Heute erinnere ich mich viel mehr an die schönen, lustigen Begebenheiten. Milde lässt Versöhnung zu und lässt uns alles mit anderen Augen betrachten. Milde macht das Herz weit und den Geist reich und die Seele weich, sodass Liebe und wahre Begegnung geschehen kann, hier und drüben. Die Trauerfeier wurde für mich und für alle Trauernden, die die Worte ver standen und mitfühlten, etwas Besonderes. Es war an diesem Tag strahlender, blauer Himmel, trotz niedriger Temperaturen, und ein wunderschönes, wärmendes Licht der Sonne. Langsam gingen wir in kleiner Formation hinter den Urnenträgern zum Grab. Still war es, ab und zu ein Seufzen. Ich bot meiner Schwägerin meinen Arm zum Halt, welchen sie dankbar annahm. Schweigend ging die kleine Trauergemeinschaft zur letzten Ruhestätte des Verstorbenen. An meinem Arm meine Schwägerin, ihr die Hand tröstend haltend. Ich hatte ihr das nie gesagt, sie ist meine Lieblingsschwägerin, mit ihr hatte ich mich immer gut verstanden. Am Grab sprach ich noch einige kurze Worte und ein Gebet. Dann nahmen wir Abschied von ihm, ein jeder mit letzten Worten aus dem Herzen. Ein Geheimnis, das nun jeder für sich hat, letzte, persönliche, intime Worte, schweigend in Gedanken gesprochen. Nun ließ jeder einen schwarzen Luftballon fliegen, nacheinander. Der Wind trug die Ballons schnell nach oben und brachte sie in eine kreative Formation, so als wenn ein Schwarm Zugvögel, ihre Richtung wissend, in ihre Heimat fliegt. Der Wind trug die Ballons fort und sie wurden immer kleiner, sahen wie schwarze Punkte aus, wie Sternbilder an einem nächtlichen Himmel. Sie flogen, bis sie für uns nicht mehr sichtbar waren. Irgendwo werden sie landen und die Menschen, die sie finden, werden wissen, sie kommen von Menschen, die einen lieben Menschen verloren haben. Und die, die die Ballons finden, werden im stillen Gebet einen Gruß senden. Ein wunderbares Bild wurde uns geschenkt aus der Ewigkeit. Wir wollen unsere Träume auf unseren Wegen leben und sichtbar werden lassen. Ein jeder für sich, so wie er kann. So lasst uns unseren Seelen Flügel wachsen. Lasst die Seelen fliegen mit dem Wind, hoch über den weiten Horizont, lasst uns fröhlich und glücklich sein. Meine Brüder wollten, dass wir frei werden, frei werden fürs Leben. Frei für unsere neuen Abenteuer und unsere neuen Aufgaben, bis wir uns wiedersehen.
Jeder Tag vergeht, so wie auch du vergänglich bist, er hat alles, was er braucht, um für den Moment zu sein. So hast auch du alles, was du brauchst, um hier zu sein. Wie jeder Tag neu wiederkehrt, jedoch anders, so kehrst auch du wieder, jedes Mal neu, anders. Und wenn der Tag in der Nacht ruht, ruhst auch du, träumend, in einer anderen Welt.
Erfüllte Tage
Es sind nicht die erfüllten Tage, die uns reich machen,
sondern die, an denen wir an dir zweifelten
und dennoch festhielten an dir.
Es waren die Tage des Leidens, die uns reich machten,
auch wenn wir das nicht verstanden haben und an dir zweifelten
und dennoch festhielten an dir.
Es waren die Tage, an denen wir uns und dich verfluchten,
weinten und schrien aus Angst und Zweifel an dir
und du hieltst uns in deiner Hand,
weil wir deine Liebe zu uns nicht verstanden.
Es sind die Tage mit dir, die uns reich machen,
wenn das, was sein soll, sich erfüllt.
Die schnelle Zeit
Wie schnell die Zeit vergeht,
sehen wir an unseren Kindern,
wie schnell sie gereift und gewachsen sind.
Wie schnell das Leben zu Ende geht,
sehen wir daran, wenn gute Freunde,
Eltern oder Geschwister gehen.
Was mir am Lebensende bleiben soll,
ist die Erinnerung an sie
und nicht Verdruss des versäumten Lebens.
Was brauche ich
Was brauch ich mehr, um bei mir zu sein?
Einen Freund, Stille und Ruhe und ein Glas Wein.
Ein Gespräch zu zweien, es kann auch ohne Worte sein.
Im gemeinsamen Sinnen, die Stunden verrinnen.
Was brauch ich mehr, um glücklich zu sein?
Zeit, die ein Freund, wenn er wie der Wein in Stille und Ruhe gereift,
sie mit mir verbringt, um ganz bei mir zu sein, im Sinnen und im Gespräch, auch ohne Worte. Dann bin ich mit ihm und mit mir in Beziehung.
Unbedacht
Unbedacht ein Wort gesprochen,
unbedacht eine Tat getan,
unbedacht das Herz getroffen,
was für ein Leid, was für ein Schmerz,
Wort und Tat kamen nicht aus dem Herzen,
kamen aus dem Verstand, der die Schuld an die Seele band.
Mit Bedacht ein Wort gesprochen,
mit Bedacht eine Tat getan,
mit Bedacht das Herz getroffen,
was für ein Trost, was für eine Freude,
Wort und Tat kamen ungezwungen aus dem Herzen,
das den Schmerz kommen sah.
Brücken bauen
Brücken, die abgebrochen sind, können wieder aufgebaut werden, wenn beide das Gleiche wollen und in die gleiche Richtung bauen. Warte nicht, bis der Andere den ersten Schritt macht, sondern beginne, wenn es dir ernst ist. Auch wenn du sie allein vollendest, kannst du sagen: „Sie ist offen für dich und jederzeit begehbar für dich. Ich warte auf dich und freue mich auf dich.“
Das Feuer des Lebens
Lodernd wie das Feuer,
frisch wie der Wind,
aufmerksam, neugierig,
jederzeit zum Spiel und Toben bereit,
so ist das Leben der Kinder, in der kindlichen Zeit.
Knisternd wie das Feuer,
schnell wie der Wind,
schlau, gespannt,
jederzeit zum Sprung und Kampf bereit,
so ist die Jugend, in ihrer Zeit.
Glühend wie das Feuer,
forsch wie der Wind,
stark, anmutig,
jederzeit wachsam, zu schlagen die Beut,
so ist der Erwachsene, in seiner Zeit.
Erlöschend wie das Feuer,
mild wie der Wind,
gelassen, weise,
jeder Zeit geduldig wartend,
so ist der Greis, in seiner letzten Zeit.
Ausgebrannt das Feuer
still ist der Wind,
leise hat begonnen das Ende,
sanft nimmt der große Geist der Ruhe
dem Menschen die Flamme des Lebens,
aus seiner Hand und seinem Herzen,
so ist Leben und Sterben des Menschen,
in seiner letzten Stunde gleich.
Wer wird an mich denken
Ich ging frühmorgens am Strand spazieren, dem Sonnenaufgang entgegen. Vor mir, Spuren im Sand. Ich folgte diesen Spuren, sie liefen nicht gerade, manche schwenkten mal nach rechts, mal nach links. Manche Abdrücke waren etwas tiefer als die anderen, so als würde der Mensch, der hier gelaufen war, eine schwere Last tragen. An einer anderen Stelle sahen die Spuren weicher aus und rhythmischer, als hätte er vor Freude getanzt. An einer Stelle sah es aus, als habe er eine Zeit stillgestanden und beobachtet, vielleicht gedankenversunken. Kurze Zeit später lag diese Person auf dem Boden. Sein Körperabdruck war groß, die Schultern breit, die Arme waren seitlich ausgestreckt und die Hände mit den Fingern waren deutlich zu sehen, sie waren schmal. Dann waren Abdrücke zu sehen, wo er sich wieder aufrichtete und weiterging. Plötzlich bog die Spur ab, durch die Dünen, und endete an einer Wiese, wo sie sich verlor. Vom Wiesenrand konnte ich die Wiese weit überblicken, bis zum Horizont, wo die Sonne langsam ihre Bahn nahm und das helle gleißende Licht der aufgehenden Sonne meine Augen blendete. Meine Gedanken waren: „So entschwindet ein Mensch ins Licht. Nicht zu wissen, wer er war, ob Frau oder Mann, wie er oder sie hieß.“ Schweigend sann ich nach, um mich ruhende Stille. Ich ging meinen Weg zurück, in mir die Fragen: „Warum bin ich dieser Spur gefolgt? Was hat mich zu dieser Beobachtung geführt?“
Ich schaute zu den Spuren, die wir beide hinterlassen hatten, doch die Wellen des Meeres, haben unsere Spuren weggespült und ausgelöscht. Mich überkamen Traurigkeit und Einsamkeit, die mir im Moment das Herz schwer machten. In mir der Gedanke, nichts bleibt zurück und ich dachte: „Wer wird an mich denken, wenn ich nicht mehr bin? Wenn die Wellen der Zeit die letzten Spuren verwischen.“ Eine Frage, die sich viele Menschen stellen, wenn sie einsam und allein die Erde verlassen müssen, weil sie niemanden haben, der an ihrem Sterbebett sitzt und trauert. Ihre Hand sanft hält, tröstende Worte spricht und aus Liebe weint. Wer wird mich vermissen, wenn ich nicht mehr bin? Ist es die Angst vergessen zu werden, wenn mein Leben gelöscht wird? Oft habe ich es in meinem Leben gesehen und erleben müssen, wie ganze Leben in Containern entsorgt wurden. Bilder, Briefe, Hausrat, Kleider, Schuhe und andere persönliche Dinge. All das hatte doch eine Geschichte, die Geschichte eines Lebens mit Höhen und Tiefen, Schmerz, Leid, Freude, Glück. Die Geschichte eines Menschen, der geliebt hat und geglaubt, der gekämpft, verloren oder gewonnen hat, der geweint, vor Freude und Glück oder vor Leid und Schmerz. Doch ist all das nur ein Festhalten am Vergänglichen. Wäre da die Frage nicht tröstender, gar voller Neugier und Freude, wenn wir fragen würden: „Wer wird mich erwarten und empfangen, wenn ich von dieser Erde gehe?“ Sicher hätten wir da gern den Einen oder Anderen, den wir uns vorstellen könnten, doch dann könnten wir enttäuscht sein. Es wird vielleicht jemand sein, den wir nie erwarten würden. Jemand, dem wir irgendwann einmal begegnet sind. Vielleicht unserem ärgsten Feind, der wir uns selbst gegenüber waren. Vielleicht dem, dem unsere Aufgabe galt, ihm zu tun, was getan werden sollte. Vielleicht jemand, an den wir uns nicht erinnern, weil wir uns so sehr wünschen, dass jemand bestimmtes sich an uns erinnern würde. Jemand der voller Sehnsucht auf uns gewartet hat, über viele Jahre oder viele Leben lang. Und dann wäre noch die Frage: „Was erwartet uns? Hölle, Tod, ewige Verdammnis? Was hätte das für einen Sinn? Was wäre das für ein Gott und Schöpfer?“ Ich glaube, dass, wenn wir die Auswirkungen unseres Tuns sehen werden, dies die Hölle für uns sein wird. Höllische Scham, um geläutert zu werden. Dass alles, was unnütz war, abgeschnitten wird und in den Tod gegeben, um neu anzufangen. Wenn wir all das sehen, was wir getan haben, werden wir uns selber verdammen für unser Fehlverhalten. Wir würden gerne büßen wollen, um wieder gut zu machen, was wir angerichtet haben, um Lieben zu lernen und aus Liebe zu tun. Doch hier greift doch die Gnade und Hilfe ein. Ewig ist Gott und das Göttliche, was wir in uns tragen. Dieses Göttliche in uns soll und wird bis zur Vollendung gereinigt werden vom vergänglichen Schmutz, damit sich die Worte erfüllen: „Und wir wissen, wenn es erscheinen wird, werden wir ihm gleich sein. Ohne Verdienst, nur aus der Gnade Gottes und Jesu Christi.“
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