Wenn eine Glocke geläutet wird, was hören wir dann? Die meisten Menschen hören eine »Glocke«. Und wenn wir draußen ein Geräusch hören, sagen wir wahrscheinlich, ein Auto oder ein Lastwagen fahre vorüber. Doch das ist es nicht, was wir hören. Wir hören bestimmte Geräusche, bestimmte Schwingungen, und der Geist bezeichnet diese dann sofort als »Glocke«, »Auto«, »Lastwagen« oder »Mensch«. Wir verwechseln die Konzepte des denkenden Geistes mit der Realität der direkten Erfahrung.
»Mein Knie schmerzt.« Wenn man eine Stunde lang sitzt, entsteht Schmerz, und dann schmerzt das Knie. Doch »Knie« ist ein geistiges Konzept. Es gibt keine Empfindung, die »Knie« oder »Rücken« oder »Muskel« heißt. Das ist es nicht, was wir fühlen. Wir fühlen Verspanntheit, Druck, Härte, Weichheit, Kitzeln. Diese Empfindungen erfahren wir. »Knie«, »Rücken« und »Muskel« sind allesamt Konzepte.
Doch warum ist das so wichtig? Zwischen unseren Vorstellungen und der Realität der Erfahrung müssen wir unterscheiden, wenn wir verstehen wollen, wohin das Üben führt, denn Konzepte verdecken, was wahr ist. Die Vorstellungen, die wir von Dingen haben, bleiben stets gleich. Die Namen, die wir Dingen geben, verändern sich nicht. Mein »Knie« schmerzte gestern, mein »Knie« schmerzt heute, und vermutlich wird es auch bei der nächsten Meditationssitzung wieder schmerzen. Doch verfestigen wir durch unser Konzept nicht nur die Vorstellung des »Knies«, als wäre es etwas mehr oder weniger Dauerhaftes; das Gefühl, daß es sich dabei um etwas Dauerhaftes oder Statisches handelt, macht es uns außerdem wesentlich leichter, uns damit als »Ich« oder »mein« zu identifizieren. Nun ist es nicht mehr nur ein »Knie«, das schmerzt, sondern es ist »mein Knie«.
Wenn wir jedoch zu dem vorstoßen, was tatsächlich geschieht, sehen wir, daß die Erfahrung sich in jedem Augenblick verändert. Dinge bleiben auch nicht zwei Augenblicke lang gleich. Was wir als »mein Knie« wahrnehmen, ist in der Wirklichkeit der direkten Erfahrung eine Menge sich von Augenblick zu Augenblick verändernder Empfindungen ohne jegliche Festigkeit oder Dauerhaftigkeit. Doch solange wir auf der Konzept-Ebene verweilen, können wir die flüchtige Natur der Phänomene weder sehen noch verstehen.
In der Meditation beginnen wir damit zu erforschen, was verborgen ist. Wir bewegen uns von der Ebene der Konzepte und Vorstellungen zur Ebene der direkten Erfahrung, ob es sich um den Bereich der Körperempfindungen handelt oder um Geschautes, Gehörtes, Gerochenes oder Geschmecktes. Wir beginnen, die Natur und den Prozeß der Gedanken und Emotionen zu erfahren, statt uns mit ihren Inhalten zu identifizieren. Wenn wir in jedem Augenblick bei dem sind, was wir erfahren, können wir Dinge entdecken, die vorher verborgen oder unverständlich waren.
Zunächst entdecken wir, daß alles veränderlich ist, daß alles, was wir bisher für fest, unveränderlich oder dauerhaft gehalten haben, sich in einem fließenden Zustand befindet. Nun wird manch einer sagen: »Ich weiß, daß alles unbeständig ist. Das ist keine besonders erschütternde Neuigkeit für mich.« Natürlich wissen wir das intellektuell, doch damit wissen wir es noch lange nicht in unserem tiefsten Inneren, »im Bauch«, wir verstehen es nicht von innen. Meditation ist ein Mittel, das uns hilft, uns der Wahrheit dieser Unbeständigkeit auf immer tieferen Ebenen zu öffnen. Jede Empfindung, jeder Gedanke, jedes Gefühl, jedes Geräusch, jeder Geschmack – alles, innen wie außen, befindet sich in einem Zustand ständiger Auflösung.
Wenn wir das sehen, wenn wir es wirklich wissen, dann löst dieses Verstehen das Festhalten-Wollen des Geistes auf, es löst unsere Anhaftungen auf. Haben Sie jemals an einem Gewässer versucht, eine Luftblase zu ergreifen, in der Hoffnung, sie festhalten zu können? Wahrscheinlich nicht, denn Sie wissen genau, daß es nur eine Luftblase ist, die entsteht und sich schon im nächsten Augenblick wieder auflöst. Mit allem anderen verhält es sich ähnlich. Es ist möglich, dies zu sehen, es auf eine tiefe, umfassende Weise zu erfahren. Wenn wir diese Klarheit der Sicht und des Verständnisses entwickeln, tendiert der Geist immer weniger zum Festhalten, weil wir sehen, daß nichts da ist, woran man sich festhalten könnte. Und wenn wir weniger stark anhaften, wenn wir weniger festhalten, gibt es auch weniger Leiden in unserem Leben.
Indem wir die Unbeständigkeit der Dinge erkennen, begreifen wir auch ihre grundlegende Ungesichertheit. Dinge sind insofern ungesichert oder unbefriedigend, als etwas, das sich ständig verändert, uns kein dauerhaftes Gefühl der Vollendung und Erfüllung zu geben vermag. Wenn wir dies tief in uns selbst erkennen, verlieren die Kräfte der Begierde und des Festhalten-Wollens ihre Macht über unseren Geist. Wir lernen loszulassen, wir lassen den unvermeidlichen Fluß des Wandels zu, statt zu versuchen, an etwas festzuhalten, weil wir denken, daß es uns für alle Zeiten glücklich machen würde.
Wir sehen die Unbeständigkeit, wir sehen die Unsicherheit. Und wir fangen an, das einzigartige Juwel der Erleuchtung des Buddha zu verstehen – die Einsicht in die Selbst-Losigkeit des gesamten Geist/Körper-Prozesses, die Erkenntnis, daß es niemanden »dahinter« gibt, dem all dies widerfährt. Es gibt niemanden, zu dem dieser Veränderungsprozeß gehört, es gibt keinen Eigentümer. Dies ist eine fast unmerkliche und zugleich radikale Transformation unserer gewohnten Art des Verstehens, die sich zu tiefem Wissen entwickelt, wenn wir von der Ebene der Konzepte auf die Ebene direkter Erfahrung übewechseln. Wenn wir auf sehr intuitive und integrierte Weise die essentielle Nicht-Wesenhaftigkeit, Leere und Selbst-Losigkeit der Phänomene verstehen, weicht allmählich jenes grundlegende Anhaften auf, das unser »Ich«-, »Selbst«- oder »mein«-Gefühl begründet, jene Konzepte, um die unser ganzes bisheriges Leben kreiste. Wir erkennen nun, daß dieses »Ich« eine Illusion ist, ein Konzept, das wir geschaffen haben, und integrieren allmählich die Möglichkeit größerer Freiheit in unser Leben.
Nur durch sorgfältige Aufmerksamkeit in jedem Augenblick gegenüber dem, was wahr ist, was tatsächlich da ist, nicht dem, was wir uns vorstellen, können wir in einer zutiefst transformierenden Weise die Unbeständigkeit, die Unsicherheit und die Selbst-Losigkeit erkennen, die alle unsere Erfahrungen bestimmen.
Anstrengung und Ziel
Doch wie sollen wir all dies bewerkstelligen? Wie können wir öffnen, was verschlossen ist, ins Gleichgewicht bringen, was reaktiv ist, erforschen, was verborgen ist? Welche Werkzeuge stehen uns dafür zur Verfügung? Zwei Qualitäten liegen an der Wurzel jedes Entwicklungsprozesses durch Meditation: Vollkommene Anstrengung und Vollkommene Zielsetzung. – Wir müssen uns anstrengen, um unseren Geist auf das Objekt als Ziel zu richten. Anstrengung und Zielgerichtetheit. Alles andere kommt von selbst. Wenn man sich anstrengt, den Geist genau auf das Ziel auszurichten, folgen Achtsamkeit, Ruhe, Gleichmut, Weisheit und Mitgefühl von selbst.
Nehmen wir an, wir sitzen und bemühen uns, den Geist auf den Atem zu richten, entweder auf die Empfindung, die beim Ein- und Ausatmen an der Nase entsteht, oder auf das Heben und Senken des Bauches. Wenn wir genug Mühe und Energie aufwenden und genügend auf unser Ziel ausgerichtet sind, verbinden wir uns mit den Empfindungen des Hebens und Senkens oder des Ein- und Ausatmens; wir werden achtsam gegenüber diesen spezifischen Empfindungen, und auf diese Weise wächst unsere Konzentration, und unser Verständnis gewinnt an Tiefe.
All dies ist am besten mit einem Gefühl der Leichtigkeit und Bereitwilligkeit zu erreichen, aus einem Interesse am Entdecken der Wahrheit. Wenn wir versuchen, aus Pflichtgefühl zu üben, wird der Geist oft rebellisch oder verbissen. Achtsamkeit hat nichts mit Verbissenheit zu tun, obgleich Meditierende vor allem zu Anfang beides manchmal verwechseln.
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