Rachel Hauck - Memory House

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Beck Holidays Welt scheint plötzlich aus den Fugen zu geraten. Die toughe junge Frau erwartet nicht nur ungewollt ein Kind, sie wird auch wegen eines Fehlverhaltens von ihrem Dienst als New Yorker Polizistin suspendiert. Am Tag ihrer Entlassung erhält sie dann überraschend die Nachricht, sie habe in dem Ort in Florida, wo ihre Familie früher den Sommerurlaub verbracht hat, ein Haus geerbt. Sie reist dorthin, um sich das Haus in der Memory Lane anzuschauen. Doch aufgrund einer Amnesie kehrt ihre Erinnerung einfach nicht zurück. Ihr fehlen seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center, bei denen ihr Vater starb, der ebenfalls Polizist war, große Teile ihrer Kindheit und Jugend. So erkennt sie auch nicht auf der Beerdigung der Erblasserin ihre ehemalige Jugendliebe Bruno. Zwischen der verstorbenen Everleigh Applegate und Becks Lebensgeschichte scheint es etliche Parallelen zu geben. Ein Tornado hatte einst ihre junge Ehe wie auch ihren Traum von Familie zerstört. Notgedrungen gibt sie ihren Säugling zur Adoption frei. Und dann trifft sie einen früheren Mitschüler, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Sie sehnt sich nach Veränderung und steckt doch gefangen in ihrer Erinnerung. Es liegt an ihr, die Vergangenheit und das Trauma zu überwinden, um wieder ein erfülltes Leben zu führen. Ist das auch der Grund, warum Everleigh später das „Memory House“ an Beck vererbt hat?

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„Von wem denn? Jetzt sag bloß nicht von Detective Myron. Das ist so ein …“

„Myron? Also bitte …“, sagte Beck und zog ein Gesicht. „Glaubst du wirklich, mit dem würde ich mich einlassen …?

„Okay, okay, ist ja schon gut“, sagte Hogan mit erhobenen Händen, als müsse er sich gegen ihr Trommelfeuer wehren. „Von wem denn dann? Als ich damals gegangen bin, hast du mit Lieutenant Ingram Billard gespielt. Und du warst ziemlich voll.“

„Von wem spielt keine Rolle“, sagte sie, weil er der Wahrheit schon viel zu nah kam. „Es ist eben einfach passiert.“ Sie hatte schon viel zu viel preisgegeben. Wieso hatte sie das Rosie’s überhaupt erwähnt? Das grenzte die Anzahl der infrage kommenden Väter nämlich schon viel zu sehr ein.

„Wer ist der Vater, Beck?“

„Ein Mann.“

„Das ist ja wohl Voraussetzung. Weiß er es?“

Sie nickte. „Ich habe es ihm gesagt, frage mich aber schon jetzt, ob ich es nicht lieber für mich behalten hätte.“

„Was hat er denn gesagt?“

„Das ist alles ziemlich kompliziert. Ich regle das jedenfalls alleine.“

„Sag mir, wer es ist, Beck“, sagte Hogan und stellte mit Wucht seine Limoflasche ab. „Er kann doch nicht einfach seinen Spaß haben und sich dann vor der Verantwortung drücken.“

„Das ist geregelt, Hogan“, sagte Beck darauf nur, nahm ihr Wasser in beide Hände und wiegte sich nervös vor und zurück.

„Jetzt verstehe ich auch, wieso du Boudreaux geschlagen hast. Das lag an den Hormonen.“

„Nein, Hogan, das lag einzig und allein an Boudreaux. Hormone hin oder her, er hatte es verdient.“ Sie sprang auf, ging zur Küche und lehnte sich dort an die Wand. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Hogan. Jedes Mal, wenn ich mich hinsetze und über die ganze Sache nachdenke, werde ich verrückt. Ich habe das Gefühl, dass ich gleich anfange zu weinen und im nächsten Moment werde ich wütend, weil ich es hasse zu weinen. Ich bin Polizistin bei der Polizei in New York, Hogan. Ich sorge für Recht und Ordnung und zerbrösele doch nicht einfach so. Das ist meine Art, meinen Vater zu ehren, auch wenn ich mich nicht an ihn erinnern kann.“

„Jeder zerbröselt und zerbricht ab und zu. Jeder braucht Gerechtigkeit, Beck, und ich glaube, dass auch du nicht über dem Wunsch stehst, selbst etwas gegen Unrecht zu tun. Die Tatsache, dass du Polizistin bist, bedeutet doch nicht, dass du kalt und gefühllos sein musst. Du bist in erster Linie eine Frau, und es ist absolut in Ordnung, wenn du dich auch so verhältst. Du brauchst weder die Eiskönigin zu sein noch der Vorstellung gerecht zu werden, die du vom heldenhaften Vermächtnis deines Vaters hast.“

„Eiskönigin? Wer sagt denn das über mich?“ Vom ersten Tag bei der Polizei an war sie zwar immer sehr direkt und völlig schnörkellos gewesen, aber nie kalt oder gefühllos. „Und wie sollte ich denn nicht den Wunsch haben, dem Vermächtnis meines Vaters gerecht zu werden? Ich bin doch ständig davon umgeben, weil die Kollegen von damals doch bis heute Geschichten über ihn erzählen.“

„Aber es ist völlig in Ordnung, dass du nicht er, sondern du bist. Nicht mehr und nicht weniger erwarten wir von dir. Und was die Eiskönigin betrifft …“ Hogan lächelte. „Ich dachte, den Spitznamen würdest du kennen. Dann wirst du jetzt also Mutter?“

Den? Wie viele gibt es denn noch?“

Er hob kapitulierend eine Hand. „Nur diesen einen – der ja gar nicht zutrifft und das weißt du auch. Du bist gar nicht so eisig, wie manche Leute gern glauben möchten.“

„Vielleicht“, lenkte sie ein und trank ihr Wasser in einem Zug aus. „Ich habe mich selbst nie als Mutter gesehen, Hogan, einmal ganz abgesehen davon, dass sie auch noch ohne Vater aufwachsen muss. Und das möchte ich nicht für sie. Jedes Mädchen braucht seinen Vater.“

„Dann lass doch ihren Vater nicht einfach ziehen, nur weil es kompliziert ist, Beck, sondern zieh ihn zur Verantwortung.“

„Er ist verheiratet, Hogan.“ Da hatte er es. Zufrieden?

„Ach so.“ Das war eine schlichte, aber gewichtige Aussage.

„Und wie kann ich dir helfen?“

Eine kleine Träne sammelte sich in ihrem Augenwinkel. „Sag mir, was ich tun soll.“

„Es sieht doch ganz so aus, als ob du dich schon entschieden hättest. Wie weit bist du denn? Wenn es nach dem Undercover-Einsatz passiert ist, müsstest du ja schon fast im sechsten Monat sein. Weiß deine Mutter schon Bescheid?“

„Nein, noch nicht. Mir ist gerade nicht besonders nach einem Vortrag.“

„Komm schon, Beck, jetzt trau ihr doch mal was zu.“

„Mama und ich haben uns nie besonders nahegestanden, Hogan, besonders nach Papas Tod. Wir haben nur nebeneinander her gelebt und dann kam Flynn und dann waren sie auch schon verheiratet und ich kann mich an nichts aus meiner Kindheit mehr erinnern.“

Beck ging wieder zurück zu ihrem Stuhl, zog den Reißverschluss des Rucksacks auf, nahm Everleigh Callahans Testament heraus. Sie gab es ihm und fragte: „Was hältst du hiervon?“ Wenn sie das Gespräch in Gang hielt, dann würden ihre Tränen sicher wieder vergehen. „Ich habe ein Haus in Florida geerbt.“

„Du hast ein Haus geerbt?“, fragte Hogan erstaunt und nahm ihr das Schreiben ab. „Ich wusste gar nicht, dass du Verwandtschaft in Florida hast.“

„Das Haus ist auch gar nicht von Verwandten“, erklärte sie daraufhin. Ihre Mutter hatte an diesem Tag beim Frühstück mehr Einzelheiten verraten. „Papa hatte Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre einen Onkel, eine Tante und eine Cousine in Florida, die aber irgendwann nach New York gezogen sind. Jedenfalls lebte gegenüber von diesen Verwandten eine ältere Frau, die für die Familie wie eine Oma oder eine alte Tante war. Papa hat da als Kind ein paar Jahre lang mit seiner Familie Ferien gemacht, wahrscheinlich bis sein Onkel umgezogen ist. Mama konnte sich nicht mehr so genau erinnern. Als ich dann geboren wurde, wollten sie jedenfalls noch mal in dieses … Fernandina Beach reisen, damit ich auch so schöne Erinnerungen an Sommerferien sammeln konnte wie mein Vater. Anscheinend haben wir damals bei dieser alten Dame, Everleigh Callahan, gewohnt. Jetzt ist sie an Thanksgiving gestorben und hat mir ihr Haus vererbt.“

Hogan blickte von dem Testament auf und sagte: „Dein Vater hat in einem Frühjahr mal versucht, ein paar von uns zu überreden, mit ihm zum Angeln da runterzufahren. Aber daraus ist nie etwas geworden.“ Er gab Beck das Dokument zurück und fragte: „Kannst du dich an den Ort erinnern?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Alle Erinnerungen, die mit meinem Vater zu tun haben, sind weg.“

Das stimmte, und sie war es so sehr gewohnt, dass ihr oft gar nicht mehr bewusst war, was für eine tief greifende Bedeutung diese Worte hatten. Jede Erinnerung, die in Verbindung mit ihrem Vater stand, war vor achtzehn Jahren ausgelöscht worden.

Als ihr Vater nach den Terroranschlägen vom 11. September tot aus den Trümmern des Nordturms geborgen worden war, war ihre Mutter wie erloschen gewesen und hatte voller Trauer und Angst versucht, ihre neue Lebenswirklichkeit zu begreifen. Dabei hatte sie nicht gemerkt, wie ihre Tochter halt- und ziellos hinter ihr her irrte.

Beck hatte Trost bei ihrer Mutter gesucht, aber die war gar nicht anwesend gewesen. Ihr Licht leuchtete nicht mehr, und das war vielleicht der Grund, weshalb Beck als Vierzehnjährige Trost im Schatten der Nacht und Frieden im Vergessen gefunden hatte.

Sie lebten in einer funktionierenden, aber emotional leeren Welt. Das zeigte sich darin, dass ihre Gespräche oberflächlich waren und sich eigentlich ausschließlich um praktische Dinge drehten.

„Wie kommst du denn heute vom Training nach Hause?“

„Ellies Mutter.“

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