1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Auf der Wiese östlich des Dorfes saßen zwei junge Krieger und spielten Flöte. Es war eine einfache Weise, und sie galt den Mädchen, die sie liebten und zu einem Stelldichein in der Nacht überreden wollten. Aber die Großmütter in den Zelten hatten wohl überall einen leisen Schlaf, auch in den Zelten der Siksikau, und es war nicht leicht, sie zu überlisten.
»Gehe du jetzt schlafen«, sagte Mattotaupa zu Harka. »Ich begebe mich zu dem Häuptling und bleibe vorerst dort. Du kannst dem Mädchen Nordstern sagen, dass ich nichts mehr essen will, da ich vom Häuptling geladen sei und dort sehr lange bleiben würde. Sie soll sich schlafen legen. Gehe du auch schlafen und stelle dich so, als ob du sehr tief schliefest. Wenn Nordstern wirklich einen Kundschafter erwartet, werden er und sie die scheinbar günstige Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Ich aber bleibe nicht im Zelt des Häuptlings, sondern spähe nachts umher, ob sich ein Feind anzuschleichen versucht.«
»Welches ist unser Zeichen?«
»Ich bin ein Kojote, du bist ein Hund. Wenn wir einander warnen wollen, geben wir dreimal Laut. In Gefahr kläffen oder bellen wir wild.«
»Hau, Vater.«
»Unsere Feuerwaffen bringen wir in das Zelt des Häuptlings, damit sie nicht gestohlen werden, wenn sich ein Kundschafter in unser Zelt zu dem Mädchen einschleicht. Du allein könntest einem Feind doch nicht widerstehen. Du sollst nur das Mädchen belauschen.«
»Hau.«
Die beiden gingen zu ihrem neuen Zelt zurück. Der Sonnenball war schon unter den Horizont gesunken, und die Dunkelheit, in der die Gefahren für Mensch und Tier größer wurden, breitete sich über das Land. In vielen Zelten war das Feuer bereits gedeckt. Sie lagen, von außen her gesehen, ganz im Dunkeln. Bei einigen ließ sich an den Ritzen noch der Feuerschein im Innern erkennen; dazu gehörte auch das Zelt des Häuptlings. Dorthin begab sich Mattotaupa, und Harka brachte ihm alle Feuerwaffen dorthin. Dann lief er wieder zu dem Zelt am Südende.
Es war im Innern des Zeltes recht düster, denn Asche lag über der Glut. Das Mädchen saß still im Hintergrund. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt, da nichts mehr zu tun war, wenn der Herr des Zeltes nicht neue Befehle gab. Harka richtete aus, was Mattotaupa ihm aufgetragen hatte, und bezog dann seine angenehme Schlafstatt. Auch das Mädchen kleidete sich aus, legte sich hin und deckte sich zu. Harka schlief schnell ein. Er hatte beschlossen, die ersten Nachtstunden zu einem wirklich tiefen Schlaf zu nutzen. Wer wusste, was später geschehen würde! Um Mitternacht wollte er wieder wach werden. Er glaubte sich darauf verlassen zu können, dass sein Körper seinem Willen gehorchen würde.
Aber das war nicht ganz in dem Maße der Fall, in dem der Knabe es von sich gewohnt war. Nach einer ersten halben Stunde tiefen Schlafes begann er, unruhig von seiner jüngeren Schwester daheim zu träumen, die er sehr geliebt hatte. Er wurde auch einmal wach, öffnete aber die Augen nicht, sondern zwang sich, wieder einzuschlafen. Es quälten ihn von da ab richtiggehende Angstträume. Er sah in der Ferne seine Schwester stehen, die ihn um Hilfe rief; er konnte ihr aber nicht helfen, weil seine Füße fest an den Boden angezaubert waren.
Als er das zweite Mal erwachte, begann er darüber nachzudenken, warum er so schlecht träumte. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung. Erst lauschte er nur. Als er die gleichmäßigen Atemzüge des Mädchens vernahm, die die einer Schlafenden waren, machte er die Augen auf, gewöhnte sich an die Dunkelheit und konnte allmählich dies und jenes in Umrissen erkennen. Es war im Zelt durchaus nichts verändert. Wie lange er allerdings geschlafen hatte, war nur schwer zu sagen, da es weder eine Uhr noch das Signal eines Nachtwächters noch durch die Büffelhautplanen hindurch einen Ausblick auf die Sterne gab.
Der Vater war jedenfalls noch nicht ins Zelt zurückgekommen. Harka hatte keine Lust, ein drittes Mal einzuschlafen. Er begann von neuem zu grübeln. In der Stille der Nacht und im tiefen Dunkel war es am leichtesten, seinen Gedanken nachzuhängen. Er glaubte wieder diesen Namen zu hören: Tashunka-witko. Es gab sehr wenige Geheimnismänner und Häuptlinge bei den Dakota, deren Namen und Einfluss über das eigene Zeltdorf oder eine Gruppe solcher Verbände hinausreichten. Zu diesen wenigen rechneten Tatanka-yotanka, der Zaubermann, und Tashunka-witko, der Häuptling: Sie gehörten beide zu den Dakotastämmen, die die westlichen Prärien bewohnten, und es gab keinen Zweifel, dass sie sich persönlich kannten. Tatanka-yotanka hatte der Ratsversammlung der Bärenbande beigewohnt, die Mattotaupa schuldig gesprochen und verbannt hatte. Diese Tatsache hatte Mattotaupa dem Zauberer der Schwarzfüße nicht mitgeteilt. Aber es war so gewesen. Tatanka-yotanka wusste von Mattotaupa und von Harka, und daher wusste aller Wahrscheinlichkeit nach auch Tashunka-witko von den beiden. Vielleicht hatte auch das Mädchen, das hier im Zelt schlief, schon von Mattotaupa und Harka erfahren, ehe sie in Gefangenschaft geriet. Vielleicht hatte sie sogar dem Dakotakundschafter, der bei ihr gewesen sein sollte, etwas davon gesagt, dass Mattotaupa und Harka hier in den Zelten weilten. Das Mädchen rührte sich in seinen Decken, aber mit den typischen Bewegungen einer Schlafenden.
Harka dachte auch über die Vermutungen nach, die der Vater ausgesprochen hatte. Es war wirklich unwahrscheinlich, dass ein so gewagter Kundschaftergang, der mitten in die Zelte der Siksikau führte, ein zweites Mal unternommen wurde, wenn er das erste Mal geglückt war. Viel eher war mit einem Überfall zu rechnen, oder wenn nicht das, so vielleicht mit einem Versuch, das Mädchen zu befreien.
Nordstern fing offenbar an zu träumen. Sie bewegte sich lebhaft und stieß sogar Laute aus. Harka lauschte angestrengt, um zu verstehen, was sie im Traum sagen wollte. Sie lallte aber nur. Doch jetzt – war das nicht ein Name gewesen? Aber Tashunka-witko hatte sie nicht gesagt. Vielleicht liebte sie irgendeinen jungen Dakotakrieger, der sie in sein Zelt hatte holen wollen, ehe sie die Gefangene der Siksikau wurde. Ihr Traum schien beendet zu sein. Sie atmete sehr tief und lag dann ruhig. Ihre Atemzüge wurden wieder ganz regelmäßig.
Harka ärgerte sich über sich selbst. Dieses Mädchen konnte schlafen, er aber, ein Junge, war zu aufgeregt dazu! Eine Schande war das. Aber ehe er sich nochmals einzuschlafen zwang, musste er sich vergewissern, welche Stunde es war. Er stand nicht auf, ging nicht zum Zeltausgang, weil er das Mädchen nicht wecken wollte. Leise legte er die Decken beiseite, kroch zur Zeltwand, lockerte vorsichtig einen Pflock und schob den Kopf unter der Plane hinaus. Er wollte nach den Sternen lugen. Aber dazu kam er nicht mehr.
Eine Hand packte ihn am Hals und würgte ihn, so dass er nicht den geringsten Laut von sich geben konnte. Er griff nach den Fingern der feindlichen Hand, um sie einzeln aufzubiegen, versuchte auch, sich mit den Füßen einzustemmen, aber die Zeltplane, unter der er den Kopf durchgesteckt hatte, war ihm sehr hinderlich. Schon waren auch seine Füße gepackt, und trotz seiner heftigen Gegenstöße wurde ihm eine Fessel um die Fußgelenke gebunden. Die Finger an seiner Gurgel ließen sich nicht wegreißen. Der Mann, der ihn gepackt hatte, war stark. Harka spürte die entsetzliche Angst des Erstickenden, und seine Glieder wurden allmählich schlaff. Es verging eine Zeit, in der er nichts mehr von sich wusste. Er hätte auch nicht sagen können, wie lange er bewusstlos gewesen war, als seine Sinne langsam wiederkehrten.
Zuallererst versuchte er tief Luft zu holen, aber das gelang ihm nicht. Er empfand einen quälenden Brechreiz. Dadurch kam ihm zu Bewusstsein, dass er geknebelt war. Er vermochte kaum zu atmen. Nur wenn er langsam und ruhig Luft durch die Nase einzog, ließ der erstickende Brechreiz nach, und er konnte leben. Er versuchte sich zu rühren, aber die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden und die Füße zusammengefesselt. Er war ein Gefangener und befand sich in einer erbärmlich hilflosen Lage. Das Einzige, was er noch zu tun vermochte, war, die Vorgänge um sich herum zu beobachten.
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