Viele Christen sind Meister darin, das Unglück an die Wand zu malen. Sie schauen auf den dunklen Horizont statt auf die Macht Gottes.
Wir quälen uns mit Gedanken an morgen, wir machen uns verrückt, wir produzieren Befürchtungen, und wir zermartern unser Hirn mit unberechenbaren Selbsteinreden. Gottes Heiliger Geist krempelt unser Gehirn um, er erneuert unser Denken und verscheucht unsere zerstörerischen Befürchtungen.
Auch dich lockt er aus dem Rachen der Angst
in weiten Raum, da keine Bedrängnis mehr ist.
HIOB 36, 16
Wie Angst emotional erlebt wird, deutet bereits die Wortbedeutung Angst an. Angst kommt von dem lateinischen Wort »angustiae«, was Einengung bedeutet. Darüber hinaus enthält Angst aber auch das Gefühl, in die Enge getrieben zu werden, das Gefühl der Unsicherheit, der Beunruhigung, des Verlassen- und Ausgeliefertseins verbunden mit Sorgen und Gewissensqualen. Der Mensch ist gespannt und unruhig, erregt bis zur Flucht, sogar bis zur wilden sinnlosen Panik.
Einer der Freunde Hiobs, Elihu, sagt das oben genannte Wort. Das Bild ist treffend. Im Rachen, in der Enge, im Eingeschnürtsein wird die Angst zur grenzenlosen Bedrohung. Es sieht so aus, als gäbe es nur den Rachen eines Raubtieres und kein Entrinnen. Das Raubtier Angst ist existenzbedrohend. Wer im Rachen steckt, scheint rettungslos verloren. Gegen die fressende und vernichtende Angst steht Gottes Aber. Einen Vers vorher heißt es bei Hiob: »Aber den Elenden wird er erretten … « Aus der Enge in die Weite, aus dem Gefängnis in die Befreiung. Er lenkt uns und reißt uns aus dem Rachen der Angst und schenkt uns befreiende Weite.
Wie schrieb der Philosoph Nietzsche: »Liebe richtet den Blick nach vorne, Hass blickt zurück, Angst hat den ganzen Kopf voller Augen.« Nietzsche hat recht: Der überängstliche Mensch besteht nur aus Augen der Angst.
Übergroße Angst kann verrückt machen. Sie hat vorn und hinten Augen und fühlt sich rettungslos im Rachen eines Raubtieres. Sehen wir auf Jesus, dann hat die Angst ihren Schrecken verloren.
Ich bin gewiss, dass uns nichts von dieser Liebe trennen kann:
weder Tod noch Leben, weder Engel noch andere Mächte,
w eder Gegenwärtiges noch Zukünftiges.
RÖMER 8, 38
Eine Form der Angst ist die Sterbeangst. Der Arzt und Psychotherapeut Professor Horst-Eberhard Richter schreibt: »Das allgemeine Angstthema, das wir in der Psychotherapie dominierend vorfinden, ist die Sterbeangst. Das ist nur zu verständlich in einer Gesellschaft, der Größe, Stärke, ewige Fitness und Jugendlichkeit alles bedeuten. Da ist der Tod das unerträgliche Verhängnis schlechthin. Nichts bestätigt die Richtigkeit der These vom unbewussten Unendlichkeitswahn beziehungsweise dem Gotteskomplex unserer Gesellschaft so überzeugend wie diese Beobachtung, dass kaum jemand mehr sterben oder anderen zu sterben wirklich helfen kann und dass auch die Medizin das Sterben nicht eigentlich zu akzeptieren vermag. Die latente Unmenschlichkeit unserer heutigen Medizin besteht darin, dass sie den Tod pausenlos als Feind diffamiert, in dessen Verhütung sie hauptsächlich ihren Sinn sieht. Im Vorfeld der Sterbeangst findet sich die Angst vor Schwäche, Kleinheit, Gebrechlichkeit. Nur wenn der Mann groß ist, wenn er aufsteigt, wenn er andere unter sich hat, kann er anscheinend mit sich zufrieden sein. Jede Blöße, jede Schwachstelle bedeutet ein bedrohliches Ausgeliefertsein.«
Er hat recht: Der Mensch unserer Tage erlebt ein bedrohliches Ausgeliefertsein. Ohne Gott erliegt der Mensch einem »Unendlichkeitswahn«, endlos leben zu wollen, ohne Altern, ohne Gebrechlichkeit, ohne Schwäche. Das sind kindliche Illusionen. Die Gewissheit des Paulus besteht nicht darin, vor allem Schweren bewahrt zu bleiben, die Gewissheit besteht darin, dass uns nichts von Ihm trennen kann.
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an,
so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt;
und wer da sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan.
MATTHÄUS 7, 7 – 8
Kennen Sie die Geschichte von der rostigen Spitzhacke?
Irgendwo im Goldgebiet von Colorado fand man eines Tages eine alte, verrostete Spitzhacke. Der hölzerne Stiel war fast gänzlich verrottet, aber die Spitze der Hacke steckte auch nach hundert Jahren noch fest im Boden. Wahrscheinlich war der Goldschürfer eines Tages entmutigt davongelaufen. Seine Enttäuschung hatte ihn übermannt, und resigniert hatte er aufgegeben. Einige Jahre später hatten andere Schürfer, nur wenige Meter vom Fundort der Spitzhacke entfernt, eine ergiebige Goldader entdeckt. Sie hatte ihnen ein Vermögen eingebracht. Aber der Mann mit der Spitzhacke hatte resigniert aufgegeben.
Vielen Christen ist es ähnlich ergangen. Sie haben gebetet und nach kurzer Zeit aufgegeben. Sie haben bei Gott um Hilfe nachgesucht, und als nicht umgehend eine positive Antwort kam, haben sie die Hilfesuche eingestellt. In der Not haben sie bei Gott angeklopft, haben aber der Tür den Rücken gekehrt, als sich dort nichts bewegte.
Jesus macht uns Mut, nicht lockerzulassen. Er macht uns Mut, nicht zu resignieren.
Wissen Sie, was das Wort »Resignation« eigentlich bedeutet? Die ursprüngliche Bedeutung ist: Eine Unterschrift, die ich gegeben habe, wieder rückgängig machen. Einen Vertrag, den ich abgeschlossen habe, aufzulösen.
Wer als Christ resigniert, macht den Vertrag, den er mit Jesus geschlossen hat, rückgängig. Doch Jesus ermutigt uns, die Hoffnung nicht aufzugeben. Unser himmlischer Vater wird keinen Bittenden mit einer giftigen Schlange abspeisen, wird niemandem Steine zum Essen anbieten.
Wir können uns auf Jesus verlassen. Denken Sie an die rostige Spitzhacke. Wer aufgibt, der kann keinen Segen empfangen.
Von allen Seiten überfällt mich das Unglück. Ich kann nicht zählen,
wie oft es zuschlägt. Meine Verfehlungen haben mich eingeholt,
ich kann nichts anderes mehr sehen.
PSALM 40, 13
Unsere Wahrnehmung kann uns einen Streich spielen. Denn wir sehen, was wir sehen wollen. Unser Blick ist getrübt, unsere Wahrnehmung ist verzerrt. Wer sich auf Negatives konzentriert, wie der Psalmbeter, der sieht nur Negatives und Unglück.
Der Psalmist hat recht: »Ich kann nichts anderes mehr sehen.« Wir sprechen heutzutage von »Negaholikern«, von Menschen, die nur Fehler, Pleiten und Pannen wahrnehmen. Sie sind fehlerorientiert und werden von Befürchtungen heimgesucht.
Professor Thielicke hat mal spitzbübisch erzählt: »Um meinen Kindern einen Eindruck von christlicher Standhaftigkeit zu vermitteln, zeigte ich ihnen einmal ein illustriertes Buch über die Kirchengeschichte. Auf einer Seite waren christliche Märtyrer abgebildet, die im Kolosseum den Löwen vorgeworfen wurden. Eines der Kinder schluchzte auf, so tief beeindruckt schien es. Ich fragte den Kleinen: ›Warum weinst du denn so?‹ Der Junge zeigte auf einen der grimmigen Löwen und sagte: ›Der Löwe sieht so traurig aus. Er hat als Einziger noch keinen Christen abbekommen.‹«
Thielickes Lehrstunde war ein Misserfolg. Die christliche Standhaftigkeit hatte den kleinen Jungen überhaupt nicht beeindruckt, wohl aber der traurige Löwe.
Was sehen wir? Die Fehler oder den Erfolg? Die Rosen oder die Dornen? Die Blumen oder das Unkraut? Sehen wir Gottes Güte und Barmherzigkeit oder seine strafende Hand? Erkennen wir seine Führung und seinen Willen oder lediglich sein »Schicksal«, das blindwütig zuschlägt?
Gott schenke uns positive Augen, damit wir seine Wunder wahrnehmen und seine Wohltaten zählen und nicht nur die Unglücksfälle.
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