Tashunka-witko packte das heiße Eisen, an dem seine Haut kleben bleiben musste. Er schwang den Kolben hoch, sprang mit einem mächtigen Satz durch das Feuer hindurch und schlug den jungen Krieger nieder, der ihm dort im Wege stand.
Nach eine Sekunde der vollständigen Verblüffung brüllten die Umstehenden auf. Alles rannte nach der Seite, nach der Tashunka-witko entflohen war. Harka rannte mit, aber er empfand, das war nicht zu leugnen, eine gewisse Genugtuung über den Schaden, den der Gefangene mit der Büchse anrichtete.
Der Flüchtling war schon bei den Pferden. Die ersten Verfolger kamen zur Herde, als er sich bereits aufschwang. Den einen Pferdewächter hatte er ebenfalls mit dem Kolben niedergeschlagen, dessen Messer an sich gerissen. Jetzt brauste er in die Nacht hinein, auf dem Mustang des Häuptlings, dem hier kein zweites Pferd gleichkam. Ob er ihn bewusst oder zufällig gewählt hatte, konnte niemand wissen. Mit einem schrillen Hohngeschrei schwang der Entfliehende im Reiten die Büchse hoch über seinem Haupt.
Die Krieger sprangen auf die Tiere, und es begann eine wilde, halsbrecherische Jagd in die Finsternis. Die Verfolger spannten die Bogen und legten die Pfeile ein, aber Tashunka-witko hing sich an die Seite seines galoppierenden Pferdes, und wenn die Krieger nicht das Pferd erschießen wollten, konnten sie den Reiter nicht treffen. Er glitt schließlich unter den Bauch des Tieres, so dass er durch den Tierleib ganz gedeckt war. Der Fuß, mit dem er in der Haarschlinge am Rist des Mustangs hing, war in der Dunkelheit und bei der schnellen Bewegung über Wiesentäler und -hügel kaum wahrzunehmen.
Häuptling Brennendes Wasser war außer sich vor Zorn. Er versandte den Pfeil und schoss nach seinem eigenen herrlichen Tier. Es stürzte, und gleich darauf waren die Männer schon zur Stelle. Aber Tashunka-witko war verschwunden.
Die Verfolger zerstreuten sich, um in der Nacht zu suchen. Dahin und dorthin ritten sie, einige sprangen ab und suchten zu Fuß. Der Flüchtling war wie vom Erdboden verschluckt.
Die innere Unruhe der Dorfbewohner wurde nach außen hin nur in zweckentsprechendem Verhalten merkbar. Alle blieben wach. Die Alten und diejenigen Burschen, die sich nicht an der Suche nach dem Flüchtling beteiligten, hatten die Waffen zur Hand und spähten aus. Von den Frauen und Kindern gingen nur einige in die Zelte zurück. Viele blieben auf dem Dorfplatz, wo die großen Feuer langsam niederbrannten und der Opferpfahl zwischen rotem Flammenlicht und wachsenden Schatten fast lebendig wirkte.
Harka gesellte sich zu denen, die auf dem Dorfplatz umherstanden. In die einsame Behausung am Ende des Lagers zu gehen und dort allein zu sein, gelüstete ihn nicht. Wenn er daran dachte, glaubte er den Griff an der Gurgel wieder zu spüren. Auch der Junge aus dem Häuptlingszelt stand noch bei den Frauen, hielt aber sorgfältig Abstand von Harka.
Die Feuer erloschen. Der Wind der ausgehenden Nacht spielte mit der Asche. Die Burschen zogen den Pfahl heraus und brachten ihn wieder zum Zauberzelt.
Als der Morgen zu grauen begann, kehrten die Reiter, die nach dem Entflohenen gesucht hatten, ohne Erfolg, daher grimmig gelaunt zurück. Die beiden jungen Krieger, die der Flüchtling niedergeschlagen hatte, befanden sich in der Pflege des Zauberers.
Harka beobachtete, wie der Häuptling den Geheimnismann, dazu Krumm gehenden Wolf und Kluge Schlange in sein Zelt rief. Er bat auch Mattotaupa zu der Beratung. Mattotaupa hatte sich im Kampf gleich dem Häuptling ausgezeichnet und zwei Feinde getötet. Er hatte sich im Zweikampf als ebenbürtiger Gegner Tashunka-witkos erwiesen. Daher schien es den Siksikau wohl ratsam, auch seine Erfahrungen zu berücksichtigen und seine Meinung zu hören. Harka war stolz auf seinen Vater.
Während die Männer berieten, trafen sich die Knaben an der Badestelle. Harka spürte, dass auch sie alle von den Ereignissen dieser Nacht sprachen. Aber er konnte nicht verstehen, was gesagt wurde, und beschloss im Stillen, die Sprache der Siksikau jetzt so rasch wie möglich zu erlernen. Er hätte gern den Häuptlingssohn gebeten, ihm dabei zu helfen, denn er mochte diesen Jungen leiden. Er war gerade gewachsen, gerade wie ein Speer, und hatte aufrichtige Augen. Doch zeigte sich der Schwarzfußjunge weiterhin abweisend, und so blieb auch Harka für sich und unzugänglich.
Der Beratung im Häuptlingszelt verlief kurz und hatte zum Ergebnis, dass sich Brennendes Wasser und Mattotaupa in Begleitung von Kluge Schlange zu Fuß aufmachten, um alle Spuren bei Tageslicht genau zu prüfen. Sowohl der Schwarzfußhäuptling als auch Mattotaupa riefen ihre Söhne herbei, die noch beim Bach gestanden hatten. Solange die Krieger in der näheren Umgebung des Zeltlagers suchten, sollten die Jungen an der Fährtensuche teilnehmen, um zu lernen.
Nach stundenlangen mühseligen Untersuchungen kam zutage, dass Tashunka-witko, der zuletzt unter dem Bauch des Mustangs gehangen hatte, sich schon hatte ins Gras fallen lassen, ehe Brennendes Wasser das Pferd erschoss. Aus einem Eindruck im Sand zwischen zwei Grasbüscheln ließ sich das schließen. Tashunka war dann, wie Mattotaupa vermutete, nicht in dieser Richtung weitergeflohen, sondern ins Dorf zurückgeschlichen, wo ihn keiner vermutete. Von hier aus war er nach Süden, also direkt zu seinen Kriegern gelaufen. Kurz hinter den Zelten wurde die Fährte seines schnellen Laufs deutlich. Wie er durch die Kette der Posten hindurchgekommen war, blieb noch unklar, aber der Schwarzfußhäuptling und Mattotaupa, die geübte Krieger waren, hätten auch sich selbst ein solches Stückchen zugetraut. Die Wachen waren in weiten Abständen postiert.
Als die Vorgänge so weit geklärt schienen, gaben sich die Männer nicht lange mit »wenn« und »hätten wir« ab, sondern schlugen stillschweigend den Rückweg zu den Zelten ein. Sie wollten beraten, was nun zu geschehen habe.
Harka sah nach dem Ergebnis der Fährtensuche seine Büchse als endgültig verloren an, und er sah überdies einen langweiligen Tag für sich selbst voraus. Der Vater würde wieder nicht dazu kommen, auf die Jagd zu gehen! Um seine Stimmung, die unter den Gefrierpunkt sank, ein wenig aufzuwärmen, fragte Harka den Vater auf dem Rückweg, ob er allein Antilopen jagen dürfe. Damit war Mattotaupa jedoch nicht einverstanden; er hielt es für möglich, dass sich Tashunka-witko oder andere Dakota noch in der Gegend umhertrieben. Harka war enttäuscht, widersprach aber nicht.
Mattotaupa hatte seine ablehnende Meinung eben geäußert, als der Schwarzfußhäuptling, der noch einmal in der Runde umherblickte, auffuhr. Mattotaupas Blick folgte dem wegweisenden Arm des Häuptlings. Alle blieben stehen und schauten in die gewiesene Richtung. In großer Entfernung war auf einer Bodenwelle so etwas wie ein Stab oder Stock aufgerichtet.
»Vorhin war noch nichts auf jenem Hügel zu sehen«, stellte Mattotaupa fest.
»Soeben ist das auf dem Hügel erschienen«, erklärte der Schwarzfußhäuptling. Da irgendeine Gefahr im Verzug schien, sollten die beiden Jungen sich sofort weiter auf den Rückweg zu den Zelten machen. Aber ehe sie den ersten Schritt taten, ging auf dem Hügel schon wieder etwas Neues vor. Die Gestalt eines Mannes erschien neben dem aufgepflanzten Stab. Dieser Mann winkte mit einem Leder oder Fell. Alle strengten die Augen an, um zu erkennen, was dies für ein Leder oder Fell sei.
»Ein weißes Wolfsfell!«, flüsterte Harka seinem Vater zu. Er hatte die schärfsten Augen von allen, obgleich er noch ein Knabe war.
»Frieden?« sagte Mattotaupa fragend zu Kluge Schlange.
Die beiden Siksikau schienen zu überlegen. Der Mann auf dem Hügel war stehen geblieben und winkte weiter.
Eine solche Geste als Hinterlist zu gebrauchen, war nicht indianische Sitte, auch nicht im Krieg. Brennendes Wasser, Mattotaupa und Kluge Schlange verständigten sich darüber, dass sie zu dritt offen zu jenem Hügel hingehen wollten. Vielleicht war der Mann dort ein Dakota, der irgendein Angebot zu machen hatte.
Читать дальше