Er blätterte in meinem Heft vor und zurück und schüttelte seinen Kopf. Er sagte nur, ich solle mich setzen und mich nach dem Unterricht noch einmal bei ihm melden. Jetzt war ich sicher, dass der Weltuntergang käme. Er erklärte mir aber nur, dass ich in Zukunft jeden Aufsatz vorzeigen müsse und er würde dies jedesmal überprüfen. Der gute Mann wusste wohl selbst nicht, wie er reagieren sollte. Darauf habe ich nie mehr vergessen, einen Aufsatz zu schreiben und er hat tatsächlich jedesmal überprüft, ob der Aufsatz auch schriftlich vorlag.
Heute mache ich das gerne, denn sonst wäre dieses Büchlein nicht entstanden.
In der fünften Klasse der Volksschule saßen Jungen und Mädchen gemischt in ihren Bänken. Ein Mädchen mit schwarzem Haar und langen Zöpfen beobachtete Franz und er dachte, ob die mal was für ihn wäre. Sie war eine reiche Bauerntochter und der Junge ein armes Arbeiterkind. Er war so realistisch, dass er sich keine Hoffnungen machte, denn die reichen Bauernmädchen beachteten so einen armen Jungen nicht, ja sie lachten höchstens über so einen Knaben. Also vergaß der Junge das Mädchen, es hatte ja keinen Sinn.
Die beiden wurden älter, das Mädchen ließ seine Zöpfe abschneiden und wurde eine recht hübsche junge Dame. Franz meinte gelegentlich zu bemerken, dass die Schöne ein Auge auf ihn habe, aber das bildete er sich sicher nur ein. Schließlich hatte sich an dem Standesunterschied nichts geändert. Man sah sich auch nur noch sehr selten. Franz war inzwischen Lehrling bei einem Schreiner geworden und wenn er an sie dachte, verdrängte er den Gedanken gleich wieder. Das Mädchen war zu Hause auf seinem Bauernhof geblieben und wartete wahrscheinlich darauf, dass ein reicher Bauernsohn käme und sie heiraten würde. So dachte jedenfalls unser Franz. Inzwischen hatte er ausgelernt und seine Gesellenprüfung mit guten Noten bestanden. Er war der Meinung, dass er hier, wo jeder wusste, dass er aus ganz einfachen Verhältnissen kam, doch kein Glück haben würde und hatte sich, auch weil er das sehr interessant und abenteuerlich fand, freiwillig zur Marine gemeldet.
Der Zufall wollte es, dass er kurz vor seinem Antritt bei der Marine einen Faschingsball in seinem Heimatort besuchte, wo auch die schöne Rita anwesend war. Franz war weder ein guter, noch ein begeisterter Tänzer, aber er sah als einzige Möglichkeit mit Rita zu sprechen, sie zum Tanz zu holen. Sollte sie ihm aber einen „Korb“ geben, so war das ja auch egal, er hatte nichts zu verlieren.
Wider Erwarten schien sich Rita aber zu freuen, als er sie aufforderte und ging bereitwillig mit ihm auf die Tanzfläche. Schon nach ein paar Umdrehungen schmiegte sie ihr Gesicht an seine Wange und schien glücklich zu sein. Franz, darüber selig, wusste nicht, was er sagen sollte und schwieg. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Die lange still Verehrte freute sich offenbar, mit ihm zu tanzen. Und das, obwohl er wie gesagt wirklich kein guter Tänzer war. Bei der nächsten Tanzrunde wurde er ein wenig gesprächiger und erzählte ihr schließlich, dass er sich zur Marine gemeldet habe und schon in ein paar Wochen dort einrücken müsse.
Rita sagte nichts dazu, aber Franz fühlte, dass sie darüber enttäuscht zu sein schien. Sie drückte ihre Wange noch mehr an sein Gesicht, beide sprachen nur noch wenig und hatten eine seltsam melancholische Stimmung. Das eben empfundene Glück schien schon wieder zu enden und war doch so nahe. Nach dem Tanz nahmen beide wieder getrennt von einander ihre alten Plätze ein und nur eine fast ständige Blickverbindung ließ erkennen, dass sie sich verliebt hatten. Am Ende der Veranstaltung nahm Franz noch einmal seinen ganzen Mut zusammen, wartete am Ausgang auf das Mädchen und ging mit ihr nach draußen. Mit einem schüchternen Kuss und einer nicht enden wollenden Umarmung verabschiedeten sich die beiden, ohne sich zu einem neuen Treffen zu verabreden.
Dass Franz nur noch an „seine“ Rita denken konnte, brachte ihn bei der Arbeit ganz durcheinander und sein Meister fragte ihn des öfteren, ob er träume und mahnte, dass es so nicht weiter gehen könne. Er wäre doch sonst ein so fleißiger junger Mann gewesen. Auch Franz dachte, dass es so nicht weiter gehe und dass er unbedingt zu seinem Mädchen gehen müsse. Er nahm also seinen ganzen Mut zusammen und ging zu ihrem Haus. Dort hoffte er, dass Rita schon einmal heraus kommen würde, denn er traute sich nicht hineinzugehen. Nach beinahe einer Stunde, in der er vor dem Haus hin und her ging, kam die Erlösung. Rita erschien, winkte ihm in den Hof zu kommen und zog ihn mit sich in eine dunkle Ecke des Hofes. Ein schneller Kuss und dann der leise Vorwurf, dass sie glaubte, er habe sie schon wieder vergessen. Warum er denn nicht ein Treffen mit ihr verabredet habe, sie habe solche Sehnsucht und sie dachte, dass alles schon wieder vorbei sei. Er sei doch ein recht dummer Kerl. Natürlich versuchte er ihr zu erklären, dass er den Mut zu einem Treffen nicht fand und auch nicht zu hoffen wagte, dass sie ihn wirklich wieder sehen wollte. Er sagte ihr, dass er bereue, dass er jetzt fort müsse und dann ja doch alles aus sei. Er habe sich für drei Jahre verpflichtet und das sei auch nicht mehr rückgängig zu machen. Und dass sie drei Jahre auf ihn warten würde, sei ja schließlich ganz unmöglich; er wisse ja, dass das nicht ginge. Sie sagte ihm, dass sie auch noch länger auf ihn warten würde und dass sie sich schon als kleines Mädchen in der Schule in ihn verliebt habe, und dass es für sie keinen anderen geben würde. Nun müsse sie aber wieder ins Haus, denn ihre Eltern würden sich sicher schon darüber wundern, wo sie so lange bleibe. Ein stürmischer Kuss und das Versprechen einander treu zu bleiben beendete das Treffen.
Die beiden trafen sich noch ein paar Mal, und dann kam der Abschied und die Trennung. Natürlich versprach man sich, häufig zu schreiben und schließlich habe der junge Seesoldat ja auch Urlaub und würde so oft wie möglich nach Hause kommen. Ein tränenreicher Abschied beendete das kurze Glück.
*
Franz kam zur Grundausbildung in das Städtchen Glückstadt an der Elbe und schrieb seiner Rita regelmäßig. Noch öfter erhielt er einen Brief von Rita und jedesmal schrieb sie, dass er doch hoffentlich bald in Urlaub käme. Am ersten April wurde er eingezogen und schon zu Pfingsten bekam er eine Woche Urlaub. Klar, dass er sofort in die Heimat zu seiner Rita fuhr. Es gab schon ein wenig Aufsehen im Dorf, als er in seiner Matrosenuniform mit Rita durch die Straßen ging. Schlimmer aber war, dass Ritas Eltern darüber gar nicht sehr erfreut waren, denn sie hielten nichts von einem der weit weg zur See fuhr und ihrer Tochter den Kopf verdrehte. Auch wenn es bis zur Seefahrt noch dauern sollte, aber das konnten die ja nicht wissen. Der kurze Urlaub war bald vorüber und der Alltag kehrte wieder ein.
Die Zeit verging. Franz kam auf die Marineschule und schließlich an Bord eines Zerstörers. Der Briefwechsel ging nach wie vor weiter, auch wenn Rita weniger Post erhielt als sie schrieb. Sie dachte, dass Franz einen anstrengenden Dienst und nicht so viel Zeit zum Schreiben habe, was ja auch der Fall war. Er beschrieb ihr aber seine Erlebnisse an Bord und Tage mit stürmischer See und was er so alles erlebte. Der nächste Urlaubsbesuch fand erst zu Neujahr statt, dauerte diesmal vier Wochen und die Seligkeit kannte keine Grenzen. Doch auch vier Wochen gehen für Liebende viel zu schnell vorbei und so kam wieder ein schwerer Abschied. Franz meinte, dass sie ihn ja auch in Flensburg, wo sein Schiff regelmäßig lag, besuchen könne. Viele Mädchen würden das machen. Und er würde ihr dann alles zeigen; sie würde sich sicher wundern, wie es auf einem Schiff zuginge, denn das ließe sich nicht wirklich beschreiben. Beide wussten, dass dies ein Traum war, denn Ritas Eltern würden eine solche Reise ihrer Tochter nie und nimmer genehmigen.
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