„Aha, der Herr Professor lässt es sich gut gehen.“
„Ich bin schon zwei Stunden im OP gestanden und gehe bald noch einmal für zwei Stunden dorthin.“
„Ich habe einige Fragen an dich, die Familie Lederer betreffend.“
„Ich weiß nichts Genaueres über sie.“
„Aber deine Frau arbeitet doch derzeit für sie.“
„Dann frag Julia.“
„Du willst mir also nicht helfen.“
„Nein, absolut nicht. Das letzte Mal, als ich für dich ermittelt habe, wäre ich fast draufgegangen. Ich weigere mich, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Ich bin hier Arzt und sonst nichts.“
„Und wenn noch ein Todesfall auftritt?“
„Auch dann nicht. Ihr bekommt alle Auskünfte, die ihr benötigt, und wir werden unsere Augen offen halten. Adesso, basta.“
„Wir suchen ein Motiv und glauben, dass es etwas mit der Firma zu tun hat.“
„Dann frag doch Marion Lederer, sie will doch auch, dass der Mörder ihres Mannes gefunden wird.“
„Und wenn sie es selbst war? Sie könnte es durchaus getan haben.“
„Red nicht so einen Blödsinn. Ich werde sicher kooperativ sein, denn vor allem bin ich beunruhigt, dass bei uns im Spital ein Mörder sein Spiel treiben könnte.“
„An den Infusionen und auch am Bett sind so viele Fingerabdrücke, dass wir nichts zuordnen können. Übrigens, was das Pflegepersonal betrifft, du hast fast keine Pfleger mehr. Warum?“
„Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens gibt es überhaupt mehr Krankenschwestern als Pfleger, zweitens mag ich kein männliches Pflegepersonal. Das weiß man bei der Pflegeleitung, und das wird berücksichtigt.“
„Und warum magst du keine Männer?“
„Weil sie sich oft nichts sagen lassen wollen und ihre Mitschwestern gerne unterdrücken. Das gilt aber nicht für alle. Erst voriges Jahr habe ich einen hervorragenden Pfleger gehabt, der uns leider verlassen hat. Den habe ich sogar ermutigt, Medizin zu studieren.“
Mein Telefon läutete, ich musste in den OP. Ich schüttelte Jakob die Hand und ließ ihn allein.
In der nächsten Woche hatte ich endlich Ruhe. Auch die junge Polizistin war aus dem Sekretariat verschwunden, sehr zum Leidwesen von Simone.
Langsam begann ich, den Fall zu verdrängen, als Julia eines Abends das Gespräch darauf brachte.
„Marion hat mit ihrem Schwiegersohn offensichtlich doch Probleme. Bisher hat sie über ihn vollständig neutral gesprochen, aber es scheint Zoff gegeben zu haben. Sie machte eine Bemerkung, dass der Haushalt ihrer Tochter ein Fass ohne Boden sei und dass sie Angst habe, dass diese ihren Erbteil zu rasch verbrauchen werde.“
Das interessierte mich schon.
„Warum?“
„Die beiden jungen Leute haben ein großes Haus und führen ein Luxusleben. Kevin hat sich gerade einen Porsche gekauft, wobei Marion der Meinung ist, dass es sein BMW noch länger getan hätte. Und Roswithas Galerie wirft auch keine Gewinne ab, Marion sagt, dass sie nur erfolglose Künstler unterstütze. Sie glaubt, dass die beiden weit über ihre Verhältnisse leben, und das macht ihr Sorgen.“
„Wie ist er bei der Arbeit?“
„Sie meint, dass er tüchtig sei. Nur ihre Ansichten über die Zukunft der Firma seien eben verschieden. Ein Teil des Führungspersonals stehe auf seiner Seite, der andere habe auf der ihres Mannes gestanden.“
„Wenn sie einen Verdacht hat, dass er über seine Verhältnisse lebt, dann soll sie sich doch genauer darüber informieren.“
„Sie kann ihn doch nicht fragen!“
„Nein, aber sie kann einen Detektiv anstellen. Kannst du dich noch an meinen Herrn Wotruba erinnern? Sprich einmal mit ihr. Er ist ein tüchtiger Bursche, den kann ich ihr empfehlen.“
Am nächsten Abend kam bei einem Glas Rotwein die Sprache neuerlich auf die Lederer Pharmazeutik. Julia hatte mit ihrem Mitarbeiter den ganzen Tag in Raaba verbracht. Es war dabei hauptsächlich um die Regelung des Nachlasses gegangen.
„Ich habe Marion vorgeschlagen, einen Detektiv zu engagieren, und ihr erzählt, dass Wotruba für dich hervorragende Arbeit geleistet hat. Sie will aber ihrem Schwiegersohn nicht nachspionieren.“
„Das verstehe ich auch. Wenn er das erfährt, ist der Familienfriede ein für allemal gestört.“
„Ich habe ihr jedenfalls die Adresse von Wotruba gegeben. Sie hat uns übrigens am Wochenende zu einem Abendessen eingeladen.“
Am Samstagabend fuhren wir nach Petersbergen, ein Wohnviertel im Südosten von Graz, wo die Lederers ein schönes und standesgemäßes Haus besitzen – mit einem prachtvollen Ausblick auf den Süden von Graz und auf das steirische Mittelgebirge. Das Haus gefiel mir, ein moderner, aber perfekter Schuhschachtelstil, harmonisch in die Landschaft eingefügt. In der Auffahrt standen schon einige Luxusautos, neben denen sich Julias Golf etwas mickrig ausnahm. Für mich sind Autos ein Gebrauchsgegenstand, ich habe zwar immer ordentliche besessen, aber als Statussymbol benötige ich sie nicht. Und es dauert bei mir auch immer ziemlich lange, bis eine Beule im Kotflügel ausgebessert wird. Vor allem wenn ich ins Ausland fahre und in besseren Hotels absteige, lasse ich mir vorher die Karosserieschäden richten.
Ein Mädchen führte uns durch das Haus auf eine Terrasse. Außer uns war noch ein Paar, offenbar enge Freunde der Familie, eingeladen, außerdem waren die beiden Kinder und der austro-kanadische Schwiegersohn von Marion zugegen. Wir wurden einander vorgestellt – der Herr war ein Banker und seine Begleiterin eine Unternehmerin – und nahmen einen Aperitif. Das Gespräch drehte sich um Kredite, Investitionen und Auslagerungen. So wie Mediziner über Medizin sprechen und Juristen über Rechtsfälle, sprechen Geschäftsleute gerne über Geschäfte. Mich interessierte das Thema nicht, doch Julia hörte gespannt zu. Ich wandte mich den beiden Geschwistern zu und sagte zu Roswitha: „Ich habe gehört, Sie haben eine Galerie in Graz eröffnet.“
Die zarte junge Frau bekam gleich etwas Farbe im Gesicht: „Interessieren Sie sich für bildende Kunst?“
„Ich bin zwar Arzt, beschäftige mich aber schon seit meiner Jugendzeit mit Kunst.“
„Diese ewigen Gespräche über Investitionen und Umsätze kann ich schon nicht mehr hören. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen einige schöne Bilder, die ich meinen Eltern aufgedrängt habe.“
Sie führte mich ins Haus. Im großen Wohnzimmer harmonierten eine moderne Sitzgruppe und ein schöner Barockschrank miteinander und an den Wänden befand sich eine ansprechende Mischung von modernen und alten Bildern. Ein Rainer, ein Prachensky, ein Weiler hingen neben einer prachtvollen italienischen Landschaft aus dem 17. Jahrhundert und einem Biedermeierporträt. Im nächsten Raum, in dem für uns gedeckt war, fanden sich Arbeiten von Giuseppe Penone, Morris Louis und Wolfgang Hollegha.
„Wissen Sie, dass Hollegha mit Louis zusammen in den USA ausgestellt hat?“
„Ich weiß, deswegen habe ich Papa überredet, die beiden Bilder zu kaufen. Er ließ mir freie Hand. Ich durfte auch beim Hausbau vor vier Jahren mitreden.“
„Sie haben einen sicheren Geschmack, meine Hochachtung. Sie hätten Innenarchitektin werden sollen.“
Auch in den anderen Räumen sah ich noch viele schöne Bilder. Angeregt durch ein Gespräch über die zeitgenössische Kunst, kehrten wir zu den anderen zurück. Ein strafender Blick Julias ereilte mich. Marion meinte nur: „Da haben sich die beiden Richtigen gefunden.“
Bei Tisch ging die Konversation im gleichen Stil weiter. Es wurde über Expansion und Geld diskutiert. Wortführer war Kevin Miller, der auch von einem neuen Medikament, das die Lederer Pharmazeutik entwickelte, erzählte. Es war ein Schlankheitspräparat, in das große Hoffnungen gesetzt wurden. Auch Marion, die ich immer als Kollegin betrachtet hatte, schien viel vom Geschäft zu verstehen und vertrat energisch ihre Meinung. Kevin war der Ansicht, dass man jetzt investieren müsse, da man Kredite für niedere Zinsen bekomme. Ich dachte mir nur, dass wir dafür auch für unsere Einlagen von den Banken nichts bekommen. Mein altmodisches Sparbuch brachte weniger an Zinsen, als die gegenwärtige Inflation verschlang. Wenn man noch die Kontogebühren dazurechnete, könnte man fast zu dem Entschluss kommen, sein Geld daheim unter der Matratze aufzubewahren. Julia sprach wenig, hörte nur zu. Ich saß den beiden jüngeren Leuten gegenüber, beteiligte mich nicht am Hauptgespräch und unterhielt mich mit den beiden über Kultur.
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