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Eine gute halbe Stunde später näherte sich die Gruppe einem Hain, in dem wohl das Schützenhaus untergebracht war. Martin nutzte einen Moment, in dem Sandra sich zu den anderen umdrehte, und machte sie durch ein Zeichen auf sich aufmerksam.
»Was willst du?«, flüsterte sie, nachdem sie zu ihm hingegangen war.
»Ich habe nachgedacht.«
»Ach, das kannst du auch?« Sandra hob eine Augenbraue. »Und ganz ohne weißes Pulver?«
»Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Sarkasmus.«
»Dann rede endlich!«
»Es ist wegen dem Haus. Das, in dem die Zombies waren. Du hast gesagt, sie hätten dort regelrecht auf jemanden gewartet.«
»Und weiter?«
»Wenn es nun ein Hinterhalt ist?«
»In dem Haus krabbelt nichts mehr. Ich habe dort gründlich aufgeräumt.« Sandra tätschelte ihre Pistole.
»Ich meine das Schützenhaus. Manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht alle Zombies doof sind, sondern dass einige von ihnen gezielt handeln oder von jemandem gelenkt werden. Und dieser jemand kann sich denken, dass wir uns hier Waffen beschaffen wollen, was also liegt näher, als hier einen Hinterhalt zu legen?«
»Nun, da ist was dran. Anscheinend bist du ja doch zu etwas zu gebrauchen.«
»Fein.« Martin verdrehte die Augen. »Und was machen wir jetzt?«
»Was wollen wir schon groß machen? Wir sind leise und legen alles um, was sich uns in den Weg stellt. Punkt. Noch Fragen?«
Martin, ich habe Angst. Das war Rosis »Stimme«, wenn er sich nicht täuschte.
Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Martin versuchte, zusammen mit den Worten auch ein Gefühl der Zuversicht zu übermitteln.
»Hallo? Noch jemand zu Hause?« Sandras Stimme machte ihm klar, dass er soeben abwesend gewirkt haben musste.
»Äh, ja, natürlich.«
»Ich will es nicht nochmal sagen müssen«, knurrte sie. »Wenn du zum Problem wirst, dann muss ich es lösen. Also, was ist jetzt? Noch Fragen?«
Martin schüttelte stumm den Kopf.
»Gut. Du bleibst bei den Kindern. Patrick und ich gehen rein und sehen uns um. Wenn in fünf Minuten nicht einer von uns wieder draußen ist, macht ihr, dass ihr von hier verschwindet, und zwar so schnell es geht. Also los!«
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»Leise« hat sie gesagt, dachte Martin, als die Tür des Schützenhauses mit einem Krachen aus den Angeln flog, und er wusste nicht, ob er belustigt oder eher besorgt sein sollte.
Patrick hatte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen geworfen, und das Holz konnte diesem Ansturm roher Gewalt nichts entgegensetzen. Fast nichts. Vermutlich würde sich an der Schulter des Mannes ein beachtlicher blauer Fleck bilden.
Martin und die Kinder lauschten angespannt auf die Geräusche, die gedämpft zu ihnen drangen. Bislang schien das Haus verlassen zu sein, zumindest waren keine Schüsse oder sonstiger Kampflärm zu hören.
Glaubst du, sie schaffen es? Gabi hatte sich eng an ihren Helden geschmiegt. Wir brauchen dringend noch eine Waffe. Das buchstabiert man W-A-F-F-E.
»Sie schaffen es bestimmt.« Kurz war Martin versucht, dem Mädchen beruhigend über den Kopf zu streicheln, unterließ es dann aber doch lieber. Die Verehrung der Kleinen war ihm unangenehm, und er wollte ihr keine weitere Nahrung geben.
»Ich denke, in dem Haus sind keine Knirscher«, ließ sich Michael vernehmen. »Die, die ich spüren kann, sind weiter weg. Vielleicht auf der Autobahn oder so.«
»Ihr sollt doch nicht über eure Fähigkeiten reden.« Martin klang besorgt.
»Die beiden sind doch im Haus und können uns nicht hören.«
»Aber das kann sich jeden Moment ändern.«
Wie um Martins Worte zu bestätigen, tauchte in diesem Augenblick Sandra im Eingang auf und winkte ihnen zu. »Alles sauber. Los, kommt rein!«
*
»Wer den Herrn fürchtet, der hat eine sichere Festung, und seine Kinder werden auch beschirmt!« Mit diesen Worten empfing Patrick Martin und die Kinder in der kleinen Schankstube des Schützenhauses.
Hier drin schien alles in Ordnung zu sein. Zwar herrschte eine gewisse Unordnung, dennoch war alles intakt, und es schien auch nichts zu fehlen.
Sandra verschwand durch die Tür hinter dem Tresen, nur um kurz darauf mit ein paar blau-roten Päckchen in der Hand wieder aufzutauchen.
»Ich habe Kekse gefunden. Nur trockenes Zeug, aber besser als nichts. Wohl bekomm’s!«
Sandra warf den anderen die Päckchen zu, und riss dann selbst eines davon auf.
»Wenn feder waff im Bauff hat, fau iff naff der Waffenbammer«, erklärte sie mit vollen Backen kauend.
»Nach der was?« Martin war als einziger noch nicht am essen und schaute sie nun erstaunt an.
»Waffenkammer.« Sandra hatte den Keksbrei mit einem kräftigen Schluck Bier hinuntergespült.
Patrick hatte die Kiste hinter dem Tresen entdeckt und sich sogleich eine der Flaschen gekrallt. Sandra hatte nicht lange gezögert und es ihm gleichgetan. Das »flüssige Gold« schien ihr zu munden. Zumindest ließ dass der laute Rülpser erahnen, der soeben aus ihrem Mund kam.
»Wohlsein!« Martin feixte. Insgeheim frage er sich, ob der Pfarrer in diesen Chor einstimmen oder bessere Manieren an den Tag legen würde.
»O tempora, o mores!«, ließ sich dieser auch prompt vernehmen, zwinkerte Martin zu, nahm noch einen kräftigen Schluck und versuchte dann, Sandras Vorlage zu überbieten.
»Das habe ich sogar verstanden«, stelle Martin fest. »Ich habe ebenfalls Asterix gelesen.«
»Und es ist zwischen all dem Staub in Deinem Kopf hängengeblieben?« Sandra sah ihn provozierend an.
»Lass ihn in Ruhe!« Gabi schob sich vor ihren Helden. »Er hat dir nichts getan. Das buchstabiert man G-E-T-A-N.«
»Ach wie süß.« Sandra grinste schief. »Denkst du, ich habe Angst vor dir?«
»Sandra, es reicht!« Die Heiterkeit war mit einem Mal aus Patricks Gesicht verschwunden, und er sah die junge Frau tadelnd an. »Das Mädchen hat recht, Martin hat dir nichts getan.«
»Und wenn schon!«, giftete sie zurück. »Wo wärt ihr denn alle ohne mich, hm? Würdet immer noch in einem Dreckloch kauern und darauf warten, dass ihr gefressen werdet. So sieht es nämlich aus!«
»Das ist der Alkohol. Du weißt nicht, was du redest.«
»Als ob ich noch nie ein Bier getrunken hätte!« Sandra begann merklich zu lallen.
»Das vielleicht schon, aber wohl nicht, nachdem du ein paar Tage lang nichts mehr gegessen hast, oder?«
»Aaaach, scheisssss draufffff! Ihr gönndmich allemaaal!«
Sandra stürzte den Rest der Flasche hinunter und wollte sich eine zweite greifen. Für einen Moment stand sie wankend vor der Bierkiste und stierte sie mit leerem Blick an. Mit einem Mal wurde ihr Körper von einem gewaltigen Schluckauf erschüttert.
»Isch glaub, mirwirdschle …«
Laut »Ullrich!« rufend kotzte Sandra den Inhalt ihres Magens über die Bierkiste, dann sackte sie in die Knie. Mit einem leisen »Scheiße!« kippte sie langsam zur Seite und blieb einfach liegen.
»Was hat sie?«, wollte Rosi, die jüngste in der Gruppe, wissen. »Ist sie krank?«
»Zum Glück sind die Flaschen dicht und lassen sich wieder abwaschen«, murmelte Patrick. Laut sagte er: »Nein, keine Angst, die wird wieder. Sie hat den Alkohol zu schnell auf nüchternen Magen getrunken, und ihr Körper hat ihr gezeigt, was er davon hält. In ein oder zwei Stunden ist sie wieder auf den Beinen.«
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Während Sandra ihren Rausch ausschlief, suchte Patrick zusammen mit Martin die Waffenkammer. Deren Eingang befand sich unweit des Schießstands und war durch eine stabil wirkende Tür gesichert.
»Einrennen ist wohl nicht«, stellte Martin fest.
»Mit meiner Schulter laufe ich heute gegen keine Türe mehr, soviel ist sicher«, machte Patrick klar. »Aber vielleicht geht es ja auch mit Treten.«
Er hatte das letzte Wort noch nicht zu Ende gesprochen, da krachte sein Stiefel auch schon gegen das Holz der Tür. Diese erzitterte unter der Wucht des Tritts, hielt aber stand.
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