Die Klärung bringt dieses Verstehen mit sich, und dann wird euer Herz vollständig genährt. Aufgrund der Fülle im Herzen kann Liebe fließen. Das Herz ist vollständig zufrieden (contented) – das eigentliche (ultimate) „Essen und Trinken nach Herzenslust“ (to your heart’s content). Das Herz fließt über, das ist keine große Sache. Ihr denkt nicht darüber nach, es ist spontan und natürlich. Wenn ihr wahrhaft normale, gewöhnliche Menschen seid, euer Leben auf gesunde Weise lebt, dann könnt ihr nicht anders als lieben. Diese Liebe (lovingness) ist die Quelle und die Motivation für euer Handeln.
Ihr lebt in Freude und eure Beziehungen sind Liebe, weil ihr nicht auf eine Weise handelt, die trennt. Was zu Beginn als trübe, stumpf und schwer gesehen wurde, wird also hell, klar und zeitlos. Indem ihr die Persönlichkeit annehmt und versteht, indem ihr diesen Prozeß der Klärung durchmacht, lernt ihr, daß das Verstehen eurer selbst euch erlaubt, euch selbst zu lieben.
Was wir zu Beginn, und noch lange Zeit auf unserem Weg, als Persönlichkeit erfahren, ist eigentlich nichts anderes als die Seele. Die Persönlichkeit ist unsere Seele, aber unsere Seele, wie sie von vergangener Erfahrung geprägt und gestaltet wurde. Unsere vergangene Erfahrung gestaltet und formt unsere Erfahrung von uns selbst und von unserer bewußten und dynamischen Seele und verdunkelt ihre wahre Natur, indem sie als Rückstand in unserer wahren Natur bleibt. Diese Ablagerungen sind die Selbstbilder, die internalisierten Objektbeziehungen, die Reaktionen, die unterdrückten Gefühle, Erinnerungen und vielen Abwehrmechanismen, die wir benutzen, um uns zu schützen. Der Prozeß der Klärung ist im Grunde die Auflösung dieser Ablagerungen durch das Licht des Verstehens. Auf diese Weise enthüllt die Persönlichkeit sich selbst als die Seele, die sich auf Individuation hin entwickelt. Die Seele entwickelt sich zur Höchsten Unschätzbaren Perle (Supreme Pearl Beyond Price), die die Individuation von Sein (Being) ist. Dies ist die Verkörperung von Sein.
Sein und die Suche
Heute wenden wir uns einer Frage zu, die in Zusammenhang mit der Lehre Christi steht. Christus lehrte über die Beziehung von Liebe und Mitgefühl zum Frieden. Wir werden im Hinblick auf diese Lehre etwas Praktisches diskutieren: was ist das Liebevollste und Mitfühlendste, was man tun kann, um Frieden herzustellen, sowohl persönlich als auch universell? Wir können diese Lehre zusammenfassen, wenn wir sagen, daß das Liebevollste und Mitfühlendste, was man für Frieden tun kann, ist, absolut nichts zu tun. Wenn ich sage, nichts zu tun, dann meine ich nicht das, was man gewöhnlich für Nichtstun halten würde. Wir werden versuchen, eine viel grundlegendere Auffassung davon zu verstehen, was es heißt, nichts zu tun, und warum dies liebevoll und mitfühlend wäre und warum es zu Frieden führt.
Frieden ist die Abwesenheit von Leiden. Ein Grund für Leiden besteht darin, daß die meisten Menschen nicht Frieden suchen, sondern nach Lust streben. Frieden hat für die meisten Menschen nicht die erste Priorität, als Erstes kommt gewöhnlich die Lust. Deshalb streben die Leute nach Lust. Es ist nichts verkehrt daran, Lust zu wollen, und auch nicht an Lust an sich. Aber was zur Abwesenheit von Frieden führt, ist das Streben nach Lust, und zwar aus dem einfachen Grund, daß man beim Streben nach Lust davon ausgeht, daß Lust irgendwo anders ist, zu irgendeinem anderen Zeitpunkt zu finden ist, in einer anderen Situation, und nicht hier und jetzt. Das ist die Grundannahme des Strebens, nicht nur nach Lust, sondern nach irgendetwas, einschließlich nach Frieden. Wenn wir nach etwas streben, entfernen wir uns von Lust oder von Frieden oder von der Quelle von Lust und Frieden. Wenn ich also sage, man soll absolut nichts tun, dann meine ich damit, daß man nicht streben soll – nicht nach Lust streben oder Frieden oder Sicherheit oder Liebe oder überhaupt nach irgendetwas –, weil in der Aktivität des Strebens implizit ist, daß es etwas zu tun oder daß es irgendwohin zu gelangen gibt. Streben geht von der Annahme aus, daß es etwas zu finden gibt, daß irgendwohin zu gelangen ist, daß ein Ziel erreicht werden soll.
Es ist erstaunlich zu sehen, wie Massen von Menschen – fast alle – nach etwas suchen, daß da wäre, wenn sie nur aufhören würden zu suchen, und was nicht da sein kann, bevor sie mit Suchen aufhören. Menschen neigen dazu, zu glauben, daß sie erst finden müssen, was sie suchen, und daß sie dann aufhören. Die Wahrheit ist, daß es zu dem Finden nur kommen kann, wenn die Suche aufhört. Dies ist die Absurdität der meisten unserer Aktivitäten und Dinge, die wir tun – wir suchen etwas und gerade durch diesen Akt des Suchens entfernen wir uns von dem, was wir suchen. Diese Beobachtung gibt eine Perspektive wieder, die die meisten Menschen nicht teilen. Aus der konventionellen Perspektive klingt es absurd. Sogar Menschen, die dies aus ihrer eigenen Erfahrung wissen, bleiben nicht überzeugt genug, um ihr Verhalten im Hinblick auf das Suchen wirklich zu ändern. Sie glauben immer noch nicht, daß die Lust, der Friede und die Erfüllung jetzt genau hier sind.
All diese Qualitäten sind in eurem eigensten Sein: sie sind nicht etwas anderes oder irgendwo anders. Wer ihr eigentlich seid ist die Quelle, gerade eure Natur ist die Quelle der Lust, des Friedens und der Liebe – all dessen, wonach ihr normalerweise strebt. Gleich was ihr denkt, was ihr braucht, jede Sekunde eures Lebens, von Anfang bis Ende, nur ihr könnt diese Suche zur Erfüllung bringen. Wenn ihr Lust sucht, dann werdet ihr dazu neigen, nur Leiden hervorzurufen, früher oder später.
Dies bedeutet, daß alle anderen Dinge in unserem Leben – was man erreicht hat, Erfolg, Reichtümer, Berühmtheit, dieses oder jenes, was man bekommen hat – aus der Perspektive unserer wahren Natur bedeutungslos sind. Es ist alles notwendig; es ist notwendig, daß Menschen arbeiten, Geld verdienen und so weiter. Aber diese Dinge sind nur für das Überleben notwendig, sie bringen nicht Erfüllung oder Frieden, und oft verschaffen sie einem keine Freude. Es ist interessant, daß wir diese Wahrheit einfach dadurch erkennen können, daß wir die Welt unmittelbar um uns untersuchen, und im nächsten Augenblick verhalten wir uns dann so, als hätten wir nichts gesehen. Viele Menschen in der Welt haben genug Geld, genug Arbeit und genug Nahrungsmittel; sie haben Menschen, die sie wertschätzen und so weiter, aber wahrscheinlich sind neunundneunzig Prozent dieser Menschen unglücklich. Und doch sind wir immer noch nicht überzeugt. Wir glauben: „Ich werde zu dem einen Prozent gehören. Wenn ich bekomme, was ich will, dann bin ich glücklich.“
In Wirklichkeit sind die Menschen, die zu dem einen Prozent gehören, die Erfüllung finden, diejenigen, die sich nicht um jene Errungenschaften kümmern. Deshalb sind sie erfüllt. Es liegt nicht daran, daß sie erfolgreich sind oder daß sie etwas bekommen haben – Reichtum, gesellschaftliche Stellung, einen Liebhaber oder was auch immer. Glaubt nicht den Leuten, die im Fernsehen auftreten und ihre Erfolgsgeschichten erzählen und sagen, wie glücklich sie sind. Es ist nicht wahr. Man kann dies in ihrem Gesicht sehen. Sie haben eine Vorstellung im Kopf, daß sie glücklich sind: „Ich habe, was ich will, also muß ich glücklich sein, denn ich habe immer daran geglaubt, daß es so funktioniert.“ Manche Menschen lassen sich vielleicht davon täuschen, aber jeder, der wahre Erfüllung kennt, sieht, daß es nicht wahr ist. Wir sind vielleicht begeistert, wenn wir bekommen, was wir wollen, was uns eine Weile unsere Hoffnungen erhält. Wir glauben, daß andere Dinge folgen werden, die unser Glück vervollständigen, aber gewöhnlich finden wir heraus, daß das nicht wahr ist. Ich sage nicht, daß Erfolg, Reichtum oder gesellschaftliche Stellung an sich schlecht sind, ich sage, daß sie an sich leer sind. Alle Aktivitäten im Leben – alle Errungenschaften, alle Situationen und alle Beziehungen – sind leer, wenn man nicht da ist, wenn man nicht in ihnen präsent ist. Dies ist ein fundamentales Gesetz der menschlichen Natur.
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