Stuart Hall
Cultural Studies –
Ein politisches Theorieprojekt
Ausgewählte Schriften 3
Herausgegeben und übersetzt von Nora Räthzel
Argument Verlag
Die Übersetzung des Textes wurde von der Europäischen Kommission, DGV finanziell unterstützt.
Bitte den Cip-Standardeintrag!!!
Deutsche Erstausgabe
© Argument Verlag 2000
Eppendorfer Weg 95a, 20259 Hamburg
Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020
www.argument.de
Texterfassung durch die Übersetzerin
Korrektur: Franka Hesse
Satz: Martin Grundmann
Umschlaggestaltung: Martin Grundmann
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018
ISBN 978-3-86754-852-6
Inhalt
Dieser dritte Band mit Ausgewählten Schriften von Stuart Hall ist vor allem einem Thema gewidmet: der Entwicklung von Cultural Studies, oder besser, der Interpretation dieser Entwicklung durch Stuart Hall vor dem Hintergrund seines eigenen lebensgeschichtlichen und theoretischen Werdegangs. Die Texte sind einer Festschrift für Stuart Hall entnommen, die anlässlich seiner Emeritierung erschienen ist: Stuart Hall: Critical Dialogues in Cultural Studies 1 1 Herausgegeben von David Morley und Kuan-Hsing Chen, London/New York 1996. Wir danken Stuart Hall und Kuan-Hsing Chen für die Abdruckgenehmigungen. 2 Roger Bromley, Udo Göttlich, Carsten Winter (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Lüneburg 1999. Jan Engelmann (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader. Frankfurt am Main/New York 1999. Darüber hinaus veröffentlichte Jürgen Kramer 1997 einen Band mit dem Titel: British Cultural Studies, mit dem er diesen Bereich für die Anglistik öffnen will. 3 Als Beispiele seien genannt: In Theorien über Ideologie, Argument Sonderband 40 (Berlin 1979, 31986) erschien einer der ersten Texte von Stuart Hall auf Deutsch. Die Entwicklung der Ideologietheorie selbst nutzte Paradigmen des Centre for Contemporary Culture Studies (CCCS) ebenso wie die Arbeiten des Forschungsprojekts Automation und Qualifikation und die Arbeiten, die im Rahmen des Projekts Frauenformen von Frigga Haug, Kornelia Hauser u.a. veröffentlicht wurden (z.B. Frauenformen 2: Sexualisierung der Körper, Argument Sonderband 90, Berlin/Hamburg 1983, 31991, Subjekt Frau. Kritische Psychologie der Frauen 1, Argument Sonderband 117, Berlin/Hamburg 1986, 21988, und Der Widerspenstigen Lähmung. Kritische Psychologie der Frauen 2, Argument Sonderband 130, Berlin 1986, 21990). Die Entwicklung unserer Rassismustheorie ist ohne die Nutzung der Arbeiten von Stuart Hall, Phil Cohen und anderen aus den Cultural Studies nicht denkbar (s. Annita Kalpaka und Nora Räthzel: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Köln 1986, 1990 und 1994). Siehe in diesem Zusammenhang auch Philip Cohen: Verbotene Spiele. Theorie und Praxis antirassistischer Erziehung. Argument Sonderband 214, Hamburg/Berlin 1994.
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Die hier vorgenommene Auswahl soll den deutschen Leserinnen und Lesern eine Version der Entwicklung der Cultural Studies vermitteln, die hoffentlich hilfreich ist für die Nutzung dieses theoretisches Projekts in einer eingreifenden, auf Veränderung orientierten Perspektive. Wie Stuart Hall selbst sagt, geht es nicht um die authentische Fassung, schon gar nicht darum, das, was Cultural Studies sein sollen, zu definieren und zu kontrollieren. Es geht vielmehr um eine Linie in den Cultural Studies, die von Stuart Hall (aber natürlich nicht nur von ihm) repräsentiert wird. Für meine Arbeiten im Bereich der Rassismusforschung und der Jugendforschung sind die Texte von Stuart Hall immer in zweierlei Hinsicht inspirierend: 1. wegen der Perspektive des Eingreifens beim Betreiben von Theorie, 2. weil er sich auf neue Fragestellungen einlässt, ohne die »alten« Auffassungen und Begriffsbildungen über Bord zu werfen.
Früher mussten wir, die wir Theorie als eigenständige Praxis, aber doch als Praxis betrachteten, die für Befreiung nutzbar sein soll (das ist etwas anderes als Wissenschaft »im Dienste von« – hier geht es nicht darum, Wissenschaft politischen Interessen unterzuordnen, sondern darum, eine Wissenschaft zu betreiben, deren Fragestellung und Darstellungsweisen Herrschaftsstrukturen kritisieren und begreifen können), uns mit den Ansprüchen der so genannten »objektiven« Wissenschaft auseinander setzen, die leugnete, dass Wissenschaft von einem bestimmten Standpunkt aus und in einem bestimmten historischen Kontext gemacht wurde. Heute schlagen wir uns oft mit dem Gegenteil herum: mit einem Subjektivismus, der wissenschaftliche Ergebnisse nur noch für die drei Personen, die sie an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit untersuchen, gelten lässt. Stuart Hall ist einer der wenigen Theoretiker, der diese beiden Vereinseitigungen meidet. Er produziert »situiertes Wissen«, das dennoch über seine Zeit und seinen Ort hinausweist.
Wo die einen jede neue Begriffsbildung umarmen und bereit sind, alles, was sie bisher für richtig empfunden haben, mehr oder weniger rasch auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, da rufen die anderen immer nur »modisch«, »Zeitgeist« und beharren darauf, dass die Dinge entweder so bleiben, wie sie sind, oder immer schon so anders waren, wie sie geworden sind. Auch in dieser Beziehung ist Stuart Hall einer der wenigen, der sich den neuen Fragestellungen stellt, der benennt, was er nicht mehr für richtig halten kann, und doch die noch brauchbaren Begriffe und Perspektiven, ja nicht beibehält, sondern entsprechend den neuen Anforderungen weiterentwickelt.
Weil seine Arbeit situated knowledge ist, weil die Person, die dieses Wissen schafft, wichtig ist, deshalb beginnt dieser Band mit einem ausführlichen Interview zum Werdegang von Stuart Hall. Von seiner Kindheit und Jugend in Jamaika bis zu seiner Zeit an der Open University und zur Entwicklung seiner Fragen nach Ethnizität und Identität umfasst diese Erzählung seine persönliche, politische und theoretische Entwicklung und liefert den Kontext für die folgenden Aufsätze. Diese sind chronologisch geordnet und zeigen so noch einmal eine theoretisch-politische Entwicklung. Zum Beispiel werden in dem Text über »Neue Zeiten« einige gesellschaftspolitische Veränderungen als Herausforderung für eine neue Politik und Theoriebildung herausgearbeitet, die in dem Text über »Postmoderne und Artikulation« eher heruntergespielt werden. Das letzte Interview diskutiert die Internationalisierung der Cultural Studies, ihren Erfolg in den USA, in Australien und Asien. Das hier artikulierte Misstrauen gegen eine überaus erfolgreiche Institutionalisierung, die dazu führt, dass die Cultural Studies ihre politische Interventionsfähigkeit verlieren, mag auch für Aspekte der Verbreitung angebracht sein, die heute im deutschsprachigen Raum stattfindet.
Während der erste im Argument Verlag veröffentlichte Band mit Ausgewählten Schriften von Stuart Hall (1989) noch ziemlich zögerlich aufgenommen und Cultural Studies nur von wenigen rezipiert wurde, gibt es mittlerweile einen Boom. Allein 1999 sind zwei dickleibige Reader unter dem Titel Cultural Studies erschienen 2 2 Roger Bromley, Udo Göttlich, Carsten Winter (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Lüneburg 1999. Jan Engelmann (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader. Frankfurt am Main/New York 1999. Darüber hinaus veröffentlichte Jürgen Kramer 1997 einen Band mit dem Titel: British Cultural Studies, mit dem er diesen Bereich für die Anglistik öffnen will. 3 Als Beispiele seien genannt: In Theorien über Ideologie, Argument Sonderband 40 (Berlin 1979, 31986) erschien einer der ersten Texte von Stuart Hall auf Deutsch. Die Entwicklung der Ideologietheorie selbst nutzte Paradigmen des Centre for Contemporary Culture Studies (CCCS) ebenso wie die Arbeiten des Forschungsprojekts Automation und Qualifikation und die Arbeiten, die im Rahmen des Projekts Frauenformen von Frigga Haug, Kornelia Hauser u.a. veröffentlicht wurden (z.B. Frauenformen 2: Sexualisierung der Körper, Argument Sonderband 90, Berlin/Hamburg 1983, 31991, Subjekt Frau. Kritische Psychologie der Frauen 1, Argument Sonderband 117, Berlin/Hamburg 1986, 21988, und Der Widerspenstigen Lähmung. Kritische Psychologie der Frauen 2, Argument Sonderband 130, Berlin 1986, 21990). Die Entwicklung unserer Rassismustheorie ist ohne die Nutzung der Arbeiten von Stuart Hall, Phil Cohen und anderen aus den Cultural Studies nicht denkbar (s. Annita Kalpaka und Nora Räthzel: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Köln 1986, 1990 und 1994). Siehe in diesem Zusammenhang auch Philip Cohen: Verbotene Spiele. Theorie und Praxis antirassistischer Erziehung. Argument Sonderband 214, Hamburg/Berlin 1994.
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