Daraufhin verschloss Everleigh mit einem imaginären Schlüssel ihren Mund, ihre Schwiegermutter lächelte, und die beiden hatten noch einen liebevollen gemeinsamen Moment, bevor die Ältere sich ein zweites Mal verabschiedete und die Zimmertür schloss.
Als sie weg war, nahm Everleigh ein Bad, zog sich an und wischte dann mit einem von Rhetts schmutzigen T-Shirts erst auf den Nachttischen und dann auf dem alten Schreibtisch am Fenster Staub, wo er sich jeden Abend mit den Bauplänen für das Haus beschäftigte.
„Ich liebe dieses Haus immer mehr“, sagte er, als er ins Bett kam und sich neben sie kuschelte, um ihren Bauch zu streicheln, bevor er dann das Licht ausschaltete. „Was meinst du, mein Sohn? Möchtest du in dem Haus in der Memory Lane aufwachsen?“
„Halt! Was ist denn, wenn es ein Mädchen ist? Sie wird glauben, dass du sie nicht magst.“
Dann küsste Rhett sie und sagte: „Sie wird mir wertvoll wie mein Augapfel sein.“
Everleigh zuckte zusammen, als sich in ihrem Bauch etwas regte. Spürte sie gerade zum ersten Mal das Kind? Der Arzt hatte gesagt, es sei noch zu früh, um Kindsbewegungen zu spüren, aber vielleicht ließ ihr Kind sie ja wissen, dass er oder sie unbedingt in dem herrlichen neuen Haus leben wollte, wo sie Erinnerungen schaffen würden – von Essen im Familienkreis, Brettspielen vor dem Zubettgehen, von Geburtstagen und Feiertagen, warmem Kaminfeuer im Winter und selbst gemachtem Eis im Sommer.
So, jetzt aber genug der Tagträumerei. Es wartete Arbeit auf sie, die erledigt werden musste. Sie band sich noch rasch ein Tuch um den Kopf und ging dann nach unten.
Als Erstes nahm sie die Küche in Angriff. Sie machte die Pfanne sauber, in der Mama Applegate zum Frühstück immer Eier und Speck für die Männer briet. Außer Rhett und seinem Vater arbeiteten noch Onkel Floyd, Cousin Mike und drei Angestellte auf der Ranch, und Mama Applegate und Tante Millie wechselten sich beim Zubereiten vom Frühstück und Lunch ab.
Als Nächstes schälte sie Kartoffeln, Karotten und Äpfel und naschte dabei ein paar Apfelspalten als verspätetes Frühstück. Dann nahm sie den Teig aus der Kühlkiste und ging anschließend gleich nach draußen, um die Gartenarbeit zu erledigen.
Als sie den Hühnerstall sauber gemacht, Unkraut gejätet und mit den Welpen gespielt hatte, hielt sie ein kleines Nickerchen auf der Bank unter den Pappeln, und dann war es auch schon nach zwölf Uhr und sie hatte Hunger.
Im Haus nahm sie eine Scheibe Brot aus dem Brotkasten, und als sie kurz darauf aus dem Fenster schaute, sah sie, wie sich am sonnigen Himmel jetzt Wolkenberge auftürmten. Wie sie es liebte, wenn am Nachmittag ein Regenschauer niederging!
Nach dem Lunch wollte sie noch einmal mit den Welpen spielen, und falls es dann regnete, würde sie erst den Pie zubereiten und danach die Materialien aussuchen, die Rhett brauchte.
Everleighs Magen knurrte, als sie erst die Brotscheiben mit Schinken und Käse belegte und sich dann noch ein Glas kalte Milch einschenkte. Sie nahm ihren Lunch mit nach draußen und hielt ihr Gesicht in die kühlende Brise, die schon nach Regen roch.
Beim ersten Bissen von ihrem Sandwich ging ihr das Herz auf. Sie musste regelmäßiger essen und nicht erst, wenn sie vor Hunger beinah umfiel, denn schließlich wuchs ein Kind in ihr heran. In der Zwischenzeit hatten sich Lolas Bordercollie-Welpen um ihre Füße herum versammelt, wo sie fiepten und jaulten und versuchten, an ihren Beinen hochzuklettern, um einen Bissen abzubekommen.
Sie hatte sich schon entschieden, den kleinsten und mickrigsten Welpen aus dem Wurf zu behalten und ihn mit in die Memory Lane zu nehmen. Sie hatte ihm den Namen Rocco gegeben.
Der Wind zauste in den Zweigen der Bäume und drehte die Blätter mit der Unterseite nach oben, ein sicheres Zeichen, dass es regnen würde. Außerdem türmten sich die bedrohlichen Wolkenberge immer höher auf.
Der Wind wehte Everleigh die Serviette vom Schoß und Rocco schloss sich seinen Geschwistern bei der Jagd nach dem Stück Stoff an.
Als sie den letzten Bissen ihres Schinken-Käse-Sandwichs verzehrt und mit einem Schluck Milch hinuntergespült hatte, nahm sie dem größten der Welpen, der offenbar Tauziehen spielen wollte, die Serviette wieder ab.
„Komm, gib schon her, mein kleiner Schatz“, sagte Everleigh und musste lachen, als er sich auf seinen winzigen Hintern ins Gras setzte und knurrte, so laut er konnte.
Das Geräusch des Windes hatte sich inzwischen verändert und sie wollte möglichst schnell wieder ins Haus. Sie hob die Welpen – erst Rocco und dann auch alle anderen – in ihre Schürze – und als sie gerade bei der Hintertür ankam, die in die Küche führte, fing es an, in dicken Tropfen zu regnen.
Everleigh stellte ihr benutztes Geschirr in die Spüle und setzte die Welpen auf dem Linoleumfußboden ab, bevor sie dann durchs ganze Haus ging und alle Fenster schloss.
Mama Applegate erlaubte eigentlich nicht, dass die Hunde mit ins Haus kamen. „Sie haben ein sehr schönes Zuhause in der Scheune“, sagte sie immer – aber Everleigh hatte keine Zeit mehr, noch einmal zurück zur Scheune zu gehen und sie zu ihrem Lager aus Heu zu bringen.
Sie errichtete deshalb aus Küchenstühlen eine Absperrung, sodass die Welpen unter dem Tisch eine Art Pferch hatten, und gab jedem zwei Happen von dem Hähnchen, das es letzten Abend zum Essen gegeben hatte.
„So, und jetzt benehmt euch, während ich den Pie mache.“
Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, und als sie den Teig ausrollte, schaute Everleigh immer wieder hinaus.
Aus dem Ächzen und Stöhnen des Windes war inzwischen ein Heulen geworden.
Und sie hatte gerade den Pie in den Ofen geschoben, als das Haus so heftig von einer Windbö getroffen wurde, dass die Fensterscheiben klirrten.
Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und schaltete das Radio in der Küche ein, um Nachrichten zu hören, doch es kam nur statisches Knistern heraus.
Wieder heulte und pfiff der Wind und es klang fast wütend und unheimlich.
Das ganze Haus bebte so heftig, dass der Kronleuchter ins Schwingen geriet und ein Glas aus dem offenen Regal über der Spüle fiel. Everleigh war gerade dabei, die größeren Scherben in den Mülleimer zu werfen, als die Südseite des Hauses von einer Windbö getroffen wurde und in der oberen Etage ein lautes Geräusch zu hören war, so als ob etwas splitterte.
Everleighs Herz pochte jetzt so heftig, dass es ihr in den Ohren dröhnte, während sie die Küchenstühle zur Seite zog und den zitternden Welpen zuraunte „Kommt mal her.“
Die zappelnden kleinen Körper an ihre Brust gepresst, ging sie rückwärts zur Fliegengittertür, um sich vorsichtshalber im Keller in Sicherheit zu bringen, der bei Sturm den besten Schutz bot.
Der Sturm peitschte ihr den Regen ins Gesicht und drückte sie gegen einen der Stützpfeiler der Veranda, sodass sie beinah den kleinen Rocco losgelassen hätte.
Sie musste unbedingt den Keller erreichen, brauchte aber alle Kraft, ihre gesamte Kraft, um die Veranda überhaupt verlassen zu können. Dabei rutschte sie auf dem nassen Holz aus, taumelte rückwärts und konnte den größten Welpen nicht mehr festhalten. Der fiel zu Boden, jaulte laut auf und rannte hektisch im Kreis herum.
Sie rief ihn, aber der Wind war so laut, dass ihre Stimme nicht zu hören war. Sie schlang ihren einen Arm fest um den Stützpfosten der Veranda, um nicht weggeweht zu werden und verstaute Rocco mit der anderen Hand in ihrer Schürzentasche, während sie gleichzeitig versuchte, die anderen beiden zappelnden Welpen festzuhalten und den völlig panischen größten am Nackenfell wieder hochzuheben.
Als sie es geschafft hatte, rannte sie geduckt mit einem wilden Schrei fast wahnsinnig vor Angst und völlig durchnässt hinüber zum Keller.
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