1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 „Hartmut, ich weiß doch überhaupt nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde. Du hast sie gesehen, sie ist einfach phantastisch.“
Hartmut ging, wenn auch etwas missmutig auf Marcs Gesprächsangebot ein, bekam dabei sogar einen leicht verklärten Zug um den Mund.
„Du hast schon Recht, die hat eine Figur. Unglaublich! Die würde ich gerne mal nackt sehen und dann… ahh.“
Marc hörte es wohl. Früher hatte ihn solches Geschwätz nur bedingt gestört, er hatte einfach nicht hingehört. Er hasste solch abfälliges Gerede, ließ für ihn einfach jegliche Achtung vermissen. Auch von Hartmut hatte er das bereits so oft gehört, dass er ihm keine besondere Bedeutung beimaß. Mit einer Ausnahme, bei Ella hatte er es ihm verboten.
Er musste kurz an Ella denken, seine Traumfrau. Er verliebte sich unsterblich in sie, hatte plötzlich wieder ihr Bild im Kopf, diese langen schokobraunen Haare, ihren spitzen Mund, wenn sie ein bisschen schmollte oder kokettierte und ihre braungrünen Katzenaugen, die ihn so liebevoll ansehen konnten. Von einer Minute auf die andere war alles weg, sie war tot! Nie mehr würde er das wieder genießen können. Alles kam wieder hoch, Tränen.
Unwillkürlich verglich er Ella mit Shonessi. Auf den ersten Blick waren durchaus Ähnlichkeiten feststellbar, insbesondere bezogen auf das Äußere. Beide waren sehr schlank und zierlich, hatten lange glatte Haare. Auf den zweiten Blick war der Unterschied gewaltig: Shonessi war direkter, offenherziger, emotionaler, sagte immer, was sie dachte. Vielleicht nicht so abgeklärt und nicht so gebildet. Ella studierte, Shonessi nicht. Er kannte Shonessi noch nicht gut genug, genau genommen viel zu wenig. Dennoch nahm sie immer mehr von ihm ein.
Hartmut sah das, dachte es ginge um ihn.
„Marc, was ist los mit dir, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“
Marc wiegelte ab, „nein, ist schon okay. Ich musste nur gerade an Ella denken. Entschuldigung, es ist einfach so über mich gekommen.“
Bei Ellas Namen schwieg Hartmut. Er sagte kein Wort mehr. Das sich Marc und Shonessi wiedersehen, während der Reise oder gar hier am South Nahanni war für ihn mehr als unwahrscheinlich, zumal Yellowknife und oder gar Queen Mary Island nicht auf der Reiseroute lagen. Zudem stand jetzt zwei Wochen Wildnis auf dem Fluss an.
Ziel waren die Moose Ponds, die Quellseen des South Nahanni Rivers in den Selwyn Mountains. Marc und Hartmut hatten bereits mit dem Aufbau der Boote begonnen. Beim Eintreffen von Gerhard lagen diese bereits fertig montiert auf dem flachen Kiesstrand. Um die Haut der empfindlichen Faltboote nicht zu verletzen, erfolgte die Beladung im Wasser. Nach einer weiteren Stunde war auch das geschafft.
Marc saß bereits im Boot und machte diverse Übungen, um Fahr- und Trägheitsverhalten kennenzulernen. Vorsichtig legte er das Kajak auf die Kante, stützte sich dabei zuerst mit einer flachen und dann mit einer hohen Paddelstütze ab. Zufrieden paddelte er zu Gerhard und Hartmut. Gerhard schimpfte jetzt schon über ihr Faltboot und mokierte sich über die Schwerfälligkeit des riesigen Kajaks. Um den Tiefgang zu minimieren, wurden die beiden Luftschläuche bis zum Anschlag aufgeblasen. Immerhin brachte das nochmals ein paar Zentimeter an Auftrieb.
Am Ausfluss des Sees war der Wasserstand so niedrig, dass die Boote getreidelt, also mit einer Leine im Wasser gezogen werden mussten. Glücklicherweise hatte der See viele kleine Abflüsse, die sich nach einigen hundert Metern zum eigentlichen Fluss vereinigten. Die Wassertiefe unter dem Kiel war jedoch immer noch recht knapp, so zog Marc es vor, das Kajak noch einige hundert Meter vom Ufer aus zu ziehen.
Die Strömung verstärkte sich jedoch immer mehr. Es gab kein Zurück mehr, er musste in das Kajak, auch auf die Gefahr von Verletzungen der Haut hin. Vorsichtig suchten er und seine Freunde die Ideallinie. Schon nach kurzer Zeit übernahm Marc die Führung, denn er hatte das kleinere und wendigere Boot. Der Abstand betrug ungefähr dreißig Meter zu seinen Freunden im Dickschiff. So bezeichneten er und Gerhard das Boot von Hartmut, weil es einfach riesenhaft war.
Immer wieder liefen kleine Bäche von den seitlichen Bergen zu. Die Wassermenge wurde mehr, der Fluss immer schneller. Die Breite hatte beträchtlich zugenommen. Der Charakter kam einem „sportlichen“ Fluss in den europäischen Alpen sehr nahe. Einfach schnell fließende Schwallstrecken über leicht abfallende Kiesbänke wechselten ab mit geringfügig verblockten Stellen, was so viel bedeutet, dass einzelne Felsbrocken im Gefälle der Strecke lagen, die aber ohne Probleme zu umfahren waren. Immer wieder folgten ruhige Passagen.
Hier, im oberen Bereich, überwog das leichte Wildwasser. So konnten sie sich hervorragend einfahren und bekamen das entsprechende Gefühl für ihre Kajaks.
Der Wasserstand war ideal, das Wetter trübe, aber trocken und die Sicht gut. Der Fluss wurde immer schneller. So meisterten sie am ersten Tag, obwohl sie erst um 01.00 Uhr mittags auf das Wasser kamen, noch fünfundzwanzig Kilometer. Am Spätnachmittag stoppten sie an einer großen flachen Kiesbank. Die Kajaks wurden wiederum im Wasser entladen, die Zelte aufgebaut.
Der erste Abend in unberührter Natur!
Hartmut suchte trockenes Holz, nach einer halben Stunde brannte das Feuer. Am Dreibein hing ein Wasserkessel, der im Lauf der Tour fast schwarz werden sollte. Gerhard hatte sich in ungefähr dreihundert Metern Entfernung auf einer kleinen Halbinsel am Ufer niedergelassen und seine Angel ausgeworfen. Ein großer Kochtopf stand mitten im Feuer. Hartmut bereitete das Kesselgulasch zu.
Marc setzte sich mit einer Tasse Tee auf einen Snag, einen toten Baum, der als Treibgut bei ablaufendem Hochwasser auf der Kiesbank liegengeblieben war. Seine Gedanken kreisten um Shonessi, er konnte ihr Bild einfach nicht aus seinem Kopf bekommen. Sie hatte Ella doch tatsächlich verdrängt. Wie schön sie doch war. Bei ihr stimmte nach Marcs Geschmack einfach alles; sie war von sehr schlanker Gestalt, dabei geschmeidig in ihren Bewegungen. Ihr Lachen verzauberte Marc, ihre braunen Augen zogen ihn in seinen Bann. Ihre langen glatten fast schwarzen Haare reichten ihr weit über die Schulterblätter hinab, glänzten wie Seide. Er hatte ihr Bild vor Augen, als sie sich zu ihm wandte, in diesem Ladengeschäft. Wie sie ihn ansah! Dieses Bild von ihr nahm immer mehr Raum bei ihm ein, wie sehr wünschte er sich, bei ihr zu sein.
Werde ich sie je wiedersehen?
Dunkle Wolken zogen sich am Horizont zusammen und die Moskitos wurden immer lästiger und bissiger. Das Abendessen wurde zur Qual. Geschützt durch Hut und Netz ließ es sich gerade soeben aushalten. Dann fing es an zu regnen. Alle zogen sich in ihre Zelte zurück, der Regen wurde stärker, er trommelte förmlich auf die Zeltplane. Bei Regen konnte Marc immer besonders gut schlafen. An den kommenden zwei Tagen wird der Fluss sie fordern, mehrere schwere Wildwasserpassagen standen an, dabei zwei besonders anspruchsvolle.
Am nächsten Morgen, es regnete immer noch in Strömen. Der Pegel war erheblich gestiegen, die Feuerstelle lag nun direkt am Wasser, am Tag zuvor noch zehn Meter entfernt, was einen halben Meter mehr Wasser bedeutete und das an dieser Stelle, der Fluss war breit und hatte Platz, viel Platz. Hartmut beobachtete prüfend den Fluss, während Gerhard und Marc das Frühstück zubereiteten. Eier mit Speck sollte es geben. Die Vorräte an frischen Sachen, wie Kartoffeln, Eier und Speck reichten für fünf bis sechs Tage. Zwei Stunden nach dem Aufstehen waren sie startbereit. Der Fluss war inzwischen noch weiter angestiegen und die Feuerstelle und Zeltplätze ebenfalls überflutet.
Hartmut stand unschlüssig auf der nur noch schmalen Kiesbank und kratzte sich hinter dem Ohr.
„Oh Mann, oh Mann. Das wird heftig heute. Hoffentlich halten das die Boote aus.“
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