„Nur einmal nachschneiden.“ Er hatte ein nettes Lächeln und Welpenaugen, die die jungen Mädchen vermutlich alle zum Schmachten brachten.
Die Türglocke klingelte, und ein Schwall heißer, feuchter Luft umspülte die provisorische Trennwand. Noch ein Kunde, hoffte sie. „Bin gleich bei Ihnen!“
„Lassen Sie sich Zeit“, erwiderte eine tiefe Stimme.
Josephine steckte das Kabel des Haarschneiders in die Steckdose und machte sich an die Arbeit. Ihre ersten Wochen waren zäh verlaufen, aber so langsam kam das Geschäft in Schwung. Mundpropaganda, vermutete sie. Männer waren darin einfach besser, nahm sie an. Sie hatte ganz sicher kein Geld mehr für Werbung.
Die Fläche so zu gestalten, dass man dort arbeiten konnte, hatte sie mehr gekostet als gedacht, und sie hatte nur ein Waschbecken und einen Stuhl. Verbesserungen in ihrer schäbigen Wohnung im Obergeschoss würden warten müssen. Es würde den Rest ihres Erbes aufzehren, den Laden auf Vordermann zu bringen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und Angestellte zu beschäftigen. Aber das musste geschehen, und zwar bald. So konnte sie kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten. Der Kostenvoranschlag, den sie von dem Bauunternehmer bekommen hatte, der die Vorarbeiten erledigt hatte, war jenseits dessen, was sie sich leisten konnte.
„Wie heißen Sie, Schätzchen?“, fragte der Junge ein paar Minuten später. Ein kokettes Lächeln umspielte seine Lippen.
Ihre Augen wichen seinen im Spiegel aus. In einer kleinen Stadt sprachen sich Dinge schnell herum. Niemand wusste das besser als sie.
Sie schenkte ihm ein verwegenes Lächeln. „Warum fragst du?“
„Ein Mann sollte den Namen seiner zukünftigen Frau kennen.“
Der war aber draufgängerisch. Und so jung. „Du kennst mich doch gar nicht, Kleiner. Vielleicht bin ich nicht die Art Mädchen, die man zu Hause seiner Mama vorstellt.“
Rote Flecken erschienen auf seinem Hals, und Josephine fühlte sich kurz schuldig, weil sie so geradeheraus gewesen war. Seit vollen fünf Minuten saß er in dem Stuhl und hatte nicht ein einziges Mal den „zufällig-absichtlichen Ganzkörpercheck“ gebracht.
„Meine Mama ist nicht mehr da“, sagte er. „Aber mein Daddy würde Sie mögen.“
Sie lachte leise vor sich hin. „Ganz bestimmt, Kleiner.“
Er machte weiter, tat sein Bestes, um sie zu beeindrucken, aber Josephine federte das Ganze etwas ab. Selbst, wenn er sie herumkriegen würde – und das würde nie passieren –, würde er vermutlich gar nicht wissen, was er mit ihr anfangen sollte.
So plauderte sie weiter mit ihm, während sie sein goldbraunes Haar zurechtstutzte.
Eigentlich musste kaum etwas geschnitten werden, aber diese Woche waren schon ein paar solcher Kunden da gewesen. Neugierde, vermutete sei. Alle alleinstehenden Männer kamen vorbei, um sie in Augenschein zu nehmen. Solange ihr das Kunden einbrachte, war das ganz in Ordnung für Josephine. Und wenn ein kleines bisschen Flirten die Männer dazu bewog, wiederzukommen, tat sie ihnen den Gefallen gerne.
Im Empfangsbereich des Herrensalons blätterte Noah blind durch die Seiten der Zeitschrift Blue Ridge Country . Seine Ohren waren ganz auf das Gespräch hinter der klappbaren Trennwand eingestellt. Selbst wenn er den blauen Ford draußen nicht erkannt hätte, hätte er doch Bryce Collins Stimme erkannt. Er war ein guter Junge, beinahe zehn Jahre jünger als Noah, aber er tat sein Bestes für die Neue in der Stadt.
Viel Glück dabei , dachte er und rutschte auf der alten Kirchenbank hin und her, die im Wartebereich als Sitzgelegenheit diente. Ihm stand es noch bevor, die neueste Mitbewohnerin in Copper Creek zu sehen, aber er hatte gehört, dass sie eine echte Augenweide sein sollte. Und wenn sie, wie es hieß, 26 war, war sie eher in seinem Alter als in Bryces. Die Mutter des Jungen würde sich bei seiner Dreistigkeit im Grab umdrehen.
Was Noah anging, war er nur wegen eines Haarschnitts hier. Er hatte seinen Teil Verabredungen schon gehabt und hatte nicht vor, sich niederzulassen, sehr zum Unwillen seiner Mutter. Er war einfach nur froh, lediglich wegen eines Haarschnitts nicht mehr nach Ellijay fahren zu müssen.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Erst kürzlich war er nach einem kurzen Einsatz mit den Marines zurückgekehrt, aber sein raspelkurzer Militärschnitt war schon lange herausgewachsen. In seiner Abwesenheit hatte sich hier nicht viel verändert, aber das gefiel ihm irgendwie. Er hatte die Zeit gebraucht, um erwachsen zu werden und sich zu überlegen, ob Copper Creek und das Familienunternehmen das waren, was er wirklich wollte. Als er nach Hause gekommen war, war er sich sicherer denn je gewesen, dass das der Fall war.
Im Nebenraum ging das Gespräch weiter, und Noah fühlte sich wie angezogen von der gedämpften, sinnlichen Frauenstimme. Ihre handwerklichen Fähigkeiten als Friseurin konnte er noch nicht beurteilen, aber das Ding mit den Waffen einer Frau hatte sie auf jeden Fall voll drauf. Der arme Junge hatte keine Chance.
Obwohl ihre Art ganz dem Südstaatencharme entsprach, entdeckte er einen Hauch Zynismus in ihrem Lachen, in ihren schnellen Antworten. Zynismus war ein Schutzmechanismus – das wusste er aus erster Hand von seiner Oma. Sag dir, man kann den Leuten einfach nicht vertrauen, dann wirst du nicht enttäuscht werden, wenn sie dich im Stich lassen.
Seine Neugier auf die Neue wuchs. Er fragte sich, was diesen Unterton in ihre Stimme gebracht hatte.
Es war kein Geheimnis, warum sie gerade in der Herrenfrisurenbranche gelandet war. Was sie konnte, musste er noch herausfinden, aber das machte nicht viel aus. Solange sie ihre Kunden nicht glatzköpfig hinausschickte, würde sie alleine durch ihre Art, mit Leuten umzugehen, für eine volle Kundenkartei sorgen.
Das Summen des Haarschneiders verstummte. Dann war das Ratschen des Klettverschlusses zu hören. „Das wär’s!“
„Sieht super aus, Josephine. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen.“
„Sag all deinen Freunden, sie sollen vorbeikommen. Für Weiterempfehlungen gebe ich zehn Prozent Rabatt.“
„Ich werd’s mir merken.“
Mit einem dämlichen Grinsen kam Bryce um die Trennwand herum und grub seinen Geldbeutel aus der Hosentasche. Dann fiel sein Blick auf Noah, und seine Ohren wurden schlagartig rot. „Was liegt an, Noah?“
„Nicht viel. Ich habe gerade Feierabend. Wie geht’s deinem Daddy? Ich habe ihn schon ein paar Wochen nicht mehr gesehen.“
„Ach, dem geht es ganz gut. Hauptsächlich ist er mit seiner Arbeit beschäftigt.“
Der Junge redete weiter, aber gerade da kam die neue Friseurin nach vorne. Sie schaute Noah mit ihren blauen Augen an – zwei Portionen Himmel –, und er wurde blind und taub für alles andere.
Ihre roten Lippen schwangen sich zu einem trägen Lächeln. „Bin gleich bei Ihnen.“
„Nur keine Eile“, krächzte Noah, dessen Kehle plötzlich ausgetrocknet war. Seine Augen folgten ihren schlanken Kurven, bevor sie hinter dem Tresen verschwand.
Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, während sie Bryce abkassierte. Sie hatte schulterlanges blondes Haar, das kunstvoll um ihr hübsches Gesicht zerzaust war.
Obwohl hübsch ihr nicht gerecht wurde. Ihre alabasterfarbene Haut war fast blass im Kontrast zu ihren üppigen Lippen. Sie hatte dem Bräunungswahnsinn nicht nachgegeben, dem der Rest des Landes verfallen war, und das stand ihr. Lange, dunkle Wimpern strichen über ihre Wangen, als sie in die Schublade griff.
Kein Wunder, dass der arme Bryce in sie verschossen war. Sie war eine Granate. Eine Sirene. Selbst ihre Bewegungen – das wissende Zucken ihres Kinns, der selbstbewusste Hüftschwung – verströmten rohe Sexualität. Aber es waren ihre Augen, die ihn trafen wie ein Blitz. Blasses Eisblau. Und irgendwie älter als der Rest ihrer Person. Hinter diesen Augen steckten Geheimnisse, und plötzlich wollte er sie alle erfahren.
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