Die Universität wurde zu Castros politischer Lehranstalt. Er begab sich mitten hinein in das Auge des Taifuns. Und kaum auf dem Campus, strebte er auch schon danach, der Führer des Studentenverbandes zu werden. Der redegewandte, stets elegant gekleidete Bauernsohn fiel auf. Sein damaliger Kommilitone Alfredo Guevara erinnerte sich an ihre erste Begegnung: „Da kam dieser Castro daher, umwerfend herausgeputzt in seinem schwarzen Abendanzug, gut aussehend, selbstsicher, aggressiv und offensichtlich eine Führerpersönlichkeit. […] ich sah ihn als politische Bedrohung.“ 65
Bald bemühten sich zwei der einflussreichsten politischen Lager um ihn, der MSR 66– „ die sozialistische revolutionäre Bewegung “ – und der UIR 67, die „ aufständische revolutionäre Union “. Doch was hier nach weltverbessernden Vordenkern in organisierten Studentengremien klingt, war nichts anderes als zwei rivalisierende Gangsterbanden. Pistoleros , die schneller mit der Waffe waren als mit dem Mundwerk. Der redegewandte Castro lavierte zwischen den beiden Banden hin und her, nicht bereit, sich einem der Lager zu verschreiben. Als er bei den Wahlen für die Präsidentschaft des Studentenverbandes gegen den Regierungskandidaten antrat, zog dies den Zorn der Gangster auf sich. Unmissverständlich machten sie ihm klar, dass er, da er ja partout den Mund nicht halten wolle, von der Universität verschwinden müsse. Andernfalls mache er schmerzhafte Bekanntschaft mit ihren Schlägern.
„ Die Mafia dominierte die Universität. Ich hatte es mit allen Mächten zu tun […] Sie waren bewaffnet und bereit mich zu töten. Sie besaßen die Unterstützung der Polizei und der korrupten Regierung Grau. Sie setzten es durch, dass ich die Universität nicht mehr betreten durfte. Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Der Konflikt traf mich mit der Wucht eines Orkans. Allein am Strand, vor mir nur das Meer, dachte ich über meine Lage nach. Ich weinte bitterlich. Ich lief Gefahr […] getötet zu werden. Es war Tollkühnheit […] an die Universität zurückzukehren. Aber wenn ich nicht ginge, dann würde das bedeuten, mich den Drohungen zu beugen, vor den brutalen Kerlen zu kapitulieren und meine eigenen Ziele und Ideale aufzugeben. Ich entschloss mich zurückzukehren, und ich kehrte zurück ... mit der Waffe in der Hand“ 68 , erinnert sich Fidel Castro. Die Pistole, eine Browning, besorgte ihm ein Freund. Er ließ sich nicht vom Campus vertreiben, doch betrat er ihn nur noch in Begleitung seiner Freunde, die auch zugleich seine Leibwächter waren. Rückblickend empfand Castro die Jahre an der Universität übrigens noch viel gefährlicher als jene des Kampfes gegen die Batista-Diktatur in der Sierra Maestra Ende der Fünfzigerjahre. „ Ich war der Don Quijote der Universität, immer Pistolen und Kugeln um mich herum. Was ich an der Universität aushalten musste, wiegt schwerer als die Zeit in der Sierra Maestra.“ 69
In einem solchen von Gewalt und Terror beherrschten Umfeld war für Demokratie kein Platz. Es war die archaische Macht des Stärkeren, mit der man sich entweder zu behaupten wusste - oder unterging. Auch Fidel Castro sah sich gerne als Mann der Tat. Statt sich seinem Studium zu widmen, ließ er sich 1947 von der karibischen Legion als Söldner anheuern, in deren Stab angeblich auch der auf Kuba lebende Schriftsteller Ernest Hemingway gewesen sein soll. Ihr ambitioniertes Ziel: gleich zwei Diktatoren zu stürzen. Und zwar den Nicaraguas, General Somoza 70, und jenen der Dominikanischen Republik, General Trujillo 71, gleich mit. Über Somoza hatte sich auch der ehemalige amerikanische Botschafter auf Kuba, Sumner Welles, bei Präsident Franklin D. Roosevelt entsetzt ausgelassen:
„ Somoza ist doch ein Hurensohn! “
Roosevelt antwortete kurz:
„Aber er ist unser Hurensohn!“ 72
Eine wahrhaft treffende Aussage über den Opportunismus der amerikanischen Außenpolitik, die aus lauter Angst vor Radikalisierung lieber Tyrannen unterstützte.
Der 32. US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945) Quelle: U.S. National Archives and Records Administration
Nach zwei Monaten Guerillatraining starteten die Abenteurer der karibischen Legion auf einem Boot Richtung Dominikanische Republik. Doch die Aktion scheiterte, das Boot wurde vor der Nordostküste Kubas von der kubanischen Marine geentert. Castro gelang in letzter Minute der rettende Sprung von Bord – mit einem gestohlenen Rettungsboot schaffte er es bis kurz vor die Küste. Doch dann musste er die restlichen 300 Meter vollends durch die Bucht von Nipe schwimmen, in der es vor gefährlichen Bullenhaien und angriffslustigen Barrakudas nur so wimmelte.
Blick über die Bucht von Nipe. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Hier erwies sich bereits sein legendäres Glück: Der gut durchtrainierte Sportler schwamm um sein Leben, angespannt jeden Schatten belauernd, den er unter sich ausmachen konnte. Schließlich gelang es ihm, sich auf die elterliche Farm zu retten, wo ihn allerdings eine gehörige Standpauke des Vaters erwartete 73
Auch wenn er sich anfangs vor den Vorlesungen noch gedrückt hatte, las er nach diesem Abenteuer viel, studierte frei vom Studienplan, was immer ihn interessierte und hatte sich später für an die fünfzig Kurse eingeschrieben. Er fraß wie ein Staubsauger alles an Wissen in sich hinein, das ihm die Universität anbot. Er verschlang Bücher von José Martí und über die Unabhängigkeitskriege in Kuba. Ganz zeitgemäß studierte er auch Lenin, Marx und Engels, dialektischen und historischen Materialismus, die politische Ökonomie, kurzum das gesamte Rüstzeug für den späteren Kommunisten. Im Park, unter dem Schatten von Lorbeerbäumen, erprobte er dann gerne seine neu gewonnenen Theorien an jungen Mädchen. 74
Der Mord an dem studentischen Führer der MSR, Manolo Castro – nicht mit ihm verwandt – durchkreuzte allerdings seine Pläne eines raschen Vorankommens. Denn in alter Mafiamanier schob man die Tat Fidel Castro in die Schuhe. Der Verdacht ließ sich nicht erhärten, aber sicherheitshalber tauchte er im Februar 1948 erst einmal unter. Er reiste über Panama und Venezuela nach Bogotá, Kolumbiens Hauptstadt inmitten eisiger Andengipfel. 75Dort organisierte er ein Treffen lateinamerikanischer Studenten. Das Programm liest sich ambitioniert und macht deutlich, dass auch er sich, ganz in der Tradition José Martís, nicht nur als Kubaner sondern als ein „ Bürger des ganzen südlichen Amerikas “ sah 76:
„ Wir unterstützten unter anderem den Kampf der Argentinier für die Falklandinseln, die Unabhängigkeit Puerto Ricos, den Sturz Trujillos, die Rückgabe des Panamakanals und die Souveränität der europäischen Kolonien in der Region. Das waren unsere Programme.“ 77
Als der populäre kolumbianische Oppositionsführer und Rechtsanwalt José Gaitán, mit dem Castro sich kurz zuvor persönlich getroffen hatte, vor seinem Anwaltsbüro in Bogotá erschossen wurde, geriet Castro mitten hinein in die wütende Menschenmasse. Der Attentäter wurde durch die Straßen geschleift und anschließend gelyncht. Die Wut auf diesen feigen Mord an Gaitán entlud sich schließlich in einer Orgie aus Gewalt und Zerstörung, mit Tausenden von Toten. Castro ließ sich mitreißen von diesem Volksaufstand und stürmte eine Polizeiwache, auf der er ein Gewehr ergatterte. Dieses Erlebnis 78des Bogotazo, des gewalttätigen Aufstandes, war seine Initiation zum künftigen Revolutionär. Nur mit unerhörtem Glück konnten er und seine kubanischen Kommilitonen sich nach Kuba retten: „Es war unglaublich, dass wir nicht alle getötet wurden!“ 79 wunderte er sich noch im Nachhinein.
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