Harald Rockstuhl - Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845

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Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845: краткое содержание, описание и аннотация

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140 Seiten mit 17 Fotos und Abbildungen. Wortgetreue Transkription des Originaltextes.
70 Sagen, 11 Märchen und Gebräuche aus Thüringen und Sachsen (und heute Sachsen-Anhalt) sowie der Stadt Halle – 1845 // 1 s/w und 10 farbige Fotos, sowie 6 Zeichnungen //Drei Kapitel: I. Sagen; II. Märchen; III. Gebräuche mit Lichtmesse, Fastnacht, Aschermittwoch, Ostern, Walpurgis, Himmelfahrt, Pfingsten, Johannis, Martini, Andreasnacht. Die Zeit zwischen Johannis und der Ernte, Ernte. Die zwölf Nächte.

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Auf einem Anger bei Ahlsdorf liegt eine Menge ähnlicher Steine; und auch dies ist ein Schäfer mit zwei Hunden und fünfhundert Schafen, die einst verwünscht worden sind. Wer sie verwünscht hat weiß man nicht; doch erzählt man daß sie einst noch erlöst werden sollen.

8. Frau Harre und Frau Motte

Mündlich

In Gutenberg bei Halle hütet man sich in den zwölf Nächten zu spinnen, weil sonst Frau Harre kommt und den Rocken besudelt. In Pfützenthal wird sie Frau Harren, in Rothenburg (anderthalb Meilen von Pfützenthal) Frau Harfe und in Näglitz (eine halbe Meile von Gutenberg) Frau Archen genannt.

In Löbejün sagt man, Frau Motte kommt und verdirbt das Garn, das man in der Zwölften oder auch während der Fastnacht gesponnen hat.

Anmerkung:

Die Namen Harre und Archen machen es unzweifelhaft daß Harke und Herke nur Diminutivformen sind, die letztere der schon von Gobelinus Persona aus Sachsen angeführten Domina Hera (Myth. 232) entsprechend. Diminutiva auf ke erscheinen bekanntlich in Sachsen häufig als Eigennamen. Auch die verwandte Berchta aber wird Berchtel, Prechtölderli (Myth. 884) genannt, und das schweizerische Posterli und die Sträggele (Myth. 886) gehören zu demselben Kreise von Göttinnen. Doch ob die Göttin ursprünglich Hara oder Hera hieß ist nicht zu entscheiden, so lange nicht für eine der beiden Formen eine sichre Ableitung gewonnen wird. Hêra, die hehre, würde zu Holda und Berchta passen; auch ist zu Hera, Herre oben schon Werre verglichen. Dagegen könnte in Hara (von harên, clamare: Graff 4, 978) die Göttin als die dahinbrausende, das Wild hetzende wilde Jägerin geschildert sein. Die Formen Archen und Arke (Haupts Zeitschrift 4, 386) aber stimmen zu der angelsächsischen Erce, eordhan môdor, und hiernach ließe sich eine weibliche Era vermuthen, welche neben dem männlichen Ero stünde wie Freyja neben Freyr, Fricca neben Fricco, Gode neben Wodan, Nerthus neben Niördhr, vielleicht auch Zisa neben Zio. – Ein gleiches Götterpaar scheint Muota und Muot gewesen zu sein: Muot hieß nach dem schwäbischen Muates heer (Myth. 883) der wilde Jäger; Frau Motte aber wird man besser durch Frau Muota, niederdeutsch Môda, erklären als nach Analogie von Frau Nachtigall, Frau Meise und dergleichen für einen scherzhaften Ausdruck (Domina Tinea) halten. Wenn Muot, wie es scheint, Wodan selbst ist, so stimmt Frau Motte genau zu Frau Gode.

9. Die Taube in den Zwölften

Mündlich aus Diemitz bei Halle

In den Zwölften hört man bei Nacht oft ein wunderbares Rauschen in der Luft. Dann freuen sich die Landleute; denn sie wissen daß ein fruchtbares Jahr folgt, und daß noch außerdem Manchem von ihnen ein unverhofftes Glück begegnen wird. Dann nämlich fliegt eine Frau, die nur in den Zwölften auf Erden erscheint, in Gestalt einer Taube durch die Luft. Die Taube ist nicht größer als gewöhnliche Tauben; doch wenn sie die kleinen Flügel schlägt, saust die Luft weit hinter ihr her, daß man es wohl eine Viertelmeile weit hört. An ihren Füßchen schleppt die Taube ein kleines, niedliches Stühlchen, aus feinem Rohrschilf geflochten, und wenn sie müde wird, stellt sie das Stühlchen auf den Boden, setzt sich darauf und ruht aus: die Erde oder was zur Erde gehört berührt sie nie. Wo sie sich nun so niedergelassen hat, da grünt und blüht es im folgenden Sommer am Schönsten; überall aber, wo sie vorüberzieht, werden die Felder fruchtbar und die Menschen mit vielfachem Glücke gesegnet. Am Morgen des Dreikönigstages wird die Taube wieder zur Frau; doch verschwindet diese alsbald und wird das ganze Jahr nicht gesehen. Wo sie sich das Jahr über aufhält und wer sie ist weiß Niemand.

Anmerkung:

In dem Gedichte von Friedrich von Schwaben kommt Angelburg, Friedrichs Geliebte, mit zwei anderen Jungfrauen in Taubengestalt durch die Luft geflogen. An einer Quelle lassen sie sich nieder, verwandeln sich in Mädchen, legen die Kleider ab und baden sich in der Flut. Friedrich raubt die Gewänder und bekommt, wie es in Sagen von Schwanjungfrauen geschieht, dadurch die Mädchen in seine Gewalt. Da er unter dem Namen Wieland die verlorene Geliebte sucht, ist, wie schon W. Grimm (Deutsche Heldensage S. 402) bemerkt, ein Zusammenhang dieser Sage mit der im eddischen Wielandsliede erhaltenen unzweifelhaft, und die Tauben des deutschen Gedichtes stehen den nordischen Schwänen gleich. Zu beachten ist daß die drei Jungfrauen ihre Taubengestalt verlieren, sobald sie den Boden betreten, und auch in unserer Sage die Taube die Erde nicht berührt. Hiermit hängt wohl zusammen daß man die Hexen vor Gericht nicht auf bloßen Boden treten ließ, weil man meinte, sie bekämen dann Gewalt sich zu verwandeln. Wie hier die Taube mit ihren Flügeln Sturm erregt, kommen nach der ältern Edda die Winde von dem Riesen Hræsvelgr, der in Adlergestalt am Ende des Himmels sitzt und die Flügel schlägt (Myth. 599). Ein Stühlchen nimmt im Märchen von den sieben Raben die Schwester der Raben wie hier die Taube mit sich auf die Wanderschaft, und nach demselben Märchen sitzen die Sterne auf goldenen Stühlen (Kinder- und Hausmärchen 1, S. 160. 161.) Mit der Frau ist ohne Zweifel die in den zwölf Nächten umziehende Göttin gemeint: daß sie durch die Lüfte fliege und dabei Segen ausstreue berichtet schon Gobelinus Persona von der Hera, und noch jetzt wird es in der Mark von der Harke erzählt.

10. Die Amtmannsfrau zu Helbra

Mündlich aus Mansfeld

Einem Amtmann zu Helbra starb seine Frau, und er nahm eine zweite, die mit den Kindern der ersten lieblos umging. Da kam die erste alle Morgen und alle Abende zu den Mägden in den Stall, half ihnen melken und das Vieh striegeln und bat sie gar wehmüthig, alles Liebe, was sie ihnen hier im Stalle anthue, möchten sie doch ihren Kindern auf dem Schlosse wieder zu Gute kommen lassen; denn auf das Schloß dürfe sie nicht gehen. Und weil die Mägde freundlich gegen sie waren, wurde sie immer vertraulicher, bis sie eines Morgens, als sie fortschlich, vom Amtmann bemerkt wurde. Da ließ er einen Jesuiten kommen, welcher die Frau bannen sollte. Und der Jesuit hieß sie aus dem Grabgewölbe nehmen und in ein Gehölz vor dem Dorfe legen, welches das Pfarrholz heißt. An das Pfarrholz stößt ein Teich, und der Jesuit gab der Todten ein Sieb in die Hand und bannte sie, wenn sie im Grabe nicht rasten wolle, müsse sie mit dem Siebe erst den Teich ausschöpfen, ehe sie wieder auf den Schloßhof kommen dürfe. Und nun war der Teich alle Morgen kleiner, und es währte nicht lange, so war er ausgetrocknet, und die Frau erschien wieder im Stalle. Da nahm man sie zum zweiten Mal aus dem Grabe und brachte sie über die Grenze in das ahlsdorfer Gebiet. Nun konnte sie nicht mehr auf das Schloß nach Helbra kommen; denn über die Grenzen dürfen Geister nicht: doch ging sie noch lange allnächtlich an den Grenzsteinen auf und nieder und schaute sehnsüchtig nach dem Schlosse hinüber. Und das ist erst vor fünf und zwanzig Jahren geschehen.

Helbra Postkarte um 1920 Verlag Paul Schnitzer Helbra Sammlung Harald - фото 5

Helbra. Postkarte um 1920. Verlag Paul Schnitzer, Helbra.

Sammlung Harald Rockstuhl.

11. Altes Mütterchen erlöst

Mündlich aus Gutenberg

In Gutenberg war eine Wöchnerin eines Abend ganz allein zu Hause, weil ihr Mann über Land gegangen war und sich auf dem Heimwege verspätet hatte. Und als sie nun so still in ihrem Bette lag und sich im ganzen Dorfe nichts mehr regte, da begann es plötzlich unter ihr im Keller des Hauses zu rascheln; die Kellertreppe herauf kamen langsame Schritte, und herein trat ein altes, gebücktes Mütterchen mit einem Spinnrocken in der Hand. Es setzte sich ohne zu grüßen oder ein Wort zu sprechen neben die Wiege und spann und sah das Kind von Zeit zu Zeit mit so recht freundlichen, doch wehmüthigen Augen an. Die Frau zitterte vor Angst, doch schwieg sie und zog nur heimlich die Wiege immer etwas näher an das Bett. Als das Mütterchen eine Weile gesponnen hatte, stand sie auf, nahm den Rocken in die Hand und winkte der Wöchnerin mit ihr zu gehen. Die aber hüllte sich tiefer ins Bett, machte die Augen fest zu und sah nicht eher wieder auf als bis sie ihren Mann zur Thür hereinkommen hörte. Wie sie dem erzählte was sie gesehen hatte, wurde auch ihm ganz bang, und er versprach sie nicht wieder Abends allein zu lassen. Sie saßen nun die nächsten Abende traulich beisammen und sahen und hörten nichts. Nach einigen Tagen aber geschah es doch wieder daß der Mann, als die Nacht anbrach, noch ausblieb, und nun kam um dieselbe Zeit wie das erste Mal das alte Mütterchen mit dem Spinnrocken, setzte sich an die Wiege und spann ohne ein Wort zu sprechen. Und als sie wegging, winkte sie der Frau wieder und sah sie gar freundlich bittend mit so lieblicher und doch so bekümmerter Miene an, daß die Frau fast mitgegangen wäre, wenn sie nicht gefürchtet hätte, es sei nur ein böser Geist, der sie verlocken wolle. Am folgenden Morgen ging der Mann der Wöchnerin zum Pfarrer und erzählte dem die Geschichte von dem alten Mütterchen, welches schon zweimal bei seiner Frau gewesen sei. Und der Pfarrer kam zu der Frau, segnete sie ein und las eine Messe über sie (denn es ist dies Alles schon vor langer, langer Zeit geschehen, als die Sachsen noch katholisch waren), und nun hieß er sie, wenn das Mütterchen wieder komme, getrost aufstehen und mitgehen, nun würden alle bösen Geister der Welt ihr kein Haar zu krümmen wagen. Als die Frau bald darauf wieder einmal des Abends allein war, kam richtig wieder das gebückte Mütterchen und spann wie früher still vor sich hin, grüßte nicht und sprach nicht; doch als sie diesmal den Rocken nahm und der Frau winkte, stand diese auf, ergriff ihre Lampe und folgte ihr. Sie gingen die Kellertreppe hinab, und als die Frau auf die unterste Stufe trat, fuhr sie erschrocken zurück, denn vor ihr stand eine Mulde voll runder, blanker Dukaten. Und das alte Mütterchen fiel ihr um den Hals und rief „Gott sei gedankt! Nun bin ich erlöst, und du bist meine Retterin. Ich war verwünscht diesen Schatz zu bewachen, bis am Neunten eines Monats in deinem Hause ein Knäblein geboren würde, dessen Mutter ich ohne zu sprechen zu dem Schatz herab locken könnte. Dein Sohn ist am Neunten geboren; doch wärst du heut nicht mit gekommen, so wäre ich verloren gewesen, denn nur dreimal durfte ich den Schatz verlassen. Nun nimm das Gold und lebe fröhlich damit; so lange Einer von deinem Geschlechte übrig ist, wird es nicht zu Ende gehen.“ Und wie die Wöchnerin noch erstaunt bald das Mütterchen, bald die Dukaten ansah, war die Alte plötzlich verschwunden. Da griff die Frau eilig nach den Dukaten, um zu sehen ob sie auch verschwinden würden; doch es waren wirkliche Dukaten und wurden ihr sehr schwer, als sie die Mulde die Treppe hinauftrug.

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