Auch ich hätte es nicht gewagt, das Motto der Jugendlichen zu übernehmen. Beschämt muss ich mir nämlich eingestehen, dass auch ich mit meiner Art zu leben, eindeutig über dem Maß liege, und damit die natürlichen Ressourcen und das Klima belaste. Natürlich hat die Politik hier eine besondere Verantwortung und die Macht darüber, entscheidende systemverändernde Weichenstellungen vorzunehmen. Und es ist wichtig, die Politik hier in die Pflicht zu nehmen. Aber wir können die Verantwortung für den Klimawandel nicht auf die Politik oder die Wirtschaft abwälzen. Schließlich sind wir die Generation, die seit den 1960er-Jahren 66 % aller CO 2-Emissionen Deutschlands durch unseren historisch unvergleichlichen Lebenswandel verursacht hat.
Jeder einzelne Mensch trägt mit seinem Leben und seinem Verhalten seinen Anteil dazu bei, ob die Klimaerwärmung weiter zunimmt oder nicht. Das ist eine bittere Erkenntnis, birgt aber auch eine große Chance. Denn wenn jeder einzelne Mensch mit seiner Art zu leben ursächlich für die Klimakrise mitverantwortlich ist, dann hat auch jeder einzelne Mensch die Möglichkeit, seinen Lebensstil zu verändern und damit einen unmittelbaren Beitrag zur Lösung des Problems zu liefern.
Anders gesagt: Wir sind keine Opfer des Klimawandels. Wir sind die Täter. Dieses Eingeständnis ist der erste Schritt, um eine Veränderung einzuleiten. Von den Anonymen Alkoholikern wissen wir, dass ohne das Eingeständnis, Alkoholiker zu sein, kein Gesundungsprozess stattfinden kann. Wie wollen wir Verantwortung für unsere expansive und die Natur und das Klima belastende Art zu leben übernehmen, wie wollen wir uns ändern, wenn wir uns nicht eingestehen, dass wir selbst es sind, die unseren Kindern durch unser Verhalten die Lebensgrundlage entziehen?
Jeder einzelne Mensch trägt Verantwortung
Ein entscheidender Moment, der mich persönlich aufgerüttelt hat und mir meine Verantwortung für mein Verhalten bewusst gemacht hat, war, als mir plötzlich der Gedanke kam: »Was sage ich meinen Kindern, wenn sie mich eines Tages fragen, was ich getan habe, um die Klimakrise abzuwenden.« Wahrscheinlich werden sie irgendwann sagen: »Du hast es doch gewusst. Warum hast du dein Leben nicht geändert und warum hast du dich nicht dafür eingesetzt, dass sich grundlegende Strukturen verändern?«
Dieser Gedanke trifft mich tief. Schließlich bin ich in einer Generation aufgewachsen, die ihre Eltern gefragt hat, was sie gegen das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus getan haben. Auf diese Frage hatten unsere Eltern eine gute Ausrede. Sie konnten sagen, dass es gefährlich gewesen wäre, gegen das Regime aufzustehen. Diese Ausrede haben wir Erwachsene heute nicht. Wir haben nichts zu befürchten, wenn wir die eigenen Lebensgewohnheiten umstellen und uns politisch für einen ökologischen Wandel einsetzen. Das Einzige, was wir dabei riskieren, ist unsere Bequemlichkeit und einen kleinen Teil unseres materiellen Wohlstandes.
Tatsächlich haben wir alle Freiheiten und alles Wissen dazu, unser Leben so zu organisieren, dass wir in Zukunft deutlich weniger CO 2ausstoßen. Und selbst wenn wir manches nur schwer ändern oder vermeiden können, da wir mit unserem Leben auch in gesellschaftliche Systeme eingebettet sind, haben viele Menschen die finanziellen Möglichkeiten, so viele Bäume aufzuforsten, dass sie ab heute klimaneutral leben können. Es liegt einzig und allein an uns, ob wir uns unseren Lebensstil eingestehen und dafür Verantwortung übernehmen oder nicht.
Doch genügt es, wenn wir unser individuelles Leben ändern und ab morgen CO 2-neutral leben? Ist das nicht naiv, zu glauben, wir könnten an der Dynamik der Klimawandels dadurch etwas ändern, dass wir unseren Minibeitrag dazu leisten? Ist das nicht, als ob wir versuchen, einen mächtigen Waldbrand zu löschen, indem wir dagegen anpusten?
Diese Argumentation höre ich immer wieder. Was hat mein kleiner Verzicht, keine Urlaube mehr mit dem Flugzeug zu machen, für eine Bedeutung gegen den wachsenden Flugverkehr? Was macht es für einen Sinn, das eigene Leben umzustellen und weniger CO 2auszustoßen, wenn Milliarden von Menschen in China und Indien immer mehr Wohlstand anstreben und entsprechend deren CO 2-Ausstoß zunehmen wird? Bin ich nicht einfach nur dumm, wenn ich mein Leben umbaue und einschränke, obwohl es global betrachtet so gut wie keine Wirkung hat, ob ich Verantwortung für mein Leben übernehme oder nicht?
Es ist heutzutage ein seltsames Phänomen, dass Menschen, die über ihr eigenes Wohlbefinden hinausdenken und sich konsequent für ein menschenwürdiges und ökologisches Leben einsetzen, als »Gutmenschen« verunglimpft werden. Sie gelten schnell als naiv, als Alternative, als Spinner. Ist das nicht eine wunderbare Ausrede, um selbst nicht in den Spiegel zu schauen und keine unbequemen Konsequenzen ziehen zu müssen?
Betrachten wir diese Argumente genauer. Ja, es genügt nicht, das eigene Leben umzustellen und selbst klimaneutral zu leben. Um die Klimakatastrophe abzuwenden, müssen sich auch globale Strukturen verändern. Das ist ein politischer Prozess und es macht Sinn, an diesem Strukturwandel mitzuwirken, ihn einzufordern und sich öffentlich und politisch dafür einzusetzen.
Aber wie können wir uns glaubhaft für einen Strukturwandel auf einer gesellschaftlichen Ebene einsetzen, wenn wir selbst mit unserer Lebensweise nach wie vor über unsere Verhältnisse leben und die Würde des Lebens verletzen? Wie können wir fordern, dass große Systeme, die den globalen Brand ständig weiter anheizen, verändert werden müssen, wenn wir selbst weiterhin im Kleinen ständig Feuer legen?
Was kann ich schon ausrichten?
Die Erkenntnis, dass wir selbst mit unserer persönlichen Lebensweise zu der ökologischen Krise des Klimawandels beigetragen haben, ist bitter, sie kann aber auch befreiend wirken. Denn wenn wir uns bewusst werden, dass es durchaus einen Unterschied macht, wie wir persönlich leben, dann spüren wir wieder unsere Selbstwirksamkeit. Erst dort, wo wir Verantwortung übernehmen, fühlen wir uns nicht einem übermächtigen Geschehen ausgeliefert, sondern gewinnen unsere Macht zurück.
Das gilt für alle Situationen, die uns überfordern oder verletzen. Immer fühlen wir uns zunächst als Opfer der Umstände und entsprechend hilflos. Was kann ich schon tun, wenn meine Chefin beschließt, dass ich Überstunden machen muss? Wie kann ich mich schützen davor, dass mich eine Nachbarin entwertet? Wie soll ich mich stark fühlen, wenn ich durch eine schwere Krankheit mit einer großen Schwäche konfrontiert bin? Was kann ich schon tun gegen das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten? Konfrontieren uns nicht all diese Situationen mit unserer Schwäche, unserer Kleinheit und Verletzlichkeit?
Solange wir uns nicht diese Gefühle der Hilflosigkeit als zutiefst menschlich und natürlich zugestehen, kämpfen wir dagegen an und fühlen uns als Opfer. Wenn wir jedoch den Schritt machen, unsere Überforderung und damit unsere Kleinheit anzuerkennen, kann sich eine innere Wandlung vollziehen: Wir finden unsere Selbstachtung wieder und spüren darin sehr deutlich, was unserer Seele kostbar ist. Plötzlich wird uns klar, was unsere innere Wahrheit in dieser herausfordernden Situation ist, und unabhängig davon, ob wir die äußere Situation, die Chefin, die Nachbarin, die Krankheit oder die globale Situation ändern können oder nicht, erfahren wir uns innerlich aufgerichtet und nicht mehr ausgeliefert.
Wir wissen jetzt in der Tiefe, was für uns in dieser Situation wesentlich ist und fühlen die Kraft in uns, das auch nach außen hin zu bezeugen und dafür einzutreten. Da wir in diesem Augenblick unsere Selbstachtung wiedergefunden haben, fühlen wir in uns eine starke Basis, die uns niemand nehmen kann. Daher können Menschen, die in Verbindung mit ihrer Würde und ihrer inneren Wahrheit sind, mit großer Klarheit und Kraft eine Position öffentlich vertreten, ohne dabei verletzend zu sein oder andere ins Unrecht zu setzen.
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