Ohne jede Pflege lag ich auf dem Strohsack. Der Gefängnisarzt behauptete, ich simuliere nur, und ließ mich täglich von zwei Sträflingen auf den mit spitzen Steinen gepflasterten Hof schleppen. Die ekelhafte Nahrung soll mir mit Gewalt in den Mund gesteckt worden sein. Im Hofe wurde ich auf einen Hocker gesetzt, von dem ich ständig hinunterfiel. Dabei schlug ich mir große Wunden. Diese Wunden sind, weil ohne jede Pflege, in Eiterung übergegangen und das Ungeziefer im Gefängnis machte alles noch schlimmer. Niemand kümmerte sich um mich. Wäre nicht einer der Aufseher zum Arrestinspektor gegangen und hätte er diesem nicht gesagt, dass er jegliche weitere Verantwortung in meinem Falle ablehne, läge ich längst unter der Erde bei meinem Schatz. Nun, es hätte mich nicht gewundert, wenn dies im Sinne dieser großen Justizverlegenheit gewesen wäre. So hätte sich der tragische Fall auf natürlichem Wege erledigt. Ich lag auf dem erbärmlichen Lager, nicht imstande, ein Wort zu sprechen oder mich zu bewegen. Entsetzliche Wunden bedeckten meinen Körper, was waren aber diese Schmerzen gegen die der Seele! Und kein Wort des Trostes. Rohe Behandlung vonseiten der Ärzte. So ein junger Affe, ein Assistenzarzt, sagte dem Mädchen, das mich pflegen sollte: „Warum sind Sie denn hier? Lassen Sie das Frauenzimmer doch ruhig liegen, an der verliert die Welt auch nichts!“ So lag ich den ganzen Tag allein, der Durst quälte mich oft bis zum Wahnsinn und das Mädchen tat von nun an alles widerwillig und schikanierte mich, wo es nur konnte.
So vergingen Wochen, aber das war noch nicht alles! Wie ich in die Irrenanstalt gekommen bin? … Eines Nachts wurde ich aus dem Bett geholt, notdürftig angekleidet und von zwei Justizsoldaten in einen Wagen geschleppt. So ging es in die Nacht hinaus. Auf mein Flehen hin, mir doch zu sagen, was man mit mir vorhabe, erhielt ich keine Antwort, bloß ein zynisches Lächeln. Ich wurde zur „Beobachtung meines Geisteszustandes“ in die Irrenabteilung des Grazer Gefängnisses gebracht. Entschuldige, ich will dich nicht schockieren und werde dir daher nicht weiter davon erzählen. Du kannst dir ja denken, wie meine körperliche und seelische Verfassung zu dieser Zeit war. Übermenschliche Qualen und Leiden musste ich ertragen und stand an der Kippe zum Wahnsinn! Die ersten Tage in Graz waren entsetzlich und ich hatte, verursacht durch meine Krankheit, die schlimmsten Visionen. Andauernd soll ich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen haben, bis ich bewusstlos wurde, erzählten mir die Zimmergenossinnen. Ich wollte nicht verrückt sein. Die fortwährenden Verhöre durch die Ärzte waren in meinem Zustand eine grenzenlose Quälerei. So biss ich die Zähne zusammen, denn ich wusste, wie schnell man in Österreich eine unbequeme Person im Irrenhaus verschwinden lässt. Woher ich das wusste? Das haben mir etliche, fast zum Wahnsinn getriebene Frauen zugeflüstert. Sie spendeten mir erstmals Trost und baten mich innig, nicht aufzugeben. Mein Fall hatte sich in der Anstalt längst herumgesprochen, bis sich der Vizepräsident der Anstalt, ein ehrenvoller Mensch, meiner erbarmte. Er verschaffte mir täglich zu Mittag ein anständiges Essen, damit ich zu Kräften kommen konnte. In inniger Dankbarkeit gedenke ich dieses menschenfreundlichen Mannes, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist. Ich wurde wieder stark und konnte von meiner Unschuld überzeugen. Die Ärzte in Graz wurden plötzlich freundlich, sie pflegten mich und sprachen mir Trost und Mut zu. Nach einigen Wochen wurde ich nachts wieder zurück nach Leoben transportiert, von einer Wahnsinnigen konnte keine Rede sein. Am Tage der Verhandlung war ich kaum imstande, mich aufrecht zu halten. Mein Verteidiger hatte mich sehr gut vorbereitet. Das, was ich erlebte, überstieg trotzdem selbst meine hochgeschraubten Erwartungen. „Wundern Sie sich über nichts! Alle werden lügen, nirgends wird mehr gelogen, nirgends wird mehr falsch geschworen als vor Gericht!“, waren seine vertraulichen Worte in der Zelle. Was er mir damit im Geheimen sagen wollte, konnte ich zu dieser Zeit nicht verstehen, hatte ich doch noch nie mit dem Gericht Kontakt gehabt. Ekel erfasste mich, als die Zeugen vernommen wurden. Nie tat ich diesen Leuten etwas zuleide. Alle hatten sie mehr oder weniger unsere Gastfreundschaft genossen. Wie sie nun glücklich waren, mit den trockenen Reisigzweigen unter dem Arm zu meinem moralischen Scheiterhaufen beitragen zu dürfen. Wie sie strahlten im Bewusstsein der kleinen Rolle, die sie spielen durften, dieses erbärmliche Gesindel! Zuerst der Bürgermeister, dann der Pfarrer und der so ehrwürdige Stationschef. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich laut aufgelacht, als sie alle erzählten, wie befreundet sie mit dem „Bezirkshauptmann“ gewesen seien.
Mein armer Mann war so allein, als die Katastrophe hereingebrochen war. Plötzlich schimpften sogar die Herren der Bezirkshauptmannschaft auf den Herausgeber dieses Schmierblattes, in dem der Artikel über dieses „Märchen“ erschienen war, der den Auslöser der ganzen Katastrophe darstellte. Ich verstehe meines Mannes Seelenzustand an jenem Abend ja so gut. Seine Familie hatte das Zerstörungswerk vollbracht, weiter kümmerten sie sich nicht um den armen Mann. In diesen bangen Stunden ließen sie ihn allein! Wie unglücklich mag er sich in dieser verlassenen Wohnung vorgekommen sein, aus der die gute Seele entfernt worden war! Er war ja so an mich gewöhnt, er liebte mich grenzenlos, redete sich selbst in eine gewisse Stimmung gegen mich hinein, als er vor seinem mahnenden Gewissen Schutz suchte. Er vermisste die ihn einhüllende Liebe, alles brach über ihm zusammen. Wäre nur ein einziger guter Freund an seiner Seite gewesen, der ihm gut zugeredet hätte. Bei Gott, das Unglück wäre nie und nimmer geschehen. Später hat man mir erzählt, dass mein Mann einen Tag nach meiner Verhaftung in Leoben gewesen sei. Geistesabwesend soll er durch die Straßen gelaufen sein, er bat und flehte, man möge ihn zu mir lassen. Das Gericht verweigerte ihm eine Aussprache mit mir. Oh! Die Herren vom Gericht wissen, was ihres Amtes ist! Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen, als ich davon hörte. Das wäre die einzige Chance gewesen, ein letztes Mal mit meinem geliebten Schatz über alles zu reden, dachte ich verzweifelt. Das Gespräch hätte sogar sein Leben retten können. Bei diesem Gedanken wird mir heute noch ganz mulmig. Dass man mich mit Verbrecherinnen zusammengesperrt habe, könne er nicht ertragen, äußerte er gegenüber einer ihm bekannten Person. Mein Franz war ein gar eitler Mensch. Der Verlust seiner Stellung musste tief schmerzlich sein. Er hatte nicht den Mut, sich im entscheidenden Moment an meine Seite zu stellen. Ich kann das gar nicht oft genug erwähnen, wie du hörst! Er hatte nicht die Energie, sich zu bekennen und zu sagen: „Ich weiß alles, ich habe mit dem Pfarrer die ganze Geschichte in Szene gesetzt!“ Es wäre so einfach gewesen. Siehst du, wie sehr ich mir darüber den Kopf zerbrochen habe? Vielleicht dachte er auch, ich hätte seine Briefe und Dokumente vernichtet. Er konnte nicht ahnen, dass seine Angehörigen eine derartige Handlung begehen würden, alles, was meine Unschuld klar darstellte, zu vernichten. Oder waren es die Quittungen für die aus seiner Junggesellenzeit bezahlten Schulden, die vernichtet werden sollten? Die Papiere über meine verkauften Edelsteine? Ich weiß es nicht. Bei Gott, ich weiß es nicht!
Von seinen drei Herren sagte einer aus, dass er nie gern bei uns verkehrt habe. Der Zweite wusste gar nichts zu erzählen, außer, dass er öfter seinen Geldbeutel gezückt habe, und der Dritte wurde feuerrot, als er seine Aussagen machen musste, die sich merkwürdigerweise mit den einst zu Protokoll gegebenen nicht deckten. Aber im Großen und Ganzen herrschte eine Einigkeit unter den Zeugen, sagenhaft. Ihre Aussagen stimmten zu auffällig überein, um nicht verabredet zu sein. Die Mutter meines Mannes machte allgemein keinen guten Eindruck, ebenso wenig wie sein Bruder. Man versuchte mit aller Kraft das Andenken an den Verstorbenen rein zu halten und aus diesem Grunde verzichtete ich ebenso auf eine Antwort zu ihren Aussagen. Zu meinem großen Erstaunen entlastete mich der Vater meines Mannes. Er gab zu, von seinem Sohn einen Brief erhalten zu haben, in dem Franz geäußert hatte, ihm sei meine Vergangenheit egal. Mein Kammermädchen Anuschka wurde wenige Tage vor der Verhandlung von der Mutter meines Mannes engagiert. Sie saß jeden Tag im Gerichtssaal und musste sich die schlimmsten Anschuldigungen gegen mich anhören. Es war wohl ein Albtraum für sie. Unter Tränen sagte die Gute aus, dass sie in der ganzen Zeit nie etwas Unrechtes oder Unsittliches gesehen habe. Sie habe stets in meiner unmittelbaren Nähe, in einem kleinen, feinen Nebenzimmer gewohnt. Herrenbesuche habe ich nie empfangen und ich sei nie in Gesellschaften gegangen, sondern habe ein sehr zurückgezogenes Leben geführt und sei äußerst sparsam gewesen. Sie konnte unter Eid bestätigen, dass ich meinen Mann über mein gesamtes Vorleben unterrichtet und keine Geheimnisse vor ihm hatte. Zu meinem Leidwesen habe ich sie nach dem Prozess nie wieder gesehen. Ich denke, sie hat vor lauter Enttäuschung das Land verlassen, dessen Gesetze einen Unschuldigen weder schützen noch verteidigen. Sie wird nach Frankreich zurückgekehrt sein.
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