1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Von fern her erschallte wütendes Geschrei. Das war Kriegsgeschrei! Der Kriegsruf der Dakota gellte von Süden her; wie gut kannte ihn Harka von daheim. »Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!« Wie oft hatte der Vater als Kriegshäuptling der Bärenbande diesen Ruf als Erster ausgestoßen. Jetzt waren die, die ihn erhoben, zu Harkas Feinden geworden, und er horchte lieber auf das Rufen und Brüllen der Siksikau, die mit den Dakota auf der Prärie draußen in Kampf geraten sein mussten. Harka war wieder ganz in das Zelt hineingezogen worden. Er sah den Schatten eines schlanken Mannes, und neben ihm sah er das Mädchen, das sich erhoben und angekleidet hatte. Der Mann hatte zu sprechen begonnen: »Uinonah, Tochter der Dakota! Du bist frei und wirst zu uns zurückkehren. Roter Pfeil, der dich liebt, kämpft draußen in der Prärie mit unseren Kriegern zusammen gegen die räudigen Siksikau. Alle Krieger aus den Zelten der Siksikau sind draußen im Kampf. Wir haben diese Stinktiere hier überlistet. Unsere Krieger griffen von Süden an; ich aber kam im Bogen von Norden, um dich zu holen. Du hattest mir recht berichtet. Mattotaupa ist hier, und er hat unsere Krieger aufgespürt und das Dorf gewarnt, so dass wir unvermutet früh auf diese schmutzfüßigen Kojoten stießen: Doch werden wir siegen, und Mattotaupa stirbt durch meine eigene Hand. Hörst du unseren Kriegsruf?«
»Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!«, gellte es wieder von der Prärie her, und dawider schallten die Kampfrufe der Siksikau: »Hai-jah-jiep!«
»Komm, Uinonah! Diesen Knaben in Fesseln nehmen wir mit. Er ist ein Kind der Dakota. Er gehört uns. Hau!«
Der Mann kam mit zwei schnellen Schritten zu Harka herbei, wickelte ihn in eine Büffelhautdecke, warf ihn über die Schultern wie eine Jagdbeute und eilte mit dem Mädchen zusammen aus dem Zelt hinaus. Harka konnte nichts mehr sehen, da die Decke auch über seinen Kopf geschlagen war. Während er schwer nach Luft rang, vernahm er noch etwas von dem Kriegsgeschrei, aber es schien, dass Tashunka-witko, der den Knaben erbeutet und das Mädchen befreit hatte, nicht zu dem Kampfgebiet hineilte, sondern in eine andere Richtung, in der er unbeobachtet blieb.
Harka litt allmählich derart an Atemnot, dass er nichts anderes mehr denken, wahrnehmen oder empfinden konnte als: Luft! Luft! Er wusste nicht mehr, wohin er getragen wurde oder wie lange er so fortgetragen wurde, aber da er sich dem Erstickungstod nahe glaubte, schien es ihm unendlich lange.
Als er zu Boden geworfen wurde, fiel er nicht hart. In seiner Qual versuchte er, die Decke, die ihm das Atmen noch mehr erschwerte, von seinem Gesicht wegzustreifen oder sich daraus hinauszuschieben. Er krümmte und streckte sich wie ein Wurm, ohne zu erreichen, was er wollte, und die Anstrengung erschöpfte ihn vollends. Aber da wurde ihm die Lederdecke auch vom Gesicht genommen, und nicht nur vom Gesicht, nein, sie wurde ganz aufgeschlagen, und die kühle Nachtluft strich über seine Haut, die von Angstschweiß nass war. Er machte die Augen auf und versuchte wieder ruhig Luft zu gewinnen, nur ruhig, ganz ruhig, das war die einzige Möglichkeit. Er sah den Sternenhimmel und neben sich die schlanke Gestalt Tashunka-witkos, der ihn weggeschleppt hatte, und er sah auch die Mädchengestalt, alles dunkel, im Nachtschatten zerfließend, denn der Mond schien nicht, und die Sterne flimmerten mit schwachem Licht. Die Geräusche des Kampfes, heisere Schreie waren aus größerer Entfernung noch zu hören. Es fielen aber keine Schüsse: Mattotaupa war wohl ohne seine Feuerwaffen auf Kundschaft gewesen, und nun lagen diese noch im Häuptlingszelt. Die Schwarzfüße mussten die angreifenden Dakota aber ein gutes Stück nach Süden zurückgedrängt haben. Harka dachte an den Vater. Sicher befand er sich bei den kämpfenden Kriegern, und er wusste nicht, wohin sein Sohn unterdessen geschleppt wurde. Harka konnte ihm auch kein Zeichen geben.
Tashunka-witko sagte etwas zu dem Mädchen. Er flüsterte, aber Harka hatte gute Ohren, und bei allem, was jetzt geschah, ging es um sein ganzes Leben. Es ging nicht um seinen Tod, das hatte er schon begriffen, aber um sein ganzes Leben ging es. Er sollte nicht mehr der Sohn Mattotaupas sein; er sollte der jüngere Bruder Tashunka-witkos werden. Das wollte er nicht, und darum lauschte er auf die Worte, die der Dakota zu dem Mädchen sprach, wie auf die Worte eines Todfeindes.
»Diese schmutzfüßigen Hunde drängen die Männer der Dakota zurück. Ich muss meine Krieger unterstützen und kann nicht mehr für dich da sein, Uinonah. Flieh! Du weißt, wohin du zu laufen hast und wo du unsere Zelte findest. Laufe! Lauf!«
Das Mädchen zögerte keinen Augenblick, Tashunka zu gehorchen. Geschwind wie ein Reh floh sie südwärts in die Prärie hinaus. Sie hatte nichts bei sich als das Messer. Die Zelte der Ihren konnten nicht nahe sein. Für das Mädchen war das ein Weg auf Leben und Tod. Aber sie hatte ihn sofort gewählt.
Tashunka-witko bückte sich und nahm Harka den Knebel aus dem Mund. Der Knabe keuchte nach Luft und füllte seine Lunge. Dann schrie er laut auf, und er glaubte, dass Tashunka-witko ihn dafür sofort erstechen oder ihn wieder knebeln würde. Aber der Dakotahäuptling kümmerte sich gar nicht darum, dass der Knabe schrie. Das begriff Harka nicht. Er konnte darüber auch nicht nachdenken. Er musste dem Vater ein Zeichen geben, wo er sich befand. Das war nicht einmal das Wichtigste. Er musste den Vater wissen lassen, wo er Tashunka-witko finden konnte. Darum begann der gefesselte Knabe laut und wütend zu bellen wie ein Hund. Als er eine Pause machte, um Atem zu schöpfen, hörte er, dass Tashunka-witko auflachte und sagte: »Gut!«
Harka war verblüfft. Wenn das, was er tat, dem Feind nützte, handelte er sicher falsch. Was wollte der Dakota damit erreichen, dass er den Knaben schreien und Zeichen geben ließ? Blitzartig wurde Harka das einzig mögliche Motiv klar: Tashunka-witko wollte Mattotaupa und vielleicht noch einige Schwarzfußkrieger aus dem Kampf abziehen und dadurch seinen eigenen Männern Erleichterung verschaffen. Harka verstummte daher, aber es war schon zu spät.
Von Süden her schwirrten bereits die ersten Pfeile gegen den Dakotahäuptling, der aufrecht stehen blieb und mit einem Hohngelächter antwortete, als die gefiederten Geschosse zu kurz gingen und im Grasboden steckenblieben. Aber Harka hörte auch schon schnelle Füße; Schatten tauchten auf, und dann schrillte der Kriegsruf der Dakota, ausgestoßen von einer einzigen kräftigen Stimme: »Hi-jip-jip-jip …«
Das war die Stimme Mattotaupas. In der übermäßigen Erregung des Kampfes hatte er den altgewohnten Kampfruf angestimmt. Aber mitten im Ruf schnürte sich ihm die Kehle zusammen. Er sprang heran, mit Sätzen wie ein Berglöwe, und Tashunka-witko erwartete ihn, das Messer in der Faust. Keiner der beiden dachte mehr daran, Schuss- und Wurfwaffen zu gebrauchen. Harka lag auf dem Rücken am Boden. Aber da das Gelände eben war, konnte er übersehen, was geschah. Tashunka-witko wartete; er hatte die Knie leicht gebeugt. In dem Augenblick, in dem Mattotaupa zum letzten Sprung ansetzte, sprang auch er. Die beiden prallten in der Luft zusammen und stürzten, aber es gelang dabei keinem, den anderen auf den Rücken zu werfen. Sie fielen, von Harka aus gesehen, nach links, so dass Tashunka-witko den rechten, Mattotaupa nur den linken Arm frei behielt. Tashunka wollte mit dem Messer einen tödlichen Stoß führen, aber Mattotaupa fing den Arm seines Gegners ab, und es entwickelte sich ein erbittertes Ringen, dessen Bewegungen zu schnell waren, als dass Harka sie im Dunkeln hätte verfolgen können. Der Junge hatte sich aufgesetzt; daran hinderten ihn die Fesseln nicht. Er spreizte die Knie, krümmte seinen biegsamen Körper zusammen und nagte an seinen Fußfesseln. Wie er dabei feststellte, waren ihm die Füße nur mit einem Gürtel zusammengebunden, und er machte sich daran, mit den Zähnen die Knoten zu lockern.
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