»Scheiße!«, schrie Stephan erneut, allerdings mehr vor Schreck als vor Schmerz, denn die nun zahnlosen Kiefer taten sich schwer damit, die Haut seines Arms zu durchdringen. Aber er wollte es erst gar nicht so weit kommen lassen, dass ihm ebenfalls ein Stück Fleisch aus dem Arm fehlte, so wie es bei seinem Angreifer an mehreren Stellen der Fall war. Deshalb zerrte Stephan mit aller Macht an seinem Arm, um ihn wieder freizubekommen.
Zunächst stellte sich jedoch ein Art Pattsituation ein. Der Schmerz an Stephans Arm nahm zwar immer weiter zu, trotzdem wollte dem Angreifer der Biss einfach nicht gelingen. Als das Ding jedoch anfing, den Kopf ruckartig hin und her zu bewegen, bekam Stephan Panik, denn nun würde es nicht mehr lange gutgehen, bis ihm dennoch ein Stück seines Armes herausgerissen würde. Er zappelte und wand sich in dem Griff, doch obwohl das Genick des anderen ein paarmal gefährlich knirschte, ließ dieser nicht locker.
Schließlich wurde Stephans Gezappel so wild, dass beide der Länge nach hinfielen. Der Schädel des Freaks krachte dabei hart auf die Waschbetonsteine, und der bis eben eiserne Griff lockert sich soweit, dass Stephan sich losmachen konnte. Schnell sprang er auf, hastete nach drinnen und versuchte, die Eingangstüre hinter sich ins Schloss zu schlagen, allerdings hatte sich der Angreifer ebenfalls schon wieder aufgerappelt und einen seiner Arme zwischen Tür und Rahmen gebracht.
»Dich mach ich fertig, Du Freak!«, schrie Stephan außer sich. Er holte mit dem schweren Türblatt aus und schmetterte es immer und immer wieder gegen den Arm des Dings. Das ließ sich davon jedoch in keiner Weise beeindrucken, auch wenn immer mehr vom Knochen des Arms zum Vorschein kam. Dafür begann sich ein modriger Geruch im Hausflur auszubreiten.
Stephan blieb nichts anderes übrig, als seine Taktik zu ändern. Er ließ von der Haustür ab und rannte ins Schlafzimmer, denn dort wusste er ein Werkzeug, das ihm in diesem Fall behilflich sein konnte. Mehr im Unterbewusstsein nahm er wahr, dass das Ding ihm folgte und dabei die Haustüre krachend ins Schloss fiel, nachdem es sie passiert hatte.
Aha, der Freak hat wenigstens ein bisschen Anstand übrig behalten und macht die Tür hinter sich zu, stellte Stephan in Gedanken fest. Vielleicht geht sein Anstand ja sogar so weit, dass er sich die Schuhe abputzt, um mir ein wenig Zeit zu verschaffen.
Tatsächlich gelang es Stephan, den Raum mit genügend Vorsprung zu erreichen, um den Freak dort gebührend empfangen zu können. Als der seinen stinkenden Körper durch die Schlafzimmertür schob, krachte ihm Stephans Alu-Baseballer genau in die Fresse. Das Ding taumelte ein wenig nach links, und Stephan drosch erbarmungslos erneut auf dessen hässlichen Schädel ein. Wieder und wieder sauste das Sportgerät auf den Angreifer nieder, bis sich der Kopf am Ende in eine breiige Masse verwandelt hatte. Die lief zäh am Körper seines Besitzers herunter und erinnerte dabei an fauliges Müsli, in dem noch andere kleine Brocken schwammen, von denen Stephan gar nicht so genau wissen wollte, wo sie herkamen.
Als sich das Etwas, das offenbar einmal ein Mensch gewesen war und nun in der Ecke des Zimmers lag, nicht mehr regte, ließ Stephan den Baseballschläger keuchend fallen und ging ein paar Schritte zurück. Das Adrenalin, das bis eben mit Macht durch seinen Körper gepumpt worden war, befand sich nun auf dem Rückzug, was sich nicht nur darin bemerkbar machte, dass Stephans Hände anfingen zu zittern, sondern auch daran, dass der durch den Alkohol verursachte Nebel in seinem Kopf langsam zurückkehrte.
Stephan ließ sich auf das Bett fallen, wo er einem Moment lang einfach so dasaß, dann kippte er zur Seite und schlief ein. Kurz darauf war der Raum vom Schnarchen der Gerechten erfüllt.
*
»Ja, so in der Art muss das wohl gewesen sein«, überlegte Stephan laut, als er wieder aus seiner mehr bruchstückhaften Erinnerung in das Hier und Jetzt zurückkehrte.
Plötzlich riss er wie elektrisiert die Augen auf, krempelte seinen rechten Ärmel hoch und betrachtete den Arm, der darunter zum Vorschein kam. In der Nähe des Ellenbogens war ein großer blauer Fleck zu sehen, und das Gewebe wirkte ein wenig geschwollen. Als Stephan genauer hinsah, entdeckte er feine Schorfspuren, die durch die dunkle Färbung der Haut schwer zu sehen waren.
»Du Mistsau!«, entfuhr es ihm, denn auch er hatte schon Zombiefilme gesehen, und wusste daher, dass man selbst zu einem der Freaks wurde, wenn sie einen bissen. Zumindest, was man so als »wissen« bezeichnen konnte, denn die Filme hatte sich jemand ausgedacht, aber das hier war die Realität.
Stephan hatte sich aus der ganzen Sache bislang heraushalten können. Als es »dort draußen« ernst geworden war, hatte er sich krankgemeldet, obwohl ihm seine Arbeit bei der Post eigentlich viel Spaß machte. Aber es gab einfach Dinge, die waren wichtiger. Er hatte die Zeit, die ihm der »gelbe Urlaubsschein« verschafft hatte, dazu genutzt, seine Vorräte aufzustocken, so gut es eben ging, und sich dann hierher zurückgezogen. Aber wie es aussah, hatte ihn die Sache nun doch eingeholt. Was sollte er also tun?
Eine Weile kratzte sich Stephan nachdenklich am Kopf, dann zuckte er mit den Schultern und tat das, weswegen er überhaupt in den Vorgarten gekommen war. Um alles andere konnte er sich später noch kümmern, und falls er wirklich ebenfalls ein Freak werden würde, dann wollte er hier wenigstens alles ordentlich zurücklassen.
»Na, Anton, alles klar bei Dir?«
Beinahe zärtlich hob Stephan den Gartenzwerg, den der Zombie gestern Abend umgestoßen haben musste, auf und betrachtete ihn sorgfältig von allen Seiten. In einer Falte der grünen Schürze des kleinen Kerls hing ein wenig Erde, die Stephan vorsichtig entfernte, bevor er Anton wieder liebevoll an dessen angestammten Platz zurückstellte.
Ansonsten schien hier draußen alles so zu sein, wie es sich gehörte, also war nun das Schlafzimmer an der Reihe. Der ungebetene Besucher zahlte keine Miete, was ihm jetzt den verdienten Rausschmiss einbrachte. Die Kündigung hatte Stephan ja bereits gestern Abend in Form einer Reihe kräftiger Hiebe persönlich überbracht, das sollte eigentlich unmissverständlich gewesen sein, und den Rechtsweg gab es ja nun offenbar nicht mehr.
Stephan holte einen großen Eimer und eine Schaufel aus der Garage, zog sich ein Paar Gummihandschuhe über und betrat entschlossen sein Schlafzimmer.
»Boar, Alter, Du stinkst vielleicht!«, erklärte er dem Ding in der Zimmerecke. »Da brauchst du dich aber auch nicht zu wundern, wenn dich keiner bei sich haben will.«
Langsam begann er, die Überreste des Schädels zusammen mit allem anderen, was einen mehr flüssigen als festen Eindruck machte, in den Eimer zu schaufeln. Als dabei der obere Teil des Torsos zum Vorschein kam, in dem Luft- und Speiseröhre sowie das eine Ende der Wirbelsäule deutlich zu erkennen waren, begann Stephans Magen erneut zu rebellieren.
Schnell ging er ans Fenster, das er bereits beim Hereinkommen geöffnet hatte, um den Gestank nach draußen zu lassen, und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Er ließ den Blick eine Weile über den Waldrand schweifen und lauschte dabei dem Zwitschern der Vögel. Ja, da draußen würden die Reste des Freaks gut aufgehoben sein, dort konnte er sich wenigstens noch als Dünger nützlich machen.
*
Gegen Mittag hatte Stephan alles soweit erledigt. Die Überreste des Zombies erfreuten die Würmer im Wald, das Schlafzimmer war wieder blitzblank geputzt, die eingesaute Stelle der Raufasertapete frisch gestrichen. Stephan war mit sich und der Welt zufrieden, bis sich sein Magen erneut meldete und ihn nachhaltig daran erinnerte, dass es Zeit fürs Mittagessen war.
Stephan fand, dass er sich zur Belohnung ein wenig Abwechslung auf dem Speiseplan verdient hatte, daher wollte er eine kleine Einkaufstour unternehmen. In einem der Läden und Restaurants entlang der Aachener Straße sollte sich doch irgendwo noch die eine oder andere Leckerei auftreiben lassen.
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