Everleigh küsste Rhett noch ein letztes Mal zum Abschied und eilte dann zurück an ihren Arbeitsplatz. Ja, ihr Leben war perfekt, wirklich perfekt. Genauso, wie sie es sich immer erträumt hatte.
„Holiday!“, rief Lieutenant Ingram mit müder und angespannter Miene von seiner Bürotür aus, die Hände in die Hüften gestemmt.
Als Beck ihren Schreibtisch verließ, machte sie sich auf den Einlauf ihres Lebens gefasst. Danach würde sie dann ihre Bombe zünden und sich vor den Splittern in Deckung bringen.
Sie hatte hin und her überlegt, ob sie es ihm sagen sollte, denn schließlich brauchte er mit der ganzen Sache ja gar nichts zu tun haben, aber ihr Zustand würde Auswirkungen auf ihre Zukunft in der Abteilung haben, ihr vielleicht – wenn sie Glück hatte – ein bisschen Sympathie einbringen, nachdem sie einen bereits festgenommenen und in Handschellen gelegten Täter geschlagen hatte.
„Mach die Tür zu“, sagte er und nutzte seinen Schreibtisch als Barriere zwischen ihnen. „Kannst du mir mal sagen, was eigentlich mit dir los ist? Du hast einen Tatverdächtigen geschlagen und dann auch noch einfach deinen Dienst verlassen? Der Captain hat mich deshalb schon in die Mangel genommen, von wegen Pflichtvergessenheit und so weiter.“
„Es war eine harte Nacht“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Der nachlassende Adrenalinschub bewirkte, dass sie immer wieder leicht zitterte.
„Harte Nacht? Beck, ich habe gesehen, wie du sterbende Menschen im Arm gehalten hast und voller Blut warst, und eine Stunde später schon wieder Drogendealer in dunklen Hinterhöfen verfolgt hast. Vor zwei Jahren hast du dir das Handgelenk gebrochen, als du mit der Frau gerungen hast, die mit einem Baseballschläger auf ihren Mann losgegangen war. Du hast dich im Krankenhaus behandeln lassen und bist danach sofort wieder zur Arbeit gekommen.“ Er beugte sich vor, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Du musst mir schon einen besseren Grund liefern als eine ,harte Nacht‘.“ Hunter Ingram war nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr Freund und ganz kurz war er sogar mehr als das gewesen, denn sie waren eines Nachts … nun ja – in einem Abstellraum in Rosie’s Bar gelandet.
„Es ging mir nicht gut und Boudreaux hatte diesen Hund …“
„Deshalb hast du ihn geschlagen?“
Sie blickte jetzt auf und stützte die Hände auf ihrem Gürtel ab. „Ja, ich habe ihn geschlagen. Er hatte es verdient und es tut mir nicht leid. Er hat dem Hund Crack in einem Beutel eingeflößt. Wie oft haben wir ihn schon festgenommen, nur um ihn vierundzwanzig Stunden später wieder freizulassen? Das wertet unsere Arbeit völlig ab, Hunter.“
„Aber du kannst doch keinen Tatverdächtigen in Handschellen vermöbeln, Beck.“ Hunter kam jetzt hinter dem Schreibtisch hervor und fuhr fort: „Besonders dir, die immer lehrbuchmäßig unterwegs ist, sollte das doch klar sein.“
„Hast du nicht zugehört, was er mit dem Hund gemacht hat? Der arme kleine Kerl hatte solche Schmerzen, dass ich ihn kaum berühren konnte. Er war halb tot und roch nach Exkrementen und Erbrochenem.“ Sie wandte sich mit verschränkten Armen von ihm ab und schaute zur Tür. „Das war zu viel – einfach zu viel. Und als Boudreaux dann noch gesagt hat, dass er sich den Hund eigentlich zum Abendessen grillen wollte, bin ich ausgerastet.“
„Ich hoffe, das war es wert“, sagte er zu Beck, die ihn jetzt wieder ansah. „Du bist nämlich suspendiert und zwar vier Wochen ohne Gehaltszahlung.“
„Vier Wochen?“ Sie wirbelte herum, um ihn anzusehen. „Was zum …“, und dann kamen ein paar ausgesuchte obszöne Worte über ihre Lippen. „Ohne Bezahlung? Tuttle ist wegen Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit festgenommen worden und hat nur zwei Wochen bekommen – mit Bezahlung.“
„Das waren noch andere Zeiten, Beck. Das hier kommt von ganz oben, vom Polizeipräsidenten der New Yorker Polizei. Null Toleranz bei allem, was auch nur ansatzweise nach Polizeigewalt riecht.“
„Hör mal, Hunter, ich wusste ja, dass da irgendwas kommen würde, denn ich kenne schließlich die Vorschriften, aber Parker Boudreaux ist im Revier einschlägig als Drogendealer bekannt. Er hat schon so vielen Leute geschadet. Viel schlimmer als ich ihm mit dem einen …“
„… oder zweien“, ergänzte der Lieutenant, der eindeutig Bescheid wusste über die Details.
„Oder die zwei, die ich ihm verpasst habe.“
„Und dann hast du dich einfach aus dem Job entfernt.“
„Um ein Lebewesen zu retten, einen süßen, unschuldigen Hund. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso ich dafür vier Wochen ohne Gehalt bekommen soll. Ich möchte jetzt meinen Gewerkschaftsvertreter dabeihaben.“
„Der hat deine Suspendierung schon unterschrieben“, erklärte Hunter nur trocken. „Hogan hat die Ereignisse bestätigt, nachdem die Eltern des Jungen sich einen Anwalt genommen und Anzeige wegen Polizeigewalt erstattet haben. Wir haben die Aufnahmen von seiner und auch von deiner Body-Cam.“
„Das ist doch völlig verrückt, Hunter, und das weißt du auch. Boudreaux ist ein Mistkerl. Wer weiß, welches unschuldige ausgesetzte Tier er als Nächstes in sein Versteck lockt? Wenn das hier irgendein PR-Gag ist, warum erzählen wir dann nicht mal ganz New York von dieser reichen Göre von der Upper West Side, die ihr Leben vertut und Hunde quält, häh? Wie viele Familien gehen kaputt durch das Zeugs, das er verkauft und wie viele Leben enden deshalb viel zu früh? Jeder in dieser Stadt wäre auf meiner Seite.“
Hunter griff nach einer Ausgabe der New York Post und sagte: „Wenn du an dein Handy gehen würdest, dann wüsstest du, dass die Boudreaux’ sich schon an die Presse gewandt haben.“
Auf der Titelseite der Zeitung prangten ein Foto von Beck und die Schlagzeile:
POLIZEIGEWALT: ANGRIFF GEGEN SOHN EINES PROMINENTEN GESCHÄFTSMANNES AUS MANHATTAN
„Das soll wohl ein Witz sein“, sagte sie wütend und schleuderte die Zeitung zurück zu Hunter. „Ich dachte, seine Eltern wären gute Menschen.“
„Und ich dachte, du wärst eine gute Polizistin. Boudreaux zu schlagen, egal, was er getan hat …“
„Ein wehrloses Tier, Hunter.“ Ohne dass sie es wollte, kamen ihr jetzt die Tränen. „Ich dachte, wir sollen schützen und bewahren. Du hättest den kleinen Hund sehen sollen. Er war völlig verfilzt und hatte schreckliche Schmerzen.“ Beck hob die eine Hand und fuhr fort: „Seine … Tränen sind genau hier hin getropft.“
„Hunde weinen nicht so wie Menschen“, widersprach ihr Hunter.
Da ging sie auf ihn los und sagte: „Wenn ich dir doch sage, dass er geweint hat …“
Mit erhobenen Händen trat er ein Stückchen zurück. „Okay, okay, ist ja schon gut, ich hab ja gar nicht gewusst, dass du wegen eines Hundes so emotional werden kannst. Oder wegen überhaupt etwas …“
Beck wandte sich ab. Das waren die Babyhormone – sie mussten es sein. „Vier Wochen ohne Bezahlung also?“
„Ja. Wir haben die Anklagepunkte gegen Boudreaux mit Auflagen fallen lassen. Er muss sich einem Drogenentzug und anschließend einer Therapie unterziehen. Dadurch ist dann zumindest sein Kontakt zu Vinny erst mal für eine Weile unterbunden. Aber um zu verhindern, dass die Familie Anzeige gegen dich erstattet, mussten wir dich suspendieren.“
„Drogenentzug und Therapie? Das ist doch für ihn das reinste Vergnügen. Urlaub in einem Luxushotel, wo er dann in der Therapie die Schuld für alles auf seine Eltern schieben kann. In sechs Wochen entlassen sie ihn dann mit Sternchen und schicken ihn wieder raus auf die Straße.“ Beck fluchte und trat so heftig gegen Hunters Birkenfeige, dass der Topf der Pflanze gegen die Wand prallte. „Wer hat eigentlich in dieser Stadt das Sagen? Reiche Geschäftsleute? Seit Jahren versuchen wir jetzt schon, Vinny festzusetzen, und Boudreaux war unsere große Chance. Wir hatten ihn. Wieso hat der Staatsanwalt ihn nicht vor die Alternative gestellt, entweder gegen Vinny auszusagen oder selbst ein Strafverfahren zu bekommen? Das wäre mal eine Strategie gewesen.“
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