✳ Hast du in irgendeiner Hinsicht den Eindruck, dass andere Menschen dir deinen Raum nehmen? Woher kennst du das? Wie kannst du deinen Raum wieder ganz einnehmen?
✳ Falls du davor zurückzuckst: Wovor hast du Angst?
✳ Was wäre der erste mutige Schritt zu mehr eigenem Raum – in welcher Hinsicht auch immer?
Christinas Sichtweise:
Für mich ist es in meiner Beziehung zu Walter sehr wichtig, neben den gemeinsamen auch eigene Projekte zu haben. In früheren Partnerschaften habe ich meine Interessen einfach zu oft zurückgestellt. Das versuche ich heute zu vermeiden. Ich pflege daher bewusst meine Freundschaften, achte auf meine inneren Räume und erhalte ein stückweit ein eigenständiges Leben aufrecht.
Ich gebe zum Beispiel seit Anfang unserer Beziehung neben den Seminaren mit Walter parallel meine eigenen Seminare, mit meinen eigenen Inhalten. Ich treffe mich mit meinen Freundinnen und genieße es, die weibliche Energie um mich zu haben und mich damit zu nähren. Umso schöner ist es, Walter dann nach ein paar Tagen wieder zu begegnen und ihm von all dem zu erzählen, was ich inzwischen erlebt habe.
Diese Selbstständigkeit nährt mein Selbstwertgefühl. Ich weiß so immer, dass ich mein Leben im Zweifelsfall auch alleine bewältigen könnte – und genieße es dann umso mehr, einen so tollen Mann an meiner Seite zu haben. Ich bin so froh, dass wir heute diese Freiheiten haben und ich nicht mehr wie vielleicht noch in der Generation unserer Mütter und Großmütter fürchten muss, es würde vielleicht mit unserer Beziehung etwas nicht stimmen, nur weil Walter sich in sein eigenes Zimmer zurückzieht oder ich einen schönen Tag mit meiner Freundin verbringe.
Walters Sichtweise:
Meine Sehnsucht nach einem eigenen Raum zeigt sich gut an der Finca auf Fuerteventura, die ich mit meiner Ex-Frau zusammen gebaut habe. Im Haupthaus gab es zunächst nur das Schlafzimmer, ein Gästezimmer, ein Kinderzimmer und ein großes Wohnzimmer. In den Krisen, und davon gab es einige, habe ich immer versucht, mir einen eigenen Raum zu erschaffen, indem ich auf dem Grundstück ein kleines Häuschen baue. Mit dem Ergebnis, dass es heute vier weitere kleine Häuschen auf dem Gelände gibt. Gerade in den schwierigen Zeiten habe ich die dadurch entstandenen Freiräume sehr genossen. Natürlich löst der physische Raum nicht alle Probleme, doch er hat mir die Möglichkeit gegeben, zur Ruhe und damit wieder zu mir zu kommen
Viel wichtiger als ein eigenes Zimmer war es jedoch für mich, mir Raum zu nehmen, um das zu tun, was ich will. Surfen, Motorradfahren oder Klettern, ich habe immer etwas, was mich begeistert. Christina lässt mir meinen Raum und meine Freiheit, da sie weiß, wie viel mir meine Hobbys bedeuten. Da wir so viel gemeinsame Zeit mit unseren Seminaren und Vorträgen verbringen, ist für mich ein Wochenende allein mit mir eine große Erholung. Ich gehe dann alleine spazieren, bummele durch die Stadt oder fahre mit unserem Boot raus und brauche niemanden um mich herum. Auch in der Zeit, die ich mit meinen Freunden beim Klettern verbringe, tanke ich auf. Es ist für mich sehr wichtig, ab und zu nur mit Männern zusammen zu sein, da ich mit Christina sehr viel Zeit verbringe und auch auf unseren Seminaren die Teilnehmer zum größten Teil Frauen sind.
Wenn jeder von uns auch sein eigenes Ding macht, entsteht eine gesunde Pendelbewegung. Aufeinander zu und voneinander weg. So bleibt die Eigenständigkeit erhalten und es gibt immer etwas zu erzählen. Und solange nicht unser gemeinsamer Raum wegfällt, unterstützt es eher die Beziehung, als dass es ihr schadet.
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06. Chance: Wünsch dir was!
Weiß deine Partnerin eigentlich, was dir wichtig ist und was du dir wünschst? Viele Menschen tun sich schwer damit, ihren Liebsten zu sagen, was sie möchten. Viele sehnen sich nach einem Menschen, der sie wertschätzt und ihnen Aufmerksamkeit schenkt, doch das auch zum Ausdruck zu bringen ist oft nicht so einfach. Noch schwieriger wird es, wenn sie gar nicht genau wissen, was sie eigentlich möchten. Den meisten fällt es sehr viel leichter zu sagen, was sie nicht wollen als genau zu formulieren, was sie stattdessen gerne hätten.
Die persönliche Geschichte spielt dabei eine große Rolle. Wenn du zum Beispiel ein sehr strenges Elternhaus hattest oder deine Eltern sehr mit sich selbst beschäftigt waren und deine Meinung niemanden wirklich interessierte, hattest du wenig Gelegenheit, zu lernen, deine Wünsche klar und deutlich zu äußern. Menschen, die in der Kindheit bei Widerworten sogar geschlagen oder auf andere Art bestraft wurden, haben manchmal noch als Erwachsene schlichtweg Angst, zu ihren eigenen Interessen zu stehen. Gerade in unseren nahen Beziehungen werden wir oft von diesen uralten Erfahrungen beeinflusst.
Doch selbst Menschen, die keine traumatischen Kindheitserfahrungen gemacht haben, fürchten sich oft, ihre Wünsche klar zu äußern. Zu groß ist die Angst, der Partner könne sie für egoistisch halten, die Harmonie könne in Gefahr geraten oder die Liebe könne ihnen entzogen werden. Die eigenen Bedürfnisse auszudrücken und dazu zu stehen ist letztlich ein Ausdruck von Selbstliebe, und die fällt vielen Menschen schwer. Auch hier liegen die Ursachen meistens in der Kindheit. Da manchmal bis zu 70 % der Ansprache an ein Kind negativ oder korrigierend ist, glaubt das Kind dann irgendwann, dass mit ihm irgendwas nicht in Ordnung sein muss. Als Erwachsene agieren wir dann oft aus diesen unbewussten Überzeugungen heraus und träumen wie einst als Kind davon, dass unsere Umwelt unsere Bedürfnisse doch bitte einfach von alleine bemerken und erfüllen möge. In Coaching-Gesprächen hören wir immer wieder von Menschen, die tief enttäuscht sind, dass der Andere ihre Wünsche nicht erfüllt, obwohl diese im Coaching-Gespräch gerade zum ersten Mal wirklich hörbar geäußert wurden. Solche unausgesprochenen Erwartungen führen dann leicht zu Interpretationen wie „er sieht mich nicht“ oder „sie interessiert sich nicht für mich“. Ist ein Paar in dieser negativen Bewertungsschleife angekommen, kann jede Kleinigkeit als vermeintliches Desinteresse des Partners ausgelegt werden. Manche Menschen suchen sich dann lieber jemandem im Außen, der ihren Wünschen eher entgegenkommt, als das Thema mit dem Partner anzusprechen. Um langfristig in einer glücklichen Beziehung anzukommen, ist es jedoch notwendig, die alten Handlungs- und Denkmuster aus der Kindheit zu bemerken, zu verändern und mutig über die selbst erbauten Grenzen hinauszugehen.
Die Chance, mit deinen Wünschen gesehen zu werden, ist natürlich viel größer, wenn dein Gegenüber deine Ideen und Sehnsüchte auch kennt. Diese Offenheit macht Beziehungen sehr viel einfacher. Wenn ihr euch gemeinsam darauf verständigt, ehrlich und liebevoll anzusprechen, was euch wichtig ist, könnt ihr euch beide mehr entspannen. Je klarer ihr lernt, zu euch zu stehen und euch auszudrücken mit dem, was euch jeweils wichtig ist, desto eher werdet ihr gegenseitig geneigt sein, euch eure Wünsche zu erfüllen.
Und selbst, wenn eure Wünsche mal in entgegengesetzte Richtungen gehen, ist es gut, darum zu wissen. Sind es Dinge, bei denen ihr euch entspannt freie Hand lassen könnt? Oder geht es dabei um Grundsätzliches? Wenn sich einer die freie Liebe wünscht und mit vielen Partnern Sex haben möchte und der Andere sich auf eine monogame Beziehung verlassen will, dann geht es um grundsätzliche Werte und Ausrichtungen. Diese sind die Basis einer Partnerschaft und es ist unumgänglich, sich darüber zu unterhalten. Wenn das Fundament nicht stimmt, steht auch das Haus nicht sicher und fest.
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