Eine schöne Geschichte habe ich über Mose gelesen. »Als Mose zum Himmel hinaufstieg, um einen Teil der Bibel zu schreiben, bat ihn der Allmächtige, über einige Buchstaben der Thora Kronen zu malen. Moses fragte: ›Schöpfer des Universums, warum soll ich dorthin Kronen malen?‹
›Weil in Hunderten von Generationen ein Mann namens Akiva den wahren Sinn der Zeichen deuten wird.‹
›Zeig mir die Deutung dieses Mannes‹, bat Moses. Und der Herr führte Moses in die Zukunft und setzte ihn in einen der Schulräume, in denen Rabbi Akiva lehrte. Ein Schüler fragte: ›Rabbi, warum gibt es über einigen Buchstaben Kronen?‹
›Ich weiß es nicht‹, antwortete Akiva. ›Und ich glaube, nicht einmal Moses wusste es. Aber da er der größte aller Propheten war, hat er dies nur getan, um uns zu zeigen, dass wir, auch wenn wir nicht alles verstehen, was der Herr tut, tun sollen, was er uns sagt.‹
Moses bat den Herrn, ihm zu vergeben.«
So ist es: Wir wollen tun, was der Herr sagt. Wir wollen akzeptieren, was er macht. Wenn wir ihm begegnen, verstummen alle Fragen. Wir geben ihm die Ehre.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.
PSALM 22, 2
Es ist eine Katastrophe, wenn man sich völlig verlassen fühlt. Die Angst, verlassen zu werden, kann Leib und Seele zerbrechen. Auch David hat solche Tage und Stunden durchlitten. Er fühlt sich wie ein Wurm, nicht wie ein Mensch. Und Jesus hat am Kreuz ebenfalls diese Verlassenheitsangst erlebt. In seiner Todesangst betete er diesen Psalm.
In seinem Buch »Die Nacht« beschreibt Elie Wiesel eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Er erlebte den Holocaust an den Juden. Er sah, wie Juden auf Viehwagen geladen und in die Verbrennungsöfen abtransportiert wurden. Wiesel erlebte, wie seine Mutter, seine kleine Schwester und alle Familienangehörigen in einem Ofen verschwanden, der mit menschlichem Fleisch geheizt wurde. Er selbst wurde misshandelt und entkam dem Inferno nur durch einen Zufall. Als er im KZ Birkenau ankam, roch er den Geruch von brennendem Fleisch. Wörtlich schreibt er: »Nie werde ich den Rauch vergessen; nie die kleinen Gesichter der Menschen, deren Körper zu Rauchwölkchen wurden, die in einen ruhigen blauen Himmel aufstiegen, wie die Augenblicke, die meinen Gott und meine Seele mordeten und meine Träume in Staub verwandelten.«
Millionenfach ist die Frage gestellt worden: Wie kann Gott so etwas zulassen? Niemand kann darauf eine erschöpfende Antwort geben. Wir können uns nur vertrauensvoll an die Hoffnung klammern: »Und wenn ich auch nichts spüre von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.«
Die letzte Einsamkeit, die letzte Hoffnungslosigkeit und letzte Verzweiflung hat Jesus für uns am Kreuz durchlitten. Gott schenkt uns die Gewissheit, er bringt uns durch alle Dunkelheit und Verlassenheit zum Ziel.
Selig sind, die da Leid tragen,
denn sie sollen getröstet werden.
MATTHÄUS 5, 4
Wer kann das Leid in der Welt verstehen? Immer wieder werden die Fragen gestellt: »Gibt es einen Gott? Wo ist er? Wie kann er das zulassen? Warum hat er das Leid nicht verhindert?«
»Wenn nur Bösewichte sich das Genick brächen oder Krebs bekämen, wenn nur Gauner und Betrüger die Parkinsonkrankheit hätten, dann sähen wir wenigstens eine Art himmlische Gerechtigkeit im Universum walten«, schrieb der Agnostiker Sheldon Vanauken, der eines Tages Christ wurde.
Aber ist es nicht so, dass nur nach leidvollen Erfahrungen, nur nach Katastrophen sich das Volk Israel im Alten Testament Gott wieder zuwandte? Wie formulierte es der englische Professor, Schriftsteller und Christ C. S. Lewis: »Gott flüstert in unseren Freuden, er spricht in unserem Gewissen; in unseren Schmerzen aber ruft er laut. Sie sind sein Megafon, eine taube Welt aufzuwecken.«
Aus der Hölle des Konzentrationslagers schrieb Corrie ten Boom: »Egal, wie tief unsere Finsternis, er ist immer noch tiefer.« Ja, das ist wahr: Christus wurde in Auschwitz vergast. Er wurde in Soweto verhöhnt. Er wurde und wird in Nordirland verspottet und im Sudan versklavt. Jesus steigt zu uns in die Hölle hinab. In den tiefsten Abgründen unseres Lebens steht er neben uns.
Wenn wir von Menschen verraten werden, dann sollen wir wissen: Er wurde geschmäht und verraten – für uns. Wenn wir im Leid zerbrochen werden, dann sollen wir wissen: Er wurde am Kreuz zerbrochen – für uns.
Jesus wird uns nicht allein lassen. In den Seligpreisungen schenkt er uns seine Zusage: »Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.« Denn nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die, die leiden, die krank sind und von Schmerzen und Kummer niedergedrückt werden.
Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von
neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder vom Kleid ab,
und der Riss wird ärger.
MATTHÄUS 9, 16
Jesus ist kein Flickschuster. Das alte Leben wird nicht einfach überlackiert oder mit einem Flicken heil gemacht. Er schafft Neues und einen neuen Menschen.
Bei Michael Depuhl habe ich das so formuliert gesehen: »Da lese ich also folgende Werbung: ›You will never become an e-business by piecing together software you already have‹– was ungefähr übersetzt heißt: ›Sie werden nie ein E-Business werden, wenn Sie Teile zusammenstückeln, die Sie schon haben.‹ Mit anderen Worten: Wenn Sie einen wirklichen Neuanfang wollen, können Sie nicht Teile Ihres alten Lebens, das Sie schon haben, verwenden. Entweder wurschteln wir weiter mit Dingen, von denen wir denken, ›die sind noch gut‹– meine Energie, meine Geduld, meine Liebe, mein Leben – oder, nun ja, wir bekommen ein komplett neues Leben.«
»Das Alte ist vergangen«, heißt es in der Bibel, »ein Neues ist im Werden.« In der alten Lutherübersetzung stand noch: »Alles ist neu geworden.« Luther hatte recht: Nicht aus Alt mach Neu, sondern neu geboren, das ist das Prinzip. Eine neue Schöpfung.
Vor Jahren habe ich mal ein altes Auto sehr schön überlackieren lassen. Es sah wirklich wie neu aus. Aber schon nach einem Jahr kamen die alten Roststellen überall zum Vorschein. Der neue Lack war überflüssig, die Lackierung hat sich nicht gelohnt.
Jesus will neue Menschen, keine reparierten und teilüberholten Wesen. Aus einer Raupe wird ein Schmetterling, ein wirklich neues Geschöpf. Das ist auch Gottes Ziel mit uns.
Und dient einander, ein jeder mit der Gabe,
die er empfangen hat, als die guten Haushalter
der mancherlei Gnade Gottes.
1. PETRUS 4, 10
In einer Zeitschrift der Willow-Creek-Gemeinde in Amerika las ich folgenden Beitrag zum Thema »der kreative Gottesdienst«: »Ab und zu frage ich bei Gemeindeaufbau-Seminaren die Mitarbeiter, welche Gottesdienste oder Predigten der vergangenen zehn Jahre ihnen im Gedächtnis geblieben sind. Schmunzeln. Was würde Ihnen einfallen? Ich erlebe jedes Mal das Gleiche: In neunzig Prozent der Fälle handelt es sich um Erinnerungen, die von irgendeinem kreativen Impuls ausgelöst wurden: Der Prediger stand auf Stelzen, verschenkte fünfzig Euro, brachte sein Kaninchen mit, machte eine Abstimmung mit der Gemeinde, ließ das Licht ausmachen und zündete eine Kerze an, saß auf einem Hometrainer, setzte sich auf den Kanzelrand, baute einen Videoclip ein, forderte uns auf zu gehen, gab jemandem einen Brief mit nach Hause … «
Das Außergewöhnliche bleibt hängen. Die Überraschung und das Unerwartete setzen sich fest. Pantomimische oder andere kreative Stücke bereichern den Gottesdienst. Es geht aber nicht um ein »Happening«, sondern darum, Gottes Majestät und seine Botschaft so zu verkündigen, dass der ganze Mensch im Tiefsten angerührt wird. Wir alle sind Haushalter der unterschiedlichen Gaben Gottes.
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