„Du willst wissen, ob sie bei mir wohnt? Ja, sie ist seit fast zwei Wochen bei mir eingezogen. Mama, du hast gesagt, ich kann zu euch zurückkommen? Das würde ich gerne …“
„Ihr wohnt schon zusammen. Hast du dir das auch gut überlegt? Es geht doch nicht nur um dich, denk auch zur Abwechslung mal an die anderen.“
„Doch Mama, das habe ich mir sehr gut überlegt und ich bin wahnsinnig glücklich, dass sie hier ist.“ Am anderen Ende war zuerst Schweigen. „Dein letztes Wort? Ich habe mit allen gesprochen, mit Papa, Angelika und sogar ihren Eltern. Du kannst das alles noch retten, nur wollen musst du!“
„Und Melanie, wie steht sie dazu?“
„Melanie, nein, mit der habe ich nicht gesprochen, die ist zu weit weg. Außerdem ist sie bezüglich deiner Person nie objektiv.“
„Ach ja, auf gut Deutsch steht ihr kein Urteil zu. Ich werde sie selber fragen. Mal angenommen, ich geh auf deinen Vorschlag ein, wo bleibt dabei Mona? … Keine Antwort ist auch eine Antwort. Mama, noch mal. Ich verlass Mona nicht.“
Wieder kurzes Schweigen. „Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen. Denn beides geht nicht. Entweder oder! Du hast dich entschieden. Ich verstehe. Leb wohl.“ Mike hörte nur noch ein Knacken in der Leitung. Seine Mutter hatte, ohne die Antwort abzuwarten, aufgelegt.
Mona war nachdenklich. „Ich verstehe deine Mutter nicht. Ich denke, sie hat nichts gegen mich als Schwarze, zumindest nicht viel. Sie muss ja wahnsinnig an dieser Angelika hängen.“ Mike nickte. „Die beiden waren ein Herz und eine Seele, du kannst dir das nicht vorstellen. Na ja, das war’s dann wohl mit meinen Eltern. Wenigstens tickt Melanie anders. Meine Mutter hätte sie mit keinem Wort erwähnt.“
„Es ist schon traurig, wie sie deine Schwester abgebürstet hat. Damit weißt du aber, dass sie zu dir steht. Gib deiner Mutter Zeit, es wird sich schon noch einrenken.“
„Ich hoffe, Mona. Stell dir nur einfach vor, es wäre deine Familie.“
„Bei meiner Familie stimmt auch einiges nicht.“ Mona erzählte Mike von dem Vorfall mit Kai und der Reaktion von ihrer Mutter.
Das Elternhaus von Mike war eine Doppelhaushälfte im Wohngebiet Breitwiese aus den 70er Jahren mit Garage und Garten an der Rückseite, direkt am Fluss Rems gelegen. Schönster Raum im Innern war das Wohnzimmer mit offenem Kamin. Die übrigen Räume waren klein und verhältnismäßig niedrig. Auffallend waren die vielen Blumen und Pflanzen um das Haus herum wie auch im Haus.
Dort diskutierte Familie Häußler, wie mit der gesamten Situation umzugehen ist. Mike hatte umgehend nach dem Telefonat mit seiner Mutter mit Melanie gesprochen. So zornig und wütend hatte er bisher seine Schwester noch nicht erlebt.
Melanie fuhr am Wochenende ohne ihren Mann Michael nach Lorch. Bitterböse stellte sie besonders ihre Mutter zur Rede und ermahnte sie mehrfach, ihren Sohn wieder in den Familienkreis aufzunehmen. Ihre Mutter war aber nicht zu erweichen. Im Gegenteil, der Mahnruf mündete in einen offenen Streit. Melanie konnte nicht verstehen, dass ihre Mutter Angelika höher stellte als Mike. Schließlich eskalierte die Auseinandersetzung derart, dass sie ihrer Mutter regelrecht drohte. Wenn sie nicht einlenkt, hat sie bald keine Kinder mehr. Auch sie, Melanie würde sich dann von ihr abwenden. Jetzt bekam es Uwe, der Vater, mit der Angst zu tun, das wollte er auf keinen Fall. Er bat aber um Zeit. Melanie verstand und billigte ihrer Mutter diese Zeit zu. Zugleich machte sie ihr deutlich, dass dieses Zeitfenster auf keinen Fall über das Jahr hinausgehen wird.
Nachdem Melanie wieder abgefahren war, machte sich die Mutter Luft. Sie sah sich als das Opfer. Leid tat ihr, dass sie so heftig auf die Rassismus-Schiene aufgesprungen war. Noch war sie nicht bereit, hier auch nur etwas zurückzustecken oder sich gar zu entschuldigen.
Sie konnte sich nur nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Mike für eine farbige Frau Angelika in die Wüste geschickt hatte. Im Prinzip hätte sie auch keine andere Frau für ihren Sohn akzeptiert, Angelika war für sie die Wunschpartnerin für ihren Sohn schlechthin. Christiane und Angelika hatten sich blendend verstanden und das wollte sie nicht aufgeben.
Mike hatte das durchaus richtig erkannt. Dass Mikes neue Freundin eine …, sie wusste noch nicht einmal, wo seine Freundin überhaupt herkam. Nur das ihre Mutter Migrantin war, wusste sie. Als ihr Mann Uwe für sie überflüssigerweise noch bemerkte, dass die neue Freundin doch für sein Selbstverständnis ungewöhnlich hübsch sei, verbot sie sich jedes weitere Gespräch zu diesem Thema. Womöglich wollte er diese Frau eines Tages auch noch heiraten, da sie schon zusammengezogen waren.
Die Geschwindigkeit, mit der diese Beziehung sich entwickelte, bereitete ihr Unbehagen. Christiane hatte eine fast panische Angst davor, dass Nachbarn und Bekannte über sie schlecht reden könnten und das noch in einer Kleinstadt wie Lorch. Das Horrorszenario zum Gespött aller Leute zu werden, bereitete ihr große Sorge. Die Auflösung der Hochzeit hatte sich natürlich in der Stadt in Windeseile verbreitet, auch das Mike mit einer „Negerin“ zusammen war. Wenn sie zum Einkaufen und auf den Markt ging, wurde sie ab und zu darauf angesprochen. Ihr Mann versuchte sich mit Sprüchen herauszuhalten oder auszuweichen.
An einem Morgen im März bekam Mike Post von einer Rechtsanwaltskanzlei aus Schwäbisch Gmünd. Angelikas Vater wollte sein Geld für die Wohnung zurück. 50.000 Euro sollten in vierzehn Tagen beglichen werden, ansonsten werde gepfändet. Nachdem Mike sich mit Mona besprochen hatte, war er entschlossen, die Wohnung zu verkaufen, doch dafür brauchte er mehr Zeit. In diesen zwei Wochen setzte nun ein heftiger Schriftwechsel ein, der aber im Ergebnis keine wesentlichen Änderungen brachte, außer einer Fristverlängerung mit vier Wochen. Eine Klage wollte er nicht riskieren, da hier weitere Kosten zu erwarten waren.
Und wieder half einmal mehr Mona! Sie informierte ihren Vater, worauf sich ihre Eltern zu einem Sonntagsbesuch einladen ließen. Der Antrittsbesuch war in den Augen von Thelma und Martin überfällig, wollten sie doch endlich den neuen Freund ihrer Tochter kennenlernen. Beide waren sehr gespannt auf Mike.
Martin überraschte das sehr gepflegte Haus mit den gedrechselten hölzernen Eingangstüren. Nachbar Otto Schulze aus dem Hinterhaus war gerade im Hof, um wie immer nach dem Rechten zu sehen. Er war bereits seit mehreren Jahren Rentner und mit dem Zuzug im Haus überhaupt nicht einverstanden. Seitdem das Haus an eine Immobiliengesellschaft verkauft und erst vor wenigen Jahren aufwändig saniert worden war, hatte sich die Klientel stark verändert.
Die alten Mieter waren ausgezogen bis auf ihn. Er wohnte im Erdgeschoss in der einzigen nur oberflächlich renovierten Wohnung zur Miete. Besonders auf dem Kieker hatte er alle, die nicht in sein Weltbild passten. Das war über die Hälfte der Bewohner. Die Bewohner waren nicht nur unterschiedlicher Herkunft, so eine österreichische Familie, ein französisches und ein italienisches Paar, zwei irische Familien und eine iranische Arztfamilie. Es gab auch gleichgeschlechtliche Paare. Die alte Wohnkultur war für ihn verlorengegangen.
Mit Mike hatte er sich anfangs gut verstanden, da er Verständnis für seine Situation zeigte und viel hinterfragte. Seit Mona jedoch eingezogen war, kühlte sich dieses Verhältnis stark ab. Sie passte für ihn einfach nicht in das Haus. Glücklicherweise war die übrige Nachbarschaft tolerant und aufgeschlossen. Es herrschte sogar ein ausgesprochen gutes Verhältnis, insbesondere der Bewohner in der direkten Nachbarschaft. Man konnte es als freundschaftlich bezeichnen.
Als Herr Schulze nun Martin mit Thelma hereinkommen sah, stürzte er auf sie zu. „Wat wollen sie hier. Ick hab Sie hier noch nie jesehn!“
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