Ritas Eltern wussten natürlich noch viel weniger von ihrer Tochter. Eine Freundin von Rita meinte zu wissen, dass sie wohl zu Franz gefahren sei, sie hätte so etwas einmal angedeutet. Genaueres wüsste sie aber auch nicht, denn konkret hätte Rita auch ihr nichts verraten. Am Anfang war natürlich auf dem Hof ihrer Eltern die Hölle los, ihr Vater machte der Mutter Vorwürfe, dass sie ihre Tochter nicht richtig erzogen habe und dass sie viel zu gutmütig mit ihr umgegangen sei. Sie hätte ihr mehr zu arbeiten geben sollen anstatt ihr so viele Freiheiten zu erlauben, dann hätte die auch nichts mit einem Matrosen angefangen; man wüsste ja, was das für Leute seien. Es wäre noch nie gut gewesen, wenn man sich mit solchen Leuten einlasse.
Mit der Zeit aber wurde auf dem Hof gar nicht mehr über Rita gesprochen. Ihr Vater meinte nur, dass er keine Tochter mehr habe, auch wenn sie zurück käme. Ihre Mutter betete und hoffte und hatte Tag und Nacht Tränen in den Augen; sie ging zum Dorfpfarrer, um dort Trost zu finden. Aber der Pfarrer reagierte ähnlich wie ihr Mann und auch er machte ihr Vorwürfe. Sie hätte ihr Kind nicht richtig katholisch erzogen, sonst wäre es nicht soweit gekommen. Sie könne nur noch für ihre missratene Tochter beten. Das Haar der armen Frau war über Nacht grau geworden, sie wurde schwer krank und starb schließlich an ihrem Kummer.
Das Leben im Dorf aber ging weiter und man sprach nur noch selten von der verschwundenen Rita und ihrem Matrosen. Als aber einmal ein vorlauter Bauernbursche Witze über die beiden machte, schlug ihm ein Freund von Franz eine blutige Nase. Seitdem redete man nur noch mit vorgehaltener Hand über die beiden, was aber vor allem gewisse „Kirchenweiber“ nicht lassen konnten. Man kannte ja solche Leute und Ritas Mutter sei nicht umsonst so früh verstorben, denn auch sie habe nicht den richtigen Glauben gehabt. Der Pfarrer selbst habe dies einmal gesagt.
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Drei Jahre Dienstzeit bei der Marine waren vorbei und Franz ließ sich in Flensburg nieder. Er fand in einer kleinen Möbelfabrik gute Arbeit, machte seine Meisterprüfung und heiratete seine Anke. Die beiden lebten wie andere Ehepaare auch mal mehr und mal weniger glücklich, hatten zwei liebe Kinder und die Jahre gingen vorbei. Gelegentlich dachte Franz noch an Rita, verdrängte diese Gedanken aber schnell wieder. Sie hatte wohl auf Wunsch ihrer Eltern einen reichen Bauernsohn geheiratet und das Leben nahm wohl auch bei ihr seinen gewohnten Gang. Seinen Urlaub verbrachte Franz mit seiner Familie immer in Schweden oder Norwegen. Er weigerte sich, in den Süden zu fahren, auch wenn Anke ihn immer wieder bat, doch in die Alpen zu reisen. Franz meinte nur, in Norwegen gäbe es auch Berge und die seien sogar schöner als die Alpen.
Eine ungewisse Angst hinderte ihn daran, im Süden Urlaub zu machen, denn er fürchtete, dass Anke seinen Heimatort sehen wolle und er wollte auf keinen Fall an die Vergangenheit erinnert werden. Lieber blieb er im Ungewissen um Rita. Zudem waren seine Eltern inzwischen verstorben, was also sollte er dort? Er war zuletzt zur Beerdigung seiner Mutter alleine dort gewesen und die Leute im Dorf sahen ihn dabei an wie ein exotisches Tier, dem man nicht trauen dürfe. Er sprach mit niemanden auch nur ein Wort und fuhr direkt nach dem Begräbnis wieder zurück. Seine Kinder, die jetzt schon zehn und zwölf Jahre alt waren, fragten zwar gelegentlich nach Oma und Opa und wie es in seiner Heimat aussehe, aber Franz antwortete ausweichend und blieb in dieser Hinsicht wortkarg.
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Der Zufall wollte es, dass seine Firma einen Betriebsausflug nach Hamburg machte. Man fuhr mit einem Omnibus von Flensburg nach Hamburg und feierte nach einer Hafenrundfahrt fröhlich in einem Lokal. Nach dem offiziellen Teil konnte jeder machen, was er wollte und es war klar, dass man die „Reeperbahn“ und die „Große Freiheit“ besuchte. Die Damen gingen in ein Lokal, um dort zünftig die Hamburgreise abzuschließen und die Männer „mussten“ noch, wie üblich, die Herbertstraße durchwandern. Natürlich war auch Franz mit von der Partie. Man besah sich die mehr oder eher weniger bekleideten Damen in ihren „Schaufenstern“, machte Witze und wurde auch von der einen oder der anderen „Dame“ angesprochen.
Plötzlich blieb Franz wie angewurzelt stehen. Er blickte in zwei Augen, die er kannte, überlegte, ob er sich nicht irre, aber ein Irrtum war nicht möglich. Es waren die Augen seiner Rita, es gab keinen Zweifel. Sie sah noch immer gut aus, auch wenn das Leben, das sie führte, seine Spuren hinterlassen hatte. Kurz entschlossen ging Franz hinein. Seine Kollegen fragten ihn noch, was er dort wolle und ob er es denn so nötig habe. Franz hörte sie nicht. Er wusste nur, dass er dort hineingehen musste um zu erfahren, wie seine schöne und schüchterne Rita in dieses Haus kam.
Auch Rita schien ihn jetzt erkannt zu haben, sagte aber dass sie für ihn keine Zeit habe, denn sie wäre schon mit einem anderen Freier verabredet. Franz aber merkte, wie verstört sie war und ließ sich nicht abweisen. Er sprach sie mit ihrem Namen an, den sie wohl schon Jahre nicht mehr gehört hatte und auf den sie mit Schrecken reagierte. Hier wurde keines der Mädchen mit dem richtigen Namen bezeichnet, das war in diesen Kreisen Gesetz. Rita war zunächst sehr abweisend, tat, als ob sie ihn nicht kenne und sagte dass er verschwinden solle. Franz aber ließ nicht nach. Endlich gab auch sie zu, dass sie ihn erkannt habe und sie nicht wisse, was sie sagen solle.
Er sagte ihr, dass er sie mit zahllosen Briefen zu erreichen versucht habe, aber nie eine Antwort erhielt. Er hatte geglaubt, dass sie ihn vergessen habe und dass er meinte, sie sei mit einem reichen Bauernsohn in ihrer Heimat verheiratet. Dass sie hier gelandet sei, könne er nicht verstehen, denn das hätte er sich im Traum nicht vorstellen können. Nun begann Rita ihre Geschichte zu erzählen. Darauf meinte Franz, dass er sie hier herausholen werde, koste es was es wolle. Seine Anke, mit der er schon lange verheiratet sei, würde sicher dafür Verständnis haben. Rita aber meinte, dass sie sich nach all den Jahren mit ihrem Schicksal abgefunden habe und dass sie dieses Leben so weiter führen wolle; es wäre für sie nicht das schlechteste. Und kein Mensch würde eine wie sie haben wollen, es sei nun mal eine Tatsache, dass sie so leben müsse, auch wenn sie daran unschuldig sei. Ihr Zuhälter habe ihr am ersten Tag gesagt, dass er aus ihr noch ein richtiges Schmusekätzchen machen würde, und das sei sie jetzt. Dass sie bei der Nennung ihres Namens Rita so erschrocken reagiert habe, käme daher, daß sie hier diesen Namen habe. Sie heiße eben das „Schmusekätzchen“.
Ein Mann, schon reif, doch noch nicht alt,
der sucht sich eine Freundin bald.
Er hat zu Haus auch eine Frau,
die ist nicht sehr schön, jedoch sehr schlau.
Die Freundin hübsch, und jung und klug,
das findet dieser Sünder gut.
Er ist erfolgreich, hat auch Moos,
er ist ein echter Gernegroß.
Indes, die Frau in seinem Haus,
die kennt sich mit dem Gatten aus.
„Lass ihn nur machen“, denkt sie schlau,
„und balzen, diesen alten Pfau.“
Er nimmt die Junge mit auf Reisen,
denn schließlich muss er sich beweisen,
dass er, jetzt endlich Mann von Welt,
mit dieser Frau erst richtig zählt.
Sie liebt ihn sehr, noch mehr sein Geld,
(das hat er später festgestellt).
Er kauft ihr, was sie so begehrt,
das ist ihm diese Frau schon wert.
Doch mit der Zeit, das Geld wird knapp,
da wendet sie sich von ihm ab.
Und teilt kurz seiner Gattin mit:
„Ich geb’ den Alten Ihnen z’rück!“
Aber die ist pfiffig, wie man vermutet,
drum ihrem Herrn Gemahl was hustet:
„Such Dir ’ne Dümmere als ich bin,
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