Jürgen Werth hat ein schönes Lied über die Versöhnung geschrieben:
»Wie ein Regen in der Wüste,
frischer Tau auf dürrem Land.
Heimatklänge für Vermisste,
alte Feinde, Hand in Hand.
Wie ein Schlüssel im Gefängnis,
wie in Seenot ›Land in Sicht‹,
wie ein Weg aus der Bedrängnis,
wie ein strahlendes Gesicht.
So ist Versöhnung.
So muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung.
So ist Vergeben und Verzeihen.«
Vergebung und Versöhnung schaffen ein völlig neues Lebensgefühl. Hass und Feindschaft sind vorbei. Isolation, Gefängnis und Einsamkeit haben ein Ende.
Die Holländerin Corrie ten Boom, die selbst Feindschaft und Konzentrationslager erlebt hat, formuliert es so: »Wenn dir der Herr deine Sünden abnimmt, siehst du sie niemals wieder. Er wirft sie ins tiefste Meer, vergeben und vergessen. Ich glaube sogar, dass er ein Schild darüber anbringt: Fischen verboten!«
Jesus macht die Reihenfolge klar: Erst Frieden und Versöhnung mit deinem Bruder, mit deiner Schwester, mit deinem Nächsten, und dann gehe in den Gottesdienst. Der Gottesdienst ohne die Versöhnung im Zwischenmenschlichen wird zur Heuchelei.
Und derselbe (Jesus Christus) ist die Versöhnung
für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren,
sondern auch für die der ganzen Welt.
1. JOHANNES 2, 2
Kennen Sie die Geschichte von Claude Eartherly, einem der Piloten, der die Bombe auf Hiroshima abgeworfen hat? Er gab den Befehl. Nach seiner Entlassung aus der Armee unternahm er zwei Selbstmordversuche und landete in einer psychiatrischen Anstalt. Die Schuld raubte ihm den Verstand.
Dreißig Mädchen aus Hiroshima schrieben ihm: »Wir Mädchen sind zwar glücklicherweise dem Tod entkommen, aber durch die Atombombe haben wir Verletzungen in unseren Gesichtern und am ganzen Körper davongetragen. Nun hörten wir kürzlich, dass Sie nach dem Vorfall von Hiroshima mit einem Schuldgefühl leben und dass man Sie deshalb in ein Hospital für Geisteskranke gebracht hat. Dieser Brief kommt zu Ihnen, um Ihnen unsere aufrichtige Teilnahme zu überbringen und Ihnen zu versichern, dass wir jetzt nicht die geringste Feindseligkeit gegen Sie persönlich hegen … Wir haben gelernt, freundschaftlich für Sie zu empfinden in dem Gedanken, dass Sie ebenso ein Kriegsopfer sind wie wir. Wir wünschen, dass Sie sich bald erholen und sich denen anschließen, die sich dafür einsetzen, das barbarische Geschehen, Krieg genannt, durch den Geist der Brüderlichkeit zu überwinden!«
Dreißig Mädchen legen Hass, Feindseligkeit und Rachegefühle ab. Sie versöhnen sich mit einem Menschen, der unermessliches Elend über eine Stadt und ein Land mit einem Knopfdruck aus einigen Tausend Meter Höhe gebracht hat. Eartherly ist darüber verrückt geworden. Die Mädchen haben recht, nur die ausgestreckte Hand der Versöhnung beendet das barbarische Geschehen, den Krieg. Wer die Versöhnung in Christus annimmt, reiht sich ein in die Schar derer, die Versöhnung leben.
So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.
2. KORINTHER 5, 20
Versöhnung ist ein Urwort der Bibel und ein Kernwort der Reformation.
Der im Exil lebende ugandische Bischof Festo Kivengere, der das Buch »Ich liebe Idi Amin« geschrieben hat, erzählte in Zürich, dass er immer wieder von Journalisten gedrängt wurde, negative Aussagen über Idi Amin zu machen. Und er fuhr fort: »Ich habe jedoch als Christ keinen Auftrag zu verdammen. Ich habe den Auftrag zu versöhnen!« Die ganze Persönlichkeit dieses Bischofs ist geprägt von der Art jener Menschen, welche nicht nur »Vergebung sagen«, sondern das auch als Auftrag leben.
Idi Amin war in seinem Land ein Menschenverächter und Verbrecher. Der Bischof hat die Verbrechen hautnah erlebt und lässt sich dennoch nicht zu Rachegedanken verleiten. In der Tat: Wir haben keinen Auftrag zu verdammen. Wir haben den Auftrag, uns zu versöhnen. Versöhnte Menschen sind neue Kreaturen, neue Menschen. Sie sind nicht repariert, sie sind nicht renoviert, sie sind auch nicht restauriert, sie sind ganz neu geschaffen. Menschen werden aus der Egozentrik, aus der Mittelpunkthaltung herausgeholt und erfahren eine kopernikanische Wandlung.
Bischof Festo Kivengere macht nicht nur fromme Worte, er lebt die Versöhnung. Und mit welchen Menschen versöhnt sich Gott? Im Grunde sind wir Gottes Feinde. Aber Christus reicht uns, wer wir auch sind, die Hand der Versöhnung. Schlagen wir in die dargebotene Hand ein!
Denn wenn wir mit Gott versöhnt sind durch den Tod seines
Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir
selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind.
RÖMER 5, 10
Versöhnung ist das Gegenteil von Feindschaft. Versöhnung ist das Gegenteil von Hass. Versöhnung ist das Gegenteil von Zertrennung.
Ein schwarzer Pastor aus Tansania formulierte die Botschaft der Versöhnung so: »Ich möchte Ihnen an einem Bild zeigen, was Versöhnung bedeutet. Zeichnen Sie es doch mit Ihrem Herzen und Denken nach. In meiner Sprache, in Massai, hat das Wort ›Versöhnung‹ eine sehr tiefe Bedeutung. Im Bauch einer schwangeren Frau wächst ein Kind heran. Die Verbindung von Mutter und Kind, die Nabelschnur, heißt bei uns ›Osotwa‹. Dasselbe Wort wird gebraucht, wenn Menschen, die Feinde waren, sich versöhnen und zueinanderfinden. Die Nabelschnur sorgt dafür, dass das Kind Nahrung und Luft von der Mutter bekommt … Genauso ist es mit uns. Das Wort der Versöhnung, das Jesus Christus ist, ist diese Nabelschnur zwischen uns und unserem himmlischen Vater. Solange diese Nabelschnur uns verbindet, leben wir.«
Versöhnung ist Leben. Feindschaft, Tod und Trennung haben ein Ende. Versöhnung ist »Osotwa«. Wir brauchen diese geistliche Nabelschnur zum Vater, durch die unser Leben garantiert ist. Diese Nabelschnur wird durchschnitten, wenn wir anderen Menschen nicht vergeben, wenn wir Mauern aufrichten und Zwietracht säen. Wir zerreißen diese Nabelschnur zum Leben, wenn wir Kränkungen nachtragen, wenn wir die Hand zur Vergebung und Versöhnung ausschlagen.
Selig sind die Barmherzigen;
denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
MATTHÄUS 5, 7
Barmherzigkeit ist keine große menschliche Tugend. Sie ist ein Geschenk Gottes. Paulus nennt Gott sogar den »Vater der Barmherzigkeit«. Die Suren im Koran beginnen jeweils mit den Worten »Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers«.
Barmherzigkeit liegt uns nicht im Blut. Wir urteilen, kritisieren und verurteilen. Darum schreibt Kurt Marti in einem Gedicht mit dem Titel »Wünsche«: »Ach, dass ich, wenn´s drauf ankommt, im Gegner den Bruder, im Störer den Beleber, im Unangenehmen den Bedürftigen, im Süchtigen den Sehnsüchtigen, im Säufer den Beter, im Prahlhans den einst Gedemütigten, im heute Feigen den morgen Mutigen, im Mitläufer den morgen Geopferten, im Schwarzmaler den Licht- und Farbenhungrigen, im Gehemmten den heimlich Leidenschaftlichen erkennen könnte … Auch das, auch das gehört zur Liebe, wie Jesus sie lebte.«
Kurt Marti bringt die Sache auf den Punkt.
Wir sehen oft nur den Fehler und nicht die Not im Hintergrund.
Wir sehen die Sucht und nicht die Sehnsucht.
Wir sehen das Negative und nicht den Wunsch nach Veränderung.
Wir sind fehlerorientiert und nicht liebeorientiert.
Barmherzigkeit ist keine Tugend, die wir einfach nur aus der Anstrengung eines guten Willens erreichen können. Sie ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Wenn wir uns an Christus binden, ändert sich unser Denken, wir bekommen positive Augen. Wir sehen nicht mehr in erster Linie das Versagen, wir sehen die falschen Schritte eines unglücklichen Menschen.
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