tatsächlich hier mit mir saß und wegen mir hier war. So viel Glück war nicht wirklich fassbar für mich.
»Es ist sooo lecker! Wieso kannst du so gut kochen?«, frage er undeutlich zwischen zwei vollen Gabeln.
»Hmmm, ich habe einfach Freude daran. Ich habe schon als Kind gern in der Küche mitgeholfen. Wenn meine Mutter gebacken hat, habe ich immer etwas Teig abbekommen und durfte meinen eigenen Kuchen backen. Oder ich bekam ein paar Möhrenstückchen ab und habe in einem kleinen Topf eine eigene kleine Suppe gekocht. Das war purer Spaß für mich und ist es auch heute noch.«
Ich musste schmunzeln: »Ja, und während meiner zehn englischen Monate musste ich notgedrungen ab und an mal das Kochen in meiner Gastfamilie übernehmen, sonst wäre ich wahrscheinlich gestorben vor Hunger nach etwas anderem außer Frittiertem mit Schlabbergemüse. Die Smiths waren wirklich die liebsten Menschen, die man sich vorstellen konnte, aber gekocht haben sie leider allen bekannten Stereotypen entsprechend, die man von der britischen Küche so kennt.«
»Okay, ich verstehe«, lachte Robert. »Manche Dinge dort sind wirklich sprichwörtlich ein harter Brocken und nur schwer zu schlucken.«
»Du hast vorhin gesagt, du hättest Familie in der Nähe von Plymouth. Dein Vater?«
»Ja, genau. Mein Vater ist Professor an der Universität von Plymouth. Er ist Meeresbiologe und beschäftigt sich mit allerlei nassem Kleingetier und so. Er und Judith, seine Frau, haben zusammen mit meinen Großeltern ein Landhaus unweit der Stadt. Naja, und mein Bruder Jonathan und seine Freundin Zoe wohnen auch in Plymouth. Mein Bruder promoviert gerade über irgendwelche Algen im Atlantik. Er ist auch Meeresbiologe, hält es aber mehr mit dem ganzen Grünzeugs unter Wasser.«
»Wirst du dort wohnen?«
»Bei meinem Vater, ja. Bei Jon und Zoe ginge das nicht. Die haben quasi ein Wohnklo gemietet.«
»Ein was?«, fragte ich lachend nach.
»Ein Wohnklo. Die Wohnung hat, glaube ich, 27 qm, ist also noch viel kleiner als euer kleines Reich hier. Das ist für zwei Leute ziemlich eng. Aber die beiden sind kreativ und handwerklich ein gutes Team. Da sie hohe Decken haben, haben sie beispielsweise eine zweite Ebene eingezogen, die sie als Schlaf- und Liegefläche nutzen. Eigentlich ist ihre Wohnung die perfekte Ausstellungswelt für Ikea. In den Modellzimmern dort wird doch auch immer gezeigt, was man alles Erstaunliches auf kleinstem Raum unterbringen kann.«
Robert lachte. »Also, Gäste können dort auf keinen Fall schlafen. Wenn die beiden Besuch haben, wird dieser immer bei meinem Vater einquartiert. Dort ist mehr als ausreichend Platz. Aber da du ja versprochen hast, mich in good old England zu besuchen, wirst du alles bald selbst sehen.«
Ich versuchte den Gedanken, dass uns nur noch wenige Stunden bis zu Roberts Abreise blieben, ganz weit wegzuschieben und antwortete deshalb bemüht erwartungsfroh: »Ich bin schon echt gespannt!«
Nach dem Essen räumten wir zusammen die Küche auf.
»Wann musst du am Montag eigentlich los?«, fragte ich nun doch traurig, als ich wieder an das bevorstehende vorübergehende Ende unseres Glücks dachte.
»Ich fliege um fünf Uhr morgens nach Frankfurt und dort um sieben nach London. Von Heathrow geht’s dann noch weiter nach Plymouth, wo ich irgendwann gegen zwölf Uhr Ortszeit ankommen werde. Das ist gegen ein Uhr mittags deutscher Zeit. Ich muss etwa vier Uhr morgens am Flughafen hier in Leipzig sein. Packen muss ich auch noch. Meine persönlichen Dinge sind ja nicht das Problem. Aber ich muss noch einige Unterlagen im Institut zusammensammeln und schauen, ob Momo, meine Assistentin, die du ja bereits kennst, alles vollständig bereitgelegt hat«, erklärte er mir ausführlich.
»Mein Wochenende ist bisher ein wenig anders als ursprünglich gedacht verlaufen. Aber ich bin froh, dass es so ist«, flüsterte Robert danach leise und nahm meine rechte Hand in seine beiden Hände.
»Bleib heute Nacht hier«, bat ich ihn spontan, als mir bewusst wurde, wie wenig Zeit uns tatsächlich nur noch blieb.
»Nichts lieber als das!«, antwortete er sichtlich bewegt und küsste mich liebevoll und schützend zärtlich.
Eng aneinandergekuschelt lagen wir lange wach und genossen einfach nur die Nähe zueinander. Irgendwann müssen wir beide dann doch eingeschlafen sein, denn ich wurde wach, als ich im Unterbewusstsein hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür geräuschvoll drehte und nur Augenblicke später Gepäck geräuschvoll im Flur zu Boden plumpste. Da außer mir und Kristin aber niemand einen Schlüssel zu unserer Wohnung hatte, musste ich wohl geträumt haben.
Robert schlief noch tief und fest. Er lag auf dem Bauch, sein Gesicht zu mir gewandt und hatte seinen linken Arm locker über meinen Bauch gelegt. Ich lächelte gerührt. Diesen Anblick würde ich nie wieder vergessen! Es war so einladend, sein schlafendes, schönes Gesicht aus dieser unmittelbaren Nähe zu studieren. Wie es wohl wäre, mit den Fingerspitzen seine Wangenknochen nachzuzeichnen, seine vollen Lippen zu berühren …? Schon hob ich meine Hand, um diesen Gedanken Taten folgen zu lassen, als im Flur plötzlich jemand laut meinen Namen rief.
OH GOTT!
Kristin war zurück.
Wie spät war es eigentlich? Was machte sie hier? Sie wollte doch erst am Sonntagabend kommen? Was sollte ich jetzt tun? Wenn sie in mein Zimmer kam? … ja und … wäre das so schlimm? Mein Herz raste durch den unmittelbaren Adrenalinschub. Was sollte ich nun tun? Meine Gedanken überschlugen und wiederholten sich.
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