Josephine schickte ein weiteres Lächeln in seine Richtung. „Ich bin gleich so weit. Geben Sie mir nur eben ein Momentchen zum Aufkehren.“
Noah wurde bewusst, dass Bryce gegangen war. Die Glastür war immer noch im Schließen begriffen, und die klingelnden Glöckchen darüber vermischten sich mit seiner Erinnerung. Er wusste nicht einmal mehr, ob er sich ordentlich von dem Jungen verabschiedet hatte.
Er versuchte, sich an alles zu erinnern, was er über sie gehört hatte. Paul Truvy war ihr Vater, und er hatte ihr seinen Besitz vererbt, als er letzten Herbst gestorben war. Sie hatte in Cartersville bei einem Herrenfriseur gearbeitet und war zu Frühlingsanfang von dort heraufgekommen, um hier ihren eigenen Salon zu eröffnen.
Sie hatte Beamus Jenkins, dem stadtbekannten Trinker, nach Feierabend an ihrem ersten Samstag einen Haarschnitt gratis verpasst. Am nächsten Morgen war er das erste Mal seit zwanzig Jahren wieder in der Kirche aufgetaucht. Möglicherweise machte noch mehr die Runde, aber Noah war kein Typ für Gerüchte.
Die Baufirma seiner Familie hatte für die erste Phase des kleinen Renovierungsprojekts, die ihr Geschäft auf die Beine brachte, ein Gebot abgegeben. Sein Bruder, Seth, hatte den Kostenvoranschlag gemacht; er erinnerte sich daran, dass er die Akte im Büro hatte liegen sehen. Aber ein Mitbewerber hatte den Zuschlag bekommen.
Er schaute sich im Empfangsbereich um. Hier war immer noch viel Arbeit nötig, soweit er das von hier aus sehen konnte. Der ursprüngliche Holzboden musste aufbereitet werden, und der klappbare Wandschirm, der den Eingangsbereich vom Arbeitsbereich abtrennte, war nicht genug. Durch die Eingangstür ging Luft verloren. Das würde ein echtes Problem werden, wenn das schwülwarme Sommerwetter erst einmal da war.
Er würde eine Trennwand einbauen, etwa drei viertel hoch. Den Boden würde er gerade so weit abschleifen, dass der alte Schmutz und die Flecken weg waren, aber die Maserung und der Charakter des Holzes erhalten blieben. Eine schöne Espressofarbe würde einen netten Kontrast zu der alten Backsteinmauer zu seiner Rechten bilden.
Josephine kam hinter dem Paravent hervor. „Kommen Sie mit durch, Schätzchen.“
Sein verrücktes Herz machte einen Luftsprung wegen des Kosenamens. Er stand auf und folgte ihr zu dem Stuhl. Dabei zerbrach er sich den Kopf darüber, was er nur sagen sollte. Er fühlte sich, als hätte ihm einer eins mit einem Kantholz über die Birne gezogen.
Seine Augen funktionierten immerhin ganz großartig. Josephine war zierlich, fiel ihm auf, jetzt, wo er auf den Füßen stand. Mindestens einen Kopf kleiner als er mit seinen knappen 1,90. Starke, gerade Schultern und eine schlanke Taille. Kurven wie eine Bergstraße.
Er setzte sich in den Stuhl und begegnete im Spiegel ihrem Blick.
Seine Stimme schien sich in seiner Kehle verhakt zu haben. Was stimmte bloß nicht mit ihm? Er war vielleicht kein goldzüngiger Plauderknabe, aber wortkarg war er nun auch nicht. Noah zollte Bryce stummen Respekt dafür, dass er sich so zusammengerissen hatte. Das war mehr, als er gerade fertigbrachte.
„Ich bin Josephine Dupree.“ Mit einem Schwung legte sie ihm den schwarzen Umhang um.
„Noah Mitchell.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Noah.“ Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, und er spürte die Berührung bis in die Zehenspitzen. „Was kann ich für Sie tun?“
Er riss seine Augen von ihrem Spiegelbild los und starrte sein eigenes an. „Da müssen vielleicht drei, vier Zentimeter ab.“ Seine Stimme brach, als wäre er siebzehn. Hitze kroch ihm den Hals hoch, während er sich räusperte. „Ist schon eine Weile her.“
Sie drehte seinen Stuhl um, und auf einmal fiel ihm ein, dass er sich auch für eine Haarwäsche eingetragen hatte. Das bereute er jetzt. Besonders, als sie die Lehne seines Stuhls absenkte, sich über ihn beugte und ihre großzügigen Kurven näher kamen.
Sein Herz schlug bis in seine geschwollene Kehle hinein. Er schloss die Augen. Da bemerkte er ihren Geruch. Süß, ein bisschen würzig. Berauschend.
Das Wasser wurde angestellt. Ihre Finger strichen durch sein Haar, gefolgt von einem Schwall warmen Wassers. Sein Puls machte einen Sprung, und er bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Sein Körper summte wie eine Stimmgabel.
Jetzt reiß dich mal zusammen, Mitchell.
„Sie haben wirklich schönes Haar“, sagte sie mit dieser rauchigen Stimme. „Viele Männer würden alles geben für so dickes, volles Haar.“
Sein Mund arbeitete. Was sollte er sagen? Danke? Ebenso? Während er über seine Erwiderung nachdachte, vergingen die Sekunden, bis es zu spät war, überhaupt irgendetwas zu sagen. Vielleicht dachte sie, er sei schwer von Begriff.
Sie fuhr mit ihren Fingern durch sein Haar, während sie es mit Wasser benetzte. Sein Herz donnerte gegen seinen Brustkorb, und ein Schaudern rann ihm über den Nacken. Herr im Himmel. Man könnte meinen, du wärst noch nie von einer Frau angefasst worden.
Er rutschte im Stuhl herum.
„Zu heiß?“
Er räusperte sich. „Ähm, nein. Ist gut so.“ Vier Worte. Jetzt hast du aber ‘nen Lauf, Kumpel.
Das Wasser wurde abgestellt, und ihre Finger begannen damit, das Shampoo in sein Haar einzuarbeiten.
Er hielt seine Augen geschlossen und ließ zu, dass ihr Duft seine Sinne überwältigte. Er konnte ihre Körperwärme spüren, als sie sich vorbeugte, um seinen Hinterkopf zu erreichen. Ihr Atem strich über die Härchen an seinen Schläfen und brachte jede seifige Haarwurzel dazu, sich aufrecht hinzusetzen.
Dann lief wieder Wasser, und sie begann, den Schaum abzuwaschen. Fast fertig. Er bemerkte, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren. Er entspannte sie und wischte sich seine verschwitzten Handflächen auf den Oberschenkeln ab.
Als sie das Wasser abstellte, wartete er auf das Handtuch. Er brauchte Raum zum Atmen. Aber stattdessen fingen ihre Finger wieder an, sich durch sein Haar zu arbeiten, und ein angenehmer Moschusduft mischte sich unter ihren Geruch.
„Riecht das Zeug nicht einfach himmlisch? Es ist mein Lieblingsprodukt. Ihre Haare werden sich hinterher anfühlen wie Seide.“
„Riecht großartig.“
„Wie haben Sie von meinem Geschäft erfahren?“
„Äh, vom Hörensagen, glaube ich. Sie hatten den Laden gerade gekauft, als ich von einem Auslandseinsatz wiedergekommen bin.“
„Danke für Ihren Dienst, Noah. Welche Truppe?“
„Marines. Meine Familie hat übrigens ein Gebot für Ihren Renovierungsauftrag abgegeben. Mitchell Home Improvement.“
Ihre Finger kneteten seinen Nacken, eine Minimassage, die ungefähr das Beste war, das er je gefühlt hatte. Er schluckte schwer, wollte sich gleichzeitig in ihre Berührung fallen lassen und aus dem Stuhl flüchten.
„Oh, tut mir leid. Sawyers Angebot war etwas niedriger, und ich muss auf jeden Penny achten.“
„Es ist eine gute Firma. Sind gute Leute.“
„Ich hole gerade neue Angebote für die nächste Phase ein. Einer eurer Jungs macht einen Kostenvoranschlag für mich. Billy heißt er, glaube ich. Ich habe ein sehr begrenztes Budget, weil ich gerade erst angefangen habe.“
Sie stellte das Wasser an und begann damit, den Conditioner auszuspülen.
Plötzlich wollte er diesen Job mehr als seinen nächsten Atemzug. Dieser Tage kümmerte er sich vorwiegend um größere Aufträge. Sie hatten mehrere sehr fähige Mannschaften, und im Büro war auch immer eine Menge zu tun. Aber in diesem Fall war er versucht, die Sache persönlich in die Hand zu nehmen – sozusagen.
„Ich werde mir das Angebot anschauen. Mal sehen, ob sich was machen lässt.“
„Das ist aber nett von Ihnen. Ich habe vor, so bald wie möglich anzufangen. Ein Stuhl wird mich nicht lange im Geschäft halten.“
„Sie wollen sich vergrößern?“
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