• die Feuer der Habgier und des Hasses kühlt, um integer zu leben
• den Geist festigt und konzentriert, um durch seine Verwirrungen hindurchzusehen
• befreiende Erkenntnis entwickelt
Kurz, er lehrte Tugend, Achtsamkeit (auch Konzentration genannt) und Weisheit. Dies sind die drei Säulen der buddhistischen Praxis sowie die Quellen täglichen Wohlbefindens, psychologischen Wachstums und Erkenntnis.
Tugend bedeutet einfach, dass man seine Handlungen, Worte und Gedanken reguliert, um sich selber und anderen Nutzen statt Schaden zu verschaffen. In unserem Gehirn stützt sich Tugend auf die Top-Down-Kontrolle des präfrontalen Kortex (PFC); „präfrontal“ steht für die vordersten Regionen des Gehirns, eben hinter und über der Stirn, und Ihr „Kortex“ (nach dem lateinischen Wort „Cortex“ für „Rinde“) ist die äußere Schicht des Gehirns. Tugend ist auch auf Beruhigung durch das parasympathische Nervensystem nach dem Bottom-up-Verfahren und auf positive Emotionen aus dem limbischen System angewiesen. In Kapitel 5 werden Sie lernen, wie Sie mit dem Schaltkreis dieser Systeme arbeiten können. Weiterhin werden wir die Tugend im Rahmen von Beziehungen untersuchen, da sie dort am häufigsten in Frage gestellt wird, und dann auf dieser Grundlage aufbauen, um die Gehirnzustände Empathie, Güte und Liebe zu nähren (siehe Kapitel 8, 9 und 10).
Achtsamkeit beinhaltet die geschickte Nutzung der Aufmerksamkeit, die Sie auf Ihre innere und auf Ihre äußere Welt richten. Da Ihr Gehirn hauptsächlich von dem lernt, dem Sie Ihre Aufmerksamkeit widmen, ist Achtsamkeit die Tür zur Aufnahme guter Erfahrungen sowie dazu, sie zu einem Teil Ihrer selbst zu machen (das „Wie“ werden wir in Kapitel 4 erörtern). Wir werden Möglichkeiten, die Gehirnzustände zu aktivieren, die Achtsamkeit fördern – bis zum Punkt tiefer meditativer Versenkung –, in den Kapiteln 11 und 12 untersuchen.
Weisheit ist angewandte Vernunft, die man in zwei Schritten gewinnt. Als Erstes verstehen Sie, was hilft und was schadet – mit anderen Worten die Ursachen des Leidens und den Weg zu seinem Ende (dies ist der Schwerpunkt in Kapitel 2 und 3). Dann, auf der Basis dieses Verständnisses, lassen Sie die Dinge los, die schaden, und stärken die, die helfen (Kapitel 6 und 7). Als Folge davon fühlen Sie mit der Zeit eine größere Verbundenheit mit allem, eine größere Gelassenheit angesichts dessen, dass alles sich verändert und ein Ende hat, und eine größere Fähigkeit, Freude und Schmerz zu begegnen, ohne nach dem einen zu greifen und sich mit dem anderen herumzuquälen. In Kapitel 13 schließlich geht es um die vielleicht verführerischste und subtilste Herausforderung, der die Weisheit gegenübersteht: dem Gefühl, ein Selbst zu sein, das von der Welt getrennt und dieser ausgesetzt ist.
Regulation, Lernen und Selektion
Tugend, Achtsamkeit und Weisheit werden durch die drei grundlegenden Funktionen des Gehirns unterstützt: Regulation, Lernen und Selektion. Ihr Gehirn reguliert sich selber – und andere Körpersysteme – durch eine Kombination aus exzitatorischer und inhibitorischer Aktivität: grüne Lichter und rote Lichter. Es lernt durch das Bilden neuer und das Stärken oder Schwächen bereits bestehender Schaltkreise. Und es selektiert, was immer die Erfahrung es gelehrt hat wertzuschätzen; zum Beispiel kann selbst einem Regenwurm beigebracht werden, einen bestimmten Weg zu wählen, um einem Elektroschock zu entgehen.
Diese drei Funktionen – Regulation, Lernen und Selektion – arbeiten auf allen Ebenen des Nervensystems, angefangen beim komplizierten molekularen Tanz an der Spitze einer Synapse und bis hin zu der das gesamte Gehirn einbeziehenden Integration von Kontrolle, Kompetenz und Urteilsvermögen. Alle drei Funktionen sind an jeder wichtigen geistigen Aktivität beteiligt.
Gleichwohl korrespondiert jede Säule der Praxis ziemlich eng mit einer dieser grundlegenden neuronalen Funktionen. Die Tugend ist stark auf die Regulation angewiesen, um positive Neigungen zu stimulieren und negative zu hemmen. Achtsamkeit führt zu neuem Lernen – da Aufmerksamkeit neuronale Schaltkreise prägt – und sorgt dadurch, dass sie sich auf in der Vergangenheit Gelerntes stützt, für die Entwicklung eines stabileren und konzentrierteren Gewahrseins. Weisheit ist eine Sache des Treffens von Entscheidungen, wie der, geringere Freuden zugunsten größerer loszulassen. Dementsprechend ist die Entwicklung von Tugend, Achtsamkeit und Weisheit in Ihrem Geist auf eine Verbesserung der Regulation, des Lernens und der Selektion in Ihrem Gehirn angewiesen. Das Stärken der drei neuronalen Funktionen – wie dies geht, werden Sie auf den kommenden Seiten lernen – stützt folglich die Säulen der Praxis.
Den Geist neigen
Wenn Sie den Pfad des Erwachens einschlagen, beginnen Sie, wo immer Sie sind. Dann – mit der Zeit, mit Anstrengung und mit geschickten Mitteln – werden Tugend, Achtsamkeit und Weisheit allmählich stärker und Sie fühlen sich glücklicher und spüren mehr Liebe in sich. In einigen Traditionen wird dieser Prozess als Aufdeckung der wahren Natur beschrieben, die immer vorhanden war; in anderen spricht man von einer Transformation von Geist und Körper. Selbstverständlich stützen diese Aspekte des Pfades des Erwachens sich gegenseitig.
Einerseits ist Ihre wahre Natur ein Zufluchtsort und eine Ressource für die bisweilen schwierige Arbeit des psychologischen Wachstums und der spirituellen Praxis. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass die Menschen, die am allertiefsten in den Geist vorgedrungen sind – die Weisen und Heiligen einer jeden religiösen Tradition –, im Grunde alle dasselbe sagen: Unsere grundlegende Natur ist rein, bewusst, friedlich, strahlend, liebend und weise, und sie ist auf mysteriöse Arten und Weisen mit der eigentlichen Basis der Realität verbunden, welchen Namen wir dieser auch immer geben. Mag Ihre wahre Natur auch gegenwärtig hinter Stress und Sorge, Wut und unerfüllten Sehnsüchten verborgen liegen, so existiert sie doch weiterhin. Dies zu wissen, kann ein großer Trost sein.
Andererseits ist das Arbeiten mit dem Geist und dem Körper zur Förderung der Entwicklung dessen, was gesund ist – und zum Ausmerzen dessen, was es nicht ist –, bei jedem Weg zu psychologischem oder spirituellem Wachstum von zentraler Bedeutung. Auch wenn es bei der Praxis darum geht, die die wahre Natur verbergenden „Verdunkelungen zu beseitigen“ – um einen Ausdruck aus dem tibetischen Buddhismus zu verwenden –, ist deren Ausräumung doch ein fortschreitender Prozess der Übung, Reinigung und Transformation. Paradoxerweise braucht es Zeit, zu werden, was wir bereits sind.
In jedem Fall spiegeln diese Veränderungen im Geist – durch die eine dem Menschen inhärente Reinheit sichtbar gemacht und gesunde Eigenschaften kultiviert werden – Veränderungen im Gehirn wider. Durch das bessere Verständnis dessen, wie das Gehirn funktioniert und sich verändert – wie es emotional überwältigt wird oder in einen Zustand ruhiger Tugend einkehrt; wie es Ablenkbarkeit verursacht oder achtsame Aufmerksamkeit begünstigt; wie es schädliche oder weise Entscheidungen trifft –, können Sie eine größere Kontrolle über Ihr Gehirn und damit über Ihren Geist erlangen. Dies lässt die Entwicklung größeren Wohlbefindens, größerer Warmherzigkeit und größerer Einsicht einfacher und fruchtbarer werden und hilft Ihnen dabei, so weit Sie irgend können auf Ihrem eigenen Pfad des Erwachens voranzukommen.
Auf seiner eigenen Seite sein
Es ist ein genereller moralischer Grundsatz, dass unsere Pflicht, die Macht, die wir über jemanden haben, wohlwollend zu gebrauchen, umso größer ist, je mehr Macht wir über diesen Menschen haben. Nun, wer ist die eine Person auf der Welt, über die Sie die größte Macht haben? Es ist Ihr zukünftiges Selbst. Sie halten dieses Leben in Ihren Händen, und was daraus wird, hängt davon ab, wie Sie sich darum kümmern.
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