Kurz darauf mussten wir auch dort wieder raus, da man das Bauernhaus komplett als Kommando-Zentrale benutzen wollte. Wo aber sollten wir jetzt hin?
Da hatten die drei Männer (2 vom Hof und mein Opa) kurzerhand entschieden, ein großes Erdloch in den dem Hof gegenüber liegenden Waldhang zu buddeln. Dazu ging man vom Hof über die Straße über die Bach-Holzbrücke am Backhaus vorbei in den Waldhang.
Unsere Männer hatten sich mit dieser Idee ganz schön was vorgenommen.
Drei Tage haben sie gebuddelt. Dann sind wir alle in das große Erdloch umgezogen, das die Männer unserer Familien ausgebuddelt und mit Reisig und Ästen abgedeckt hatten.
Mutti und mir gegenüber waren die Amerikaner aber immer sehr nett. Zu Anfang hatte meine Mutter immer Weinkrämpfe bekommen, wenn die »Jungens« erschienen. Manchmal brachten sie uns sogar Schokolade und andere Leckereien. Darüber haben wir zwei uns natürlich sehr gefreut und unseren Angehörigen auch etwas mitgegeben.
Nach einigen Tagen waren sie auf einmal weg, die Amerikaner. Jetzt konnten wir endlich wieder auf den Hof zurück. Damit hatten Mutti und ich auch unser Zimmer wieder zur Verfügung und bis auf den Krieg, war alles wieder gut.
Der Krieg war dann im Mai 1945endlich vorbei. Einige Monate später wurden Mutti, meine Großeltern und ich mit unseren Sachen auf einen großen LKW geladen und wieder nach Düsseldorf gebracht.
(In der Neuzeit wollte ich den Hof in Brauersdorf noch einmal besuchen, aber da war davon nichts mehr zu sehen. An der Stelle hatte man eine Talsperre gebaut.)
August 1945 in Altenhundem. In diesem Jahr wurden durch Bomben von 390 Häusern in Altenhundem 26 zerstört und 156 beschädigt, da Altenhundem ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn meine Mutter mit mir dort geblieben wäre?!
Meine Mutter und ich waren aber zu dem Zeitpunkt, Gott sei Dank!, schon wieder in Düsseldorf, obwohl Düsseldorf mittlerweile auch zu fast 50 % zerstört war. Aber ich hatte meine Heimat gefunden. Das Haus meiner Großeltern war ja auch unbeschädigt.
In Düsseldorf angekommen, lebten Mutti und ich dann, gut versorgt, bei Opa und meinem Ömchen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Ömchen war meine Mutter, Opa war der strenge Vater und Mutti war meine Freundin. Mit Mutti konnte ich immer spielen, lachen und manchmal auch dummes Zeug machen. Einmal haben wir im Haus der Großeltern »nachlaufen« gespielt. Erst sind wir auf die Terrasse, dann durch das Badezimmer-Fenster wieder in das Haus. Das hatte viel Spaß gemacht. Das hätten Opa und Ömchen aber nicht gut gefunden, wenn sie das gesehen hätten. Aber manchmal waren sie eben auch mal nicht da.
Nach Kriegsende hatte Mutti die Idee »wir zwei besorgen uns mal eine eigene Wohnung«.
Die wurde dann irgendwie in Eller Wirklichkeit. In einem unbeschädigten Haus auf der Gertrudisstraße genau neben der neugotischen Gertrudiskirche, die 1901 eingeweiht wurde. Die eigentlichen Mieter waren nämlich für längere Zeit verreist und hatten uns beiden ihre Wohnung überlassen. Diese »Traumwohnung« bestand aus drei Räumen: 1 Küche, 1 Schlafzimmer und 1 Bad.
1.Mein 1. Umzug April 1946
Es wurde auch eine sehr schöne Zeit für uns beide. Ich hatte jetzt das Gefühl, dass meine Idee Wirklichkeit und Mutti meine Freundin war.
Wir gingen viel spazieren, z. B. auf das Gelände des Eller Schlosses. Durch eine kleine Zufahrt ging man direkt auf das Schloss mit seinem im klassizistischen Stil gehaltenen Haupthauses zu. Über dem mittleren Giebel überragte ein mächtiger Turm mit Krüppelwalmdach das Ganze. Dort gingen wir dann vorbei und an der hintersten Wiese des Schlossgeländes durften wir Spiele machen, nachlaufen und wir träumten von der Zukunft und dass mein Vater bald aus dem Krieg zurückkäme.
Das hatte Mutti mir jedenfalls immer erzählt, obwohl er da schon lange tot war?!
Fast alle großen deutschen Städte waren am Kriegsende ziemlich zerstört. Und die Verwüstungen betrafen nicht nur die äußeren, materiellen Verhältnisse, sondern auch die geistig-seelische Verfassung von uns, den Überlebenden.
Es grenzt an ein Wunder, dass ich mit meiner Mutter und meinen Großeltern in diesen Zeiten der großen Desillusionierungen und Orientierungslosigkeit Schritte in eine friedvollere Zeit machen konnten.
Zunächst nach der Währungsreform, dann mit dem beginnenden sogenannten »Wirtschaftswunder« der frühen 50er Jahre erlebten wir, wie das Leben wieder freundlicher und auch reichhaltiger wurde. Die alltäglichen Sorgen um ausreichendes Essen und vernünftige Kleidung ließen allgemein nach.
2.Mein 2. Umzug September 1946
Die Eigentümer unserer neuen Wohnung waren inzwischen wieder zurück gekommen und Mutti und ich zogen wieder zu meinen Großeltern. Das war auch vorher so vereinbart worden.
Die Wohnverhältnisse bei meinen Großeltern waren ja sowieso gut und Mutti und ich hatten auch wieder unseren eigenen Bereich.
Mutti musste ja auch ihren Beitrag zum Lebensunterhalt leisten. Deshalb hat sie sich bei verschiedenen Bauern als Näherin betätigt und ich fuhr dann immer mit ihr.
Eine Bauernfamilie war »Familie Brux«. Da ist Mutti mit mir öfters gewesen und hat genäht. In der Zeit konnte ich auf dem gesamten Gelände des Bauernhofs alles machen, was mir so einfiel. Deshalb gefiel es mir da immer gut. Manchmal bin ich auch mit dem Traktor mit aufs Feld mitgefahren.
Bei dieser Familie Brux hatten wir unsere Verpflegung gehabt und wenn Mutti ihre Arbeit gemacht hatte, gab es manchmal statt Geld auch Lebensmittel (Kartoffeln, Eier, Speck, Mehl etc.), die wir dann mitnehmen konnten.
Für mich war auf jeden Fall das Leben auf einem Bauernhof immer wieder erlebnisreich und angenehm.
Einmal habe ich neben dem großen Traktor gestanden – einem Lanz Bulldog-, als der angelassen werden sollte. Dazu musste man ja das Lenkrad raus nehmen, es am seitlichen Schwungrad einstecken und ihn dann durch Drehen des Lenkrads anlassen. Doch bei diesem Versuch hatte der Fahrer wohl gerade einen Fehler gemacht: Das Lenkrad flog raus, am Arm des Fahrers schmerzhaft vorbei und es hat ihn so schwer verletzt, dass ein Arzt kommen musste.
Da hatte ich aber auch ganz viel Glück, dass ich nicht in der Flugrichtung des Lenkrads stand!
Im Juli 1947 haben meine Mutter und ich die befreundete Familie Berghof in Frankfurt/Main besucht. Die hatten ein großes Haus und einen entsprechenden Garten. Da gerade eine Schönwetter-Periode war, hatte man mir eine Zinkwanne auf den Rasen gestellt und ich konnte mich da austoben.
Irgendwie bekam ich dort aber eine Allergie und musste vom 11. – 14. Juni 1947 ins Krankenhaus nach Sachsenhausen.
Das war für mich eine schlimme Situation. Ich lag dort in einem Gitterbettchen und mein Mütterlein durfte zunächst auch nicht zu mir kommen; nur von draußen durch ein Fenster reingucken. Als ich dann wieder gesund war und sie mich wieder mitnehmen durfte, war alles gut und wir beide sind zurück nach Düsseldorf gefahren.
Mittlerweile gab es in Düsseldorf-Lierenfeld im Gather Weg, in der Nähe der Wohnung meiner Großeltern, auch wieder einen intakten Katholischen Kindergarten, der aber optisch nicht mehr gut anzusehen war. Mein Großvater hatte zufällig die Leiterin des Kindergartens Schwester Irenia kennengelernt. Ihr und ihrem Kindergarten hatte er die Farbe für eine Überholung des Kindergartens spendiert. Als kleines »Dankeschön« wurde ich dort dann auch aufgenommen. Mein Großvater hatte mit seiner Firma, die auf dem Gelände der Firma »Lackfabrik Wiederhold« in Hilden bei Düsseldorf angesiedelt war, ja die nötigen Beziehungen zu Lacken.
Auf diesem Gelände hatte ihm Herr Wiederhold eine Halle zur Verfügung gestellt, in der mein Großvater seine neue Fassreinigungsmaschine, die er selbst konstruiert hatte, aufbauen konnte. Dafür musste er der Firma Wiederhold alle Fässer reinigen.
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