»So sei es denn, wie du sagst!«, gestand Tashunka-witko zu.
Die Häuptlinge ließen sich nieder, um zu einer ersten Bekräftigung ihrer Worte ihre kurzen Pfeifen zu rauchen. Mattotaupa und Kluge Schlange brachten die beiden Schwerverletzten und den Toten herbei. Sie nahmen denjenigen Schwarzfußkrieger, dessen Leben am meisten gefährdet schien, mit sich, um ihn sogleich ins Zeltdorf zu schaffen und dort Pferde und Decken zu holen, mit denen der zweite Verwundete und der Tote zu den Zelten gebracht werden konnten.
Als Mattotaupa zu den Zelten kam, um den Schwerverletzten zu dem Zaubermann zu bringen, traf er sich mit Harka. Der Knabe erfuhr durch den Vater, was auf dem Hügel vorgegangen und was verhandelt worden war.
Dann berichtete Harka selbst, dass die Munition, die zu der geraubten Büchse gehörte, verschwunden war und Tashunka das Zeichen seiner Anwesenheit im Zelt Mattotaupas in den Boden eingeritzt hatte. In Mattotaupa stieg bei diesem Bericht eine derartige Wut auf, dass er sich nur noch mit Mühe beherrschte. Auch der Knabe erzürnte sich sehr, dass er seine doppelläufige Büchse aufgrund des Verhandlungsergebnisses endgültig verloren hatte.
Mit gerunzelter Stirn fragte er den Vater: »Warum ist Tashunka-witko so erpicht auf den Frieden, dass er uns dafür zwei Krieger zurückgibt?«
»Er hat erfahren, wie wir kämpfen. Der Angriff der Dakota auf unsere Zelte ist abgeschlagen.«
»Umso mehr muss Tashunka-witko uns fürchten, wenn wir wieder um zwei Krieger stärker sind.« Wenn der Knabe jetzt »wir« sagte, so meinte er die Gruppe der Siksikau, bei der er mit seinem Vater zu Gast war. »Dafür besitzt er dein Geheimniseisen, das in der Hand Tashunka-witkos eine gefährliche Waffe sein wird.«
»Warum habt ihr mich gezwungen, es ihm zu geben?!«
»Warum hast du es Tashunka immer vor die Augen gehalten, im Zelt und am Pfahl? Da beschloss er, es sich zu verschaffen!«
Harka senkte den Kopf. »Aber zwei Krieger sind dennoch mehr wert!«, beharrte er. »Warum gibt er sie her, und seine Männer zürnen nicht einmal darüber?«
»Die beiden Krieger, die er uns freigab, sind so schwer verletzt, dass sie im Kampf nie mehr die volle Kraft haben werden. Tashunka-witko hat auch überlegt, was er tut.«
»So scheint es, Vater.«
Während Mattotaupa sich mit einigen Männern, Pferden und Decken wieder auf den Weg machte, ging Harka zu seinem Grauschimmel. Wenn er den Vater nicht hatte, war dieses Tier sein einziger Vertrauter. Er setzte sich zu ihm und nahm wieder einen Grashalm zwischen die Lippen. Dass seine Büchse samt Munition verloren war, konnte er so leicht nicht verwinden.
Er hatte lange zwischen der Pferdeherde gesessen, als ein anderer Junge zu ihm kam, das war der Sohn des Schwarzfußhäuptlings. Die Knaben konnten noch nicht miteinander sprechen, aber der andere setzte sich zu Harka und blieb stillschweigend bei ihm. Die beiden saßen bis zum Abend beieinander, während vor zwei Zelten die Totenklage um die beiden gefallenen Krieger gesungen wurde.
Als es dämmerte, die Männer alle zurückgekehrt waren und Mattotaupa in das Zelt am Südende des Lagers ging, erhob sich Harka endlich, um auch heimzugehen. Der andere Junge begleitete ihn und kam einfach in das Zelt Mattotaupas mit.
Harka freute sich darüber viel mehr, als er je nach außen hin gezeigt hätte. Die Schwarzfußfrau bereitete Essen für Mattotaupa und dann auch für die Kinder und sich selbst. Zwar hatte Harka am Morgen schon etwas zu sich genommen, und er pflegte wie die Krieger nur einmal am Tag zu essen. Aber er versorgte eigenhändig seinen Gast mit am Spieß geröstetem Fleisch wie ein Häuptling den anderen. Auch nach dem Essen blieb der Schwarzfußjunge noch im Zelt, und wie spielend erklärte er seinen eigenen Namen »Stark wie ein Hirsch« und einige Worte seiner Sprache. Harka ging sogleich darauf ein, holte sich bei der Frau auch ein Stück Leder, um etwas aufzeichnen zu können. Er wollte dem anderen Jungen klarmachen, dass er beabsichtige, endlich auf Antilopenjagd zu gehen. Jetzt, nachdem die Waffen schwiegen, konnte der Vater nichts mehr dagegen haben.
Mattotaupa gab denn auch seine Zustimmung für den übernächsten Tag, und Stark wie ein Hirsch war voller Feuer für dieses Vorhaben. Das war der erste Augenblick, in dem es Harka nicht so sehr schmerzte, dass er seine Büchse nicht mehr besaß. Auch Stark wie ein Hirsch hatte nur Bogen und Pfeil, und die beiden Jungen wollten die gleichen Waffen führen. Es ergab sich ganz von selbst, dass Stark wie ein Hirsch auch für die Nacht in Mattotaupas Zelt blieb.
Harka ahnte, dass es gerade der Verlust seiner Geheimniswaffe war, der bei dem anderen den Damm scheuer Zurückhaltung endgültig durchbrochen und Harka so für den Verlust der Waffe mit dem Gewinn eines Freundes belohnt hatte. Er selbst fing an, ruhiger über diesen Verlust nachzudenken. Der Vater hatte nicht unrecht; Harka hatte allzu sehr mit dem Besitz der Geheimniswaffe geprahlt. Was Tashunka-witko anbelangte, so konnte der Junge nicht einmal mehr mit Zorn an ihn denken. Das tollkühne Verhalten des Häuptlings und Mattotaupas Zweikampf mit ihm hatten allen bewiesen, dass die Dakota keine schlechten Krieger waren, und niemand würde sagen dürfen, Harka stamme aus einem Volk von Feiglingen.
Das, wonach der Sohn des Geächteten am meisten verlangte, Achtung und Freundschaft von seinesgleichen, schienen auf einmal da zu sein. Während er sich auf seinem Lager ausstreckte und noch mit offenen Augen ins Dunkle schaute, gingen seine Gedanken zu der Antilopenjagd und noch weiter zu Bildern einer Zukunft, in der er selbst ein Krieger und Häuptling und der Bruder seines neuen Gefährten Stark wie ein Hirsch werden wollte.
»Vater!«, sagte er aus diesen Gedanken heraus, leise, aber vernehmlich, da er wohl bemerkt hatte, dass Mattotaupa noch nicht schlief, und zugleich in der Gewissheit, von keinem anderen als diesem verstanden zu werden. »Noch sind wir Gäste in den Zelten der Siksikau. Wann werden wir als Krieger in ihren Stamm aufgenommen?«
»Sobald du die Proben bestehst, Harka Wolfstöter, die dich würdig machen, ein Krieger genannt zu werden, und sobald ich mich an denen, die mich aus dem Stamme der Dakota vertrieben, gerächt habe, so dass niemand mehr wagen darf, mich einen Verräter zu nennen.«
»Bis ich ein Krieger werde, gehen noch manche Sommer und Winter dahin, Vater.«
»Manche, Harka. Aber sie werden uns schnell vergehen, denn wir leben als Brüder freier und tapferer Männer.«
»So ist es. Wenn es soweit ist …« Harka brach ab.
»Sprich nur«, sagte der Vater.
»Ich denke an Tashunka-witko.«
»Was denkst du über diesen Mann, der unser Feind ist und mich beleidigt hat?«
Harka schluckte.
»Sage mir, Harka Steinhart, was für Gedanken in deinem Kopf bohren!«
Die Frage war in einem freundschaftlichen Ton gehalten, wie er sich zwischen Vater und Sohn in den gemeinschaftlichen Gefahren und Leiden der Verbannung herausgebildet hatte, aber es schwang auch ein Unterton darin mit, der neu war und den Harka noch gar nicht bemerkte. Ein eifersüchtiger Zweifel, wie er Einsame und Entrechtete leicht befällt, hatte sich in Mattotaupa gegenüber seinem Jungen geregt.
Harka antwortete ganz unbefangen: »Tashunka-witko hat eine Tochter der Dakota aus den Händen der Feinde befreit und zurückgeholt. Sie heißt Uinonah.«
»Wie meine Tochter, deine Schwester. Daran denkst du?«
»Ja!«, sagte Harka kurz und trotzig. Er fürchtete jetzt, dass der Vater ihm vorwerfen wolle, dass er zu weich sei. Aber er vermochte nicht, das Gefühl für seine Schwester zu verleugnen. Er sah sie wieder vor sich, in der Abschiedsnacht, als er aus den Zelten zu dem geächteten Vater in die Wildnis geflohen war. Da hatte Uinonah die Decke über das Gesicht gezogen, damit niemand sehen sollte, dass sie weinte. Jetzt musste sie unter Menschen leben, die ihren Vater verachteten, und Harka konnte sie nicht beschützen.
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