Horst Bosetzky
Razzia
Kappes 20. Fall
Kriminalroman
Jaron Verlag
Horst Bosetzky alias -ky lebt in Berlin und gilt als «Denkmal der deutschen Kriminalliteratur». Mit einer mehrteiligen Familiensaga (schließend mit «Kartoffelsuppe oder Das Karussell des Lebens», 2012), zeitgeschichtlichen Spannungsromanen sowie biographischen Romanen (wie «Der König vom Feuerland. August Borsigs Aufstieg in Berlin», 2011) avancierte er zu einem der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Neben der Romanserie »Wie Berlin und Brandenburg wurden, was sie sind: Unglaubliche Geschichten aus dem Mittelalter« verfasste er in den letzten Jahren unter anderem mehrere Bände zu den Krimireihen «Es geschah in Berlin» (zuletzt «Unterm Fallbeil», 2012) und «Es geschah in Preußen» (zuletzt «Mamsellenmord in der Friedrichstadt», 2012).
Originalausgabe
1. Auflage 2013
1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH
© 2013 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.de
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin
ISBN 9783955520205
Cover
Titelseite Horst Bosetzky Razzia Kappes 20. Fall Kriminalroman Jaron Verlag
Impressum Horst Bosetzky alias -ky lebt in Berlin und gilt als «Denkmal der deutschen Kriminalliteratur». Mit einer mehrteiligen Familiensaga (schließend mit «Kartoffelsuppe oder Das Karussell des Lebens», 2012), zeitgeschichtlichen Spannungsromanen sowie biographischen Romanen (wie «Der König vom Feuerland. August Borsigs Aufstieg in Berlin», 2011) avancierte er zu einem der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Neben der Romanserie »Wie Berlin und Brandenburg wurden, was sie sind: Unglaubliche Geschichten aus dem Mittelalter« verfasste er in den letzten Jahren unter anderem mehrere Bände zu den Krimireihen «Es geschah in Berlin» (zuletzt «Unterm Fallbeil», 2012) und «Es geschah in Preußen» (zuletzt «Mamsellenmord in der Friedrichstadt», 2012). Originalausgabe 1. Auflage 2013 1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH © 2013 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin ISBN 9783955520205
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
NEUNZEHN
ZWANZIG
EINUNDZWANZIG
ZWEIUNDZWANZIG
QUELLEN
ES WAR DIE ZEIT der Künstler. Der Hungerkünstler. Das meinte jedenfalls Hermann Kappe, als er mit seinem Kollegen Gerhard Piossek auf dem Weg zum Mittagessen war. Der hatte im Hause Turmstraße 5 einen privaten Mittagstisch ausfindig gemacht.
« Eine Treppe rechts, Preisstufe 3, netter, gemütlicher Aufenthalt, Besteck mitbringen », referierte Piossek und las von einem kleinen Zettel ab, was an diesem Tage auf der Speisekarte stand und was dafür an Lebensmittelmarken abzuliefern war: « Jägersuppe (25 Br), Gemüsetopf, bürgerlich (25 N oder 50 Br, 5 F, 200 K), Ungarischer Gulasch mit Bayerisch-Kraut (50 Fl, 10 F, 400 K), Fruchtspeise mit Sauce (10 Z, 50 N). »
So ganz hatte Kappe das System der Lebensmittelmarken noch immer nicht begriffen, da das Einkaufen Sache seiner Frau war, aber er wusste immerhin, dass Br für Brot stand, F für Fett, N für Nährmittel, Fl für Fleisch und Z für Zucker. Nur was K meinte, wollte ihm in dieser Sekunde partout nicht einfallen. Käse, Kaffee-Ersatz, Kohlen?
«Mensch, Kartoffeln!», rief Piossek, als er ihn danach gefragt hatte.
Die beiden kamen aus dem Kriminalgericht, wo man sie in einem spektakulären Mordprozess angehört hatte, war es doch ihrer Arbeit zu verdanken, dass man der beiden Täter habhaft werden konnte und sie verhaftet hatte.
«Für die gilt Sartre», sagte Piossek, als sie am gedeckten Tisch Platz genommen hatten. «Les jeux sont faits.»
«Tut mir leid», brummte Kappe, «aber bei uns in Wendisch Rietz auf der Dorfschule hatten wir nur einen Französischlehrer, der kein Französisch konnte.»
«Das Spiel ist aus», übersetzte Piossek. «Bei uns ist ja gerade das Sartre-Fieber ausgebrochen, und der Film soll wirklich gut sein.»
«Wir waren gestern im Schlosspark-Theater», sagte Kappe. «Klara mit ihrem Kulturfimmel! Drei Mann auf einem Pferd. Mir wäre eine Portion Pferdefleisch lieber gewesen.»
Piossek lachte. «Vielleicht hast du das gleich auf dem Teller, deklariert als Schweinefleisch.»
«Solange es kein Menschenfleisch ist!»
«Wer weiß …» In dieser Hinsicht gab es allerlei Gerüchte in der Stadt. Man erzählte sich, dass Leute, die noch etwas mehr Fett auf den Rippen hatten, mit irgendwelchen Tricks in fremde Wohnungen gelockt wurden – um dann für immer zu verschwinden. Menschenfleisch sollte etwas süßlich schmecken. Piossek hatte bei diesem Gedanken auch gleich einen Kannibalenwitz parat. «Was essen Katholiken am Karfreitag? – Richtig, Fisch. – Und was essen Kannibalen am Karfreitag? – Fischer!»
Da wollte Kappe nicht hintanstehen. «Zwei Kannibalen verspeisen einen Clown. Da sagt der eine: ‹Der schmeckt aber komisch.›»
Piossek wusste noch einen. «‹Darf ich dir meinen Arm anbieten?›, fragt der verliebte Kannibale seine Angebetete. – ‹Danke›, entgegnet sie errötend, ‹ich habe schon gegessen!›»
«Guten Appetit, die Herren!» Die Dame des Hauses servierte das, was sie ungarischen Gulasch nannte.
Die beiden Kriminalkommissare versuchten, an etwas anderes zu denken, und redeten über die Schlagzeilen der Morgenzeitungen: Der amerikanische Kongress wollte im kommenden April den Marshall-Plan verabschieden, und in der britischen Zone hatte man die Entnazifizierung abgeschlossen. Letzteres war ein Thema, das Gerhard Piossek gar nicht behagte, war er doch mit einiger Begeisterung in die NSDAP eingetreten. Zum Glück hatten ihn gnädige amerikanische Offiziere als «Mitläufer» eingestuft, und er hatte seine Laufbahn bei der Berliner Kriminalpolizei fortsetzen können. Kappe akzeptierte ihn als Kollegen, aber dass sie einmal Freunde würden, hielt er für ausgeschlossen.
Schnell kam Piossek darauf zu sprechen, was sie nach der Mittagspause im Gerichtssaal erwartete und wie hoch das Strafmaß wohl sein würde.
Im Telegraf von Dienstag, dem 6. Januar 1948, konnten dann alle Berliner nachlesen, was passiert war:
Die gestrige erste Schwurgerichtsverhandlung im neuen Jahr endete mit einem Todesurteil gegen den 44jährigen Arbeiter Paul Sendsitzky wegen Raubmordes. Der 21jährige Mittäter Günter Köhler wurde zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt und beiden die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.
Die 70jährige Rentnerin Marta Döring wohnte in der Müllerstraße nur wenige Häuser von Sendsitzky, dem Sohn ihrer verstorbenen langjährigen Freundin, entfernt. Sendsitzky, der den Verkehr mit «Tante Marta» weiter pflegte, hatte im Mai trotz guten Verdienstes seine Arbeit aufgegeben, um leichter «organisieren» zu können. Dabei lernte er auf dem Rummelplatz den Angeklagten Köhler, der wegen Unregelmäßigkeiten aus dem Elternhaus gewiesen war, kennen und gab ihm Unterkunft. Als Köhler ihn fragte, wie man schnell Geld verdienen könne, gab er zur Antwort: «Wir gehen einfach rauf und schlagen die Olle vor’n Kopf.» – Ein kurzer gemeinsamer Besuch am Sonntagmorgen des 8. Juni. Verabschiedend reicht die alte Frau ihre Hand dem Sendsitzky, wird dabei von diesem zu Boden gerissen und gewürgt. Köhler hält ihre Hände fest. Sein Vorschlag, ihr «eins über den Kopf» zu geben, war überflüssig, das Opfer wehrte sich nicht. Gemeinsam legten sie die Bewußtlose aufs Bett, und während Sendsitzky ihr eine Plättschnur um den Hals knotete, da Köhler befürchtete, sie sei «noch nicht ganz weg», schnitt dieser schon Brote ab, die, mit Schmalz bestrichen und mit Zucker bestreut, verzehrt wurden. Darauf packten sie alles Mitnehmenswerte ein und verkauften die Beute für 2000 RM auf dem schwarzen Markt.
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