Harald Rockstuhl - Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845
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- Название:Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845
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Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845: краткое содержание, описание и аннотация
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70 Sagen, 11 Märchen und Gebräuche aus Thüringen und Sachsen (und heute Sachsen-Anhalt) sowie der Stadt Halle – 1845 // 1 s/w und 10 farbige Fotos, sowie 6 Zeichnungen //Drei Kapitel: I. Sagen; II. Märchen; III. Gebräuche mit Lichtmesse, Fastnacht, Aschermittwoch, Ostern, Walpurgis, Himmelfahrt, Pfingsten, Johannis, Martini, Andreasnacht. Die Zeit zwischen Johannis und der Ernte, Ernte. Die zwölf Nächte.
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Ein andrer Schäfer verlor am Johannisabend seine Heerde, die er auf dem Kiffhäuser gehütet hatte. Er lief durch das Gebüsch und hohe Gras sie zu suchen, und dabei streifte er, ohne es zu wissen, mit den Füßen die Wunderblume ab, und sie blieb in seiner Schuhschnalle hängen. Wer diese Blume, die nur in der Johannisnacht blüht, an sich trägt, der kann die Geister sehen: und wie es nun im Thale elf schlug, war der Schäfer grade dicht unter dem Gipfel des Berges, und er sah wie sich der Berg aufthat und der Kaiser Otto mit vielen Rittern herausstieg. Sie waren gar stattlich anzuschauen und begannen auf dem Berge Kegel zu schieben, und als sie eine Weile geschoben hatten, schmaräkelten sie. Der Schäfer blieb verwundert stehen und schaute zu. Da schlug es zwölf, und sie stiegen in den Berg zurück, und der Berg schloß sich wieder. Der Schäfer nahm zum Wahrzeichen den König der Kegel und steckte ihn in seine Hirtentasche. Er ging weiter nach seinen Schafen, fand sie auch bald und erzählte nun am Morgen den andern Hirten was er in der Nacht gesehen hatte. Die aber lachten ihn aus: da holte er den Kegel aus der Tasche, und wie er ihn ansah, war er ganz von Gold.
Nachdem der Kaiser Otto wohl manche hundert Jahre in dem Berge gehaust hatte, ging er zur Ruh ins Grab, und an seine Stelle zog der Kaiser Friedrich in den Kiffhäuser, der noch dort wohnt. – Nach Andern aber soll der Kaiser Otto aus dem Kiffhäuser in das quedlinburger Schloß gezogen sein und noch jetzt in den tiefen Kellern desselben sitzen. Die Magd des Küsters in Quedlinburg wurde einst von einem Geiste hinabgeführt und sah den Kaiser, der ganz von Golde war und sich nicht regte. Nach einer alten Wahrsagung soll das quedlinburger Schloß einst abbrennen: dann wird man den Kaiser unter den Trümmern finden und das Schloß mit dem Golde, in das sein Leib sich verwandelt hat, neu und schöner aufbauen; sein Geist aber wird dann Ruhe finden.
Anmerkung:
In der mittelalterlichen Sage von Otto dem Rothen sind die beiden ersten Ottonen verschmolzen, wie die von Friedrich Rothbart Züge aus der Geschichte Friedrichs II. enthält (s. Jacob Grimm Gedichte des Mittelalters auf Friedrich I. den Staufer S. 12; Deutsche Sagen der Brüder Grimm 2, 488). Bekanntlich kommt Otto schon im Herzog Ernst, in Rudolfs gutem Gerhard und in Konrads von Würzburg Otto mit dem Bart als halb mythische Gestalt vor (vergl. Deutsche Sagen 2, 466. 469. 470); und wenn unsere jüngeren Sagenquellen von ihm schweigen, so ist dies nur als zufällig anzusehen, da der im südlichen Sachsen und nördlichen Thüringen allgemein verbreitete Glaube daß er einst im Kiffhäuser gewohnt habe oder noch dort wohne sicher mit jenen mittelalterlichen Überlieferungen zusammenhängt. Wichtig ist daß die in den Kiffhäuser entrückten Helden beide rothe Bärte haben. Schon Grimm vergleicht Mythologie S. 910 Friedrich des Bartes wegen mit Thor, an dessen Stelle in Norwegen Olaf, der rothbärtige, als Riesenbekämpfer getreten ist: doch zugleich deutet er in der Vorrede zur Mythologie S. XVI die fliegenden Raben, nach denen Friedrich im Kiffhäuser fragt, wohl richtig auf Odhinns Raben; und an Odhinn erinnert unter den bergentrückten Helden noch besonders Karl der Große, der nicht mit rothem, sondern mit langem weißen Bart in mehreren deutschen Bergen sitzt. Ich glaube darum die Ritter und Knappen, welche nach dieser und der folgenden Sage mit Otto und Friedrich im Kiffhäuser wohnen, zu den nordischen Einherjen stellen zu dürfen, den in der Schlacht gefallenen Helden, die bei Odhinn in Walhalla einkehren1. Odhinn und Thor aber scheinen in den Sagen von Otto dem Rothen und Friedrich Rothbart im Kiffhäuser sich zu berühren. – Die Wunderblume, welche nur in der Johannisnacht blüht, kommt mehrfach in Harzsagen vor. In der Johannisnacht zeigt sich auch die grüne Jungfer auf dem Hausberge (Sage 12), und es knüpfen sich wohl an keine der noch jetzt im Volksglauben geheiligten Nächte so reiche Reste des Heidenthums wie an sie: in sie, die midsummernight, nicht in eine beliebige Sommernacht, verlegte darum auch Shakspeare sein Gedicht von Oberon und Titania. – Daß Otto aus dem Kiffhäuser in das quedlinburger Schloß, welches ebenfalls auf einem Berge liegt, gezogen sei versicherte der Erzähler, ein alter Bauer aus Helfta, in seiner Jugend, als er in Thale bei Quedlinburg diente, oft gehört zu haben: in Quedlinburg selbst habe ich vergeblich danach gefragt. – Schmaräkeln (S. 12 Z. 33) heißt ein Kegelspiel, bei welchem man nicht mit den Kugeln schiebt, sondern sie in die Höhe wirft, so dass sie beim Niederfallen die Kegel umschlagen (vergl. Schmellers bair. WB. 3, 471). – Zu dem Ständchen, welches hier Otto gebracht wird, vergl. Deutsche Sagen 1, 296.
2. Kaiser Friedrich, die Königin Holle und Napoleon
Mündlich aus Halle
Im letzten Kriege kam ein französischer Marschall nach Nordhausen, und wie er die Trümmer der Kiffhäuserburg sah und hörte, daß dies ein verwünschtes Schloß sei, auf dem es bei Nacht Niemand Ruhe lasse, rief er im Uebermuth „So will ich die nächste Nacht dort oben schlafen“; und er hörte auf keine Warnung, sondern ließ sein Feldbett auf dem Kiffhäuser aufschlagen. Und als es Mitternacht war, sandte der Kaiser Friedrich, der seit undenklichen Jahren im Kiffhäuser wohnt, die Königin Holle hinauf zu dem Marschall und ließ ihm sagen, er möge seinen Herrn, den Kaiser Napoleon, warnen nicht nach Rußland zu ziehen; denn von da werde er nur in Schmach und Noth wiederkehren: und er möge dem Kaiser verkündigen, wenn er seinen Ruhm lieb habe, solle er Deutschland räumen; denn er, der Kaiser Friedrich, dulde nicht daß sein deutsches Volk den Franzosen unterthänig sei: und wenn der Kaiser Napoleon diese Mahnung nicht höre, werde er in Jammer und Armuth untergehn. – Der Marschall eilte am folgenden Morgen nach Halle, wo Napoleon sich grade aufhielt, und sagte ihm was die Königin Holle ihm melden ließ, und alle Generale und alle Soldaten baten den Kaiser nicht nach Rußland zu gehen; doch er, wie er war, lachte sie aus, und das hat er denn büßen müssen.
Die Königin Holle ist Kaiser Friedrichs Haushälterin im Kiffhäuser. Sie war eine reiche Königswittwe und wurde freventlich ermordet: da fand ihr Geist keine Ruh im Grabe und schwärmte lange umher, bis sie hörte daß der Kaiser Friedrich im Kiffhäuser eine Freistatt gefunden; und da sie sich aus ihrer Zeit erinnerte daß man ihn immer als einen so gerechten und gütigen Herrn gepriesen hatte, ging sie zu ihm in den Berg, und dort führt sie ihm nun die Wirthschaft und sorgt für Alles, was er und die vielen hundert Ritter und Knappen bedürfen, die mit ihm um den großen steinernen Tisch sitzen.
Anmerkung:
Die Sage daß Holda bei Friedrich im Kiffhäuser wohne deutet aufs Neue darauf hin daß Holda, Berchta und die verwandten, besonders in den zwölf Nächten auftretenden Göttinnen erst durch Abschwächung des alten Mythus an die Stelle der Frigg getreten sind (vergl. Myth. 899), welche nach der Edda als Hausfrau Odhinns für den Haushalt der Asen und Einherjen sorgt, wie hier Holda dem Kaiser, in welchem Odhinn durchbricht, und den Rittern und Knappen, die wir den Einherjen verglichen haben, die Wirthschaft führt. Holda, die holde, und Berahta, die leuchtende, wären passende Beiwörter der milden, hehren Gemahlin des Himmelsgottes, und sie können als minder bezeichnend leicht darum den echtheidnischen Namen Frigg verdrängt haben, weil sie den Christen weniger anstößig waren und daher weniger verfolgt wurden. Es sprechen für die Identität dieser Göttinnen und der Frigg noch folgende Züge. Der Orion heißt Friggs Rocken, und Holda und Berchta schützen den Flachsbau und die Spinnerinnen. Eine isländische Sage des vierzehnten Jahrhunderts erwähnt eine Zauberin Hulda als Odhinns Geliebte (Myth. 249). Holda und Berchta führen wie Odhinn das wilde Heer; Frigg aber sitzt nach Paulus Diaconus neben Odhinn auf seinem goldenen Stuhl in Walhalla, sie zog darum vielleicht auch neben ihm an der Spitze des wüthenden Heeres und konnte wie er als den Zug führend gedacht werden. Huldra, die dänische und norwegische Berg- und Waldfrau, erscheint bald als graugekleidete, finstre Alte, bald als heitre Jungfrau in blauem Gewande, und man darf diese doppelte Gestalt mit um so größerer Sicherheit auf den umwölkten und wolkenlosen Himmel deuten, als auch die deutsche Holda am Himmel waltet, ihre Lämmer (kleine, weiße Wölkchen) darauf hütet und den Schnee sendet: keiner der Göttinnen aber steht es mehr zu als der Gemahlin des Himmelsgottes daß sie auch an der Erregung der Himmelserscheinungen Theil hat. Wie Odhinn den Erntesegen verleiht, befruchten Holda und Berchta die Felder, und ihm gleich verhängt Berchta Krankheiten, ihm gleich steht sie an der Spitze von Fürstengeschlechtern. Frigg wechselt mit Freyja; in Freyjas Gemeinschaft aber leben die Frauen und ein Theil der in der Schlacht gefallenen Helden nach dem Tode, und eben so kommen Verstorbene zu Holda und Berchta ins wilde Heer (vergl. die Anmerkung zu Sage 41). Dazu daß Frigg Odhinns Hausfrau heißt stimmt ferner daß Holda und Berchta den Fleiß der Mägde überwachen und daß die weiße Frau und verwünschte Prinzessin gewöhnlich ein Schlüsselbund trägt. Unter den verwandten Göttinnen stellt sich Frau Gode schon durch ihren Namen zu Wodan, wie Frau Motte, nach der in der Anmerkung zur achten Sage ausgesprochenen Vermuthung, zu Muot, dem wilden Jäger. – In Bechsteins Kiffhäusersagen (im vierten Bande des thüringischen Sagenschatzes) wird Nr. 16 nur eine Schaffnerin im Kiffhäuser erwähnt. – Daß Napoleon mit Holda und Friedrich Barbarossa in Verbindung gebracht wird hat nichts Unvolksthümliches: vielmehr finden sich zahlreiche Beispiele, daß geschichtliche Personen, welche die Aufmerksamkeit des Volkes in hohem Grade erregt haben, bald nach ihrem Tode, und bisweilen selbst schon beim Leben, in die Sage aufgenommen werden. So sind, um nur zwei Fälle aus neuerer Zeit anzuführen, an Ziethen und den alten Dessauer Sagen geknüpft, die schon von Faust und noch früheren Zauberern berichtet werden und auch auf diese sicher erst von heidnischen Gottheiten übertragen sind (Tettau und Temme Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens Nr. 155; Temme Sagen der Altmark Nr. 74).
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