Kurz bevor du starbst, nahmst du mich zur Seite und hast mir eine Last aufgebürdet, die ich als angehender Teenager nicht tragen konnte. Ich war die Große, obwohl noch ältere Geschwister da waren. „Kümmere du dich um Mutter und hilf ihr“, sagtest du. Ich, die selbst hilflos und überfordert war. Ich gab keine Widerrede, schluckte meine Wut und meine Enttäuschung runter. Alles hätte ich erwartet, was du mir sagen wolltest, doch diese Bürde, diese Last, sollte ich mittragen, weil du dich aus deiner Verantwortung gestohlen hattest. Ich wollte doch leben, frei und nicht gebunden sein. Doch ich versprach es dir, musste es dir versprechen. Du gingst von uns an einem Feiertag, wir durften nicht dabei sein. Konnten nicht Abschied nehmen. Sterben und Tod wurden bei uns zu Hause verbannt. Hätten wir nicht alle gemeinsam Abschied nehmen können? So fehlte etwas in unserem Leben: „Du.“ Du warst plötzlich nicht mehr da. An einem Feiertag ließest du uns im Stich. Trauer vermischte sich mit Wut und Enttäuschung. Der Tag war für uns gelaufen. Jedes Jahr die Erinnerung daran und dazu noch dich vermissen. Deine Stimme nicht mehr zu hören, dich nicht in die Arme zu schließen, was ich Jahre nicht getan hatte. Dich zu riechen. Du fehltest mir an allen Stellen und Wut und Schuld wuchsen und wuchsen. Durfte ich wütend sein? Nein, dann kamen Schuldgefühle hoch. Ich schluckte und tat, was ich tun musste. Ich lernte, machte eine Ausbildung, heiratete, wurde geschieden und an vielen Augenblicken in meinem Leben nahmst du nicht teil. Keinem väterlichen Rat, keine väterliche Hilfe, keinen väterlichen Beistand, keinen väterlichen Segen und wütend darüber durfte ich nicht sein.
Nun bin ich so alt wie du damals gewesen bist, als du gingst. Es schmerzt in meinem Herzen um die nicht gelebte Zeit mit dir. Dir nie gesagt zu haben, dass ich traurig bin, dass ich die Last nicht tragen konnte, nicht weil ich es nicht tragen wollte, sondern weil sie zu schwer für mich war. Nicht gesagt habe ich, dass ich dich vermisse und dich geliebt habe. Das ich mir gewünscht hätte, dass du länger gelebt hättest. Das ich dich nie wirklich gesehen hatte in deinem Schmerz. Das ich meine Wut über dich, dir nicht ins Gesicht geschrien habe, ich glaube, du hättest es verstanden. Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass du mir gesagt hättest, dass du mich lieb hast. So bleiben mir nur meine Tränen die ich vergieße, die unaufhaltsam fließen, die die Sehnsucht nach dir zeigen. Tränen, die die Wut mildern und den Schmerz den ich trage heilen. Wie gerne würde ich von dir träumen und im Traum würdest du mir all das sagen, was ich mir so gerne gewünscht habe, von dir zu hören. Dir von meinem Leben zu erzählen, von meiner Traurigkeit, keine Kinder austragen zu dürfen. Von meinen freudigen Stunden dir berichten und du nähmst Anteil daran. Von meinen dunklen Stunden und du hörst mir zu und tröstest mich. Ich wünschte mir es so sehr. Und du würdest mich in deine Arme schließen, mir sagen, es tut dir unendlich leid, mir so viel Kummer bereitet zu haben, dass du mich lieb hast und gerne meine Last mir abnehmen würdest. Mich über meinen Lebensschmerz tröstest, dass du all die Jahre mich gesehen hast und mein Leben begleitet hast und dich freust und stolz auf mich bist, was ich bis jetzt geschafft habe, obwohl keiner an mich geglaubt hat. Du würdest mir sagen, ich habe immer an dich geglaubt und glaubst auch heute an mich. Und du würdest auf mich warten für den ersten Tanz im neuen Leben. Ich möchte deine Nähe spüren, dass du um mich bist. Jeden Tag und ich lasse dich frei, aus meiner Wut und aus meinen Vorwürfen. Verzeih mir Papa, verzeih mir. Du sollst da, wo du bist, keine Last tragen, die ich durch meine Gedanken dir aufbürde und du gefangen bist in dieser Bürde. Ich gebe dich frei und gestatte mir, dass ich lebe und leben darf. Du bist in meinem Herzen, du bist mein Papa und ich deine Tochter. Lebe wohl, lebe, lebe dein neues Leben und sei frei.
M.U. de Kstm.1982
In Gedanken bin ich bei dir und du bei mir. Ohne Groll, ohne Schmerz, da ich dich liebe vom ganzem Herzen. Will mit dir Welten durchreisen, bunte Vielfalt des Lebens sehen. Muss mir und dir nichts beweisen, werden uns wiedersehn.
Die Gewissheit liegt im Sterben
Wir sind dem Tode näher als dem Leben, denn jeder Tag der gelebt wird, stirbt. So wird im Tod, jeder Tag neu geboren. Nur die Gewissheit des Sterbens lässt uns aufrichtig Leben, bis hin zum Tod, aus dem wir neu erwachen zum Leben.
Trost durch Leben
Das Sterben meiner Mutter war sehr verkrampft, wir wollten sie bis zur letzten Stunde begleiten. Es war schrecklich für uns, ihren Kampf den sie hatte, so mit anzusehen. Als wir einen kurzen Moment aus dem Zimmer gingen, um neue Kraft zu sammeln, starb sie still und leise. Als wir wenig später das Zimmer betreten wollten, ahnten wir, dass sie verstorben war. Wir fanden sie mit einem Lächeln im Angesicht, ganz entspannt im Bette liegend vor.
Nachdem wir getrauert und Abschied genommen hatten, gingen wir aus dem Sterbezimmer zum Ausgang des Krankenhauses, wo uns ein Bekannter freudestrahlend entgegenkam, uns umarmte und sagte: „Ich bin eben Vater geworden, wir haben ein kleines Mädchen.“ Wir freuten uns mit ihm von Herzen, er wusste nichts von unserem Schmerz. Er gab uns unbewusst Trost durch seine liebende Freude um sein Töchterchen in unserem Schmerz. Seine Kleine löste meine Mutter von dieser Erde aus, damit sie Ruhe fand und die Kleine den Platz in ihrem Leben. Das Ereignis kommt für uns einem Wunder gleich. Wie nahe liegen doch Leben und Tod beieinander.
K.P.Z. 1999
Loslassen ist die Befreiung zweier Seelen zum neuen Leben, auf Hoffnung und Liebe bauend
Ich sehe
Ich sehe die Wunder deiner Liebe,
durch die Vielfalt deiner Schaffenskraft,
sehe die Wunder deiner Gnade,
an der lebenden Kreatur.
Sehe die Wunder meiner Tage,
auf meines Lebenswandelspur,
die ich schritt mit dir.
Ich sehe die vielen Gaben,
schaue die Reinheit allen Seins.
Sehe den Makel allen Strebens,
danke für Bewahrung meines Seins.
Von der Wahrnehmung
Es ist viel Lärm, wenig Ruhe.
Es ist laut, zu wenig Stille.
Wir reden zu viel, schweigen zu wenig.
Wir sehen so viel, betrachten so wenig.
Wir hören so viel, lauschen zu wenig.
Wir fühlen so viel, spüren zu wenig.
Das Spiel der Jahreszeiten
Im Frühling beginnt die Blütenpracht,
im Herbst wird alles zur Ruhe gebracht,
im Sommer hat der Winter Ruh,
mit wilder Pracht sie blühen lässt.
Im Winter schaut die Sonne zu,
wie der Winter deckt die Erde zu,
damit in Ruh kann gedeihen,
was im Frühling soll das Herz erfreuen.
Was bin ich, wer bin ich
Ich bin,
vergänglich und ewiglich,
bin innen und außen,
bin trennend und verbindend,
bin abstoßend und anziehend,
bin spaltend und zusammenfügend,
bin licht und dunkel,
bin allumfassend und begrenzt.
Ich bin, was ich bin,
ich bin ein Mensch beider Welten.
Ich ziehe vom Lärm der Zeit in die Stille der Unendlichkeit.
Wie mit einem Sog, zieht es mich in einen Trichter, durch einen engen, dunklen Tunnel der Ausatmung. Ich gleite hindurch, in die Weite der Einatmung, des neuen lichten Tages, pulsierenden Lebens.
Ich bin und wissend, ewiglich und frei.
Ich werde neu, ich bin ein Mensch beider Welten, wiederkehrend, stetig bleibend, träumend im Schlaf, lebend und erwachend.
Ich bin, was ich bin, ich bin, wer ich bin.
Ein Mensch, ein eigenes Ich, in beiden Welten.
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