Gesetzliche Regelungen, wie das Pflegezeitgesetz oder das Familienpflegezeitgesetz, die als Erleichterung für berufstätige pflegende Angehörige gedacht sind, werden ebenfalls nur vereinzelt angenommen. Um so größer ist mutmaßlich ein anderer Bereich der Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen, nämlich die sogenannte 24-Stunden-Pflege. Insbesondere Frauen aus Osteuropa üben hierzulande diese Arbeit aus. Ihre genaue Anzahl ist unbekannt, da viele in Schwarzarbeit tätig sind. Vorsichtige Schätzungen gehen von 115.000–300.000 Personen aus (Böning & Steffen 2014). Problematisch sind die prekären Arbeitsbedingungen und fehlende Qualitätskontrollen der Versorgung.
Ursachen der geringen Inanspruchnahme 
Der Nichtinanspruchnahme von Hilfen liegen verschiedene Ursachen zugrunde, wie Kostengründe, Informationsdefizite, Angebotslücken in einer Region oder Unzufriedenheit mit der Qualität von Leistungen (Rothgang & Müller 2018). Einer der wesentlichen Gründe kann darin gesehen werden, dass das vorhandene Angebot nicht der Hilfe entspricht, die Angehörige eigentlich benötigen oder erwarten. Immer noch steht bei vielen professionellen Akteuren die pflegebedürftige Person im Mittelpunkt, während die Bedürfnisse und Wünsche der Familien kaum wahrgenommen oder berücksichtigt werden. Zudem wird die bereits angesprochene Heterogenität der pflegenden Angehörigen bislang viel zu wenig in den Blick genommen.
Da die Nutzung von Entlastungsangeboten auch immer mit einem gewissen bürokratischen Aufwand sowie Organisations- und Koordinationsaufwand verbunden ist, müssen sie als hilfreich und zufriedenstellend empfunden werden. Externe Hilfe kann in den Augen von Angehörigen sogar eine zusätzliche Belastung darstellen, wenn beispielsweise die eingespielte Tagesroutine gestört wird oder Veränderungen der Wohnumgebung die Folge sind. Pflegende Angehörige nehmen Hilfe nur an, wenn sie ihnen eine echte Entlastung im Pflegealltag bringt (Büscher 2007). Ist dies nicht der Fall, werden sie versuchen, die »Störung« ihres Alltags durch professionelle Helfer so gering wie möglich zu halten.
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch die Ablehnung externer Hilfe durch die pflegebedürftige Person selbst sowie die generelle Zurückhaltung gegenüber Hilfeangeboten. Schneekloth und Wahl (2008, S. 235) sprechen von einer fehlenden Kultur des »Sichhelfenlassens«. Mitunter werden auch die eigenen Ressourcen überschätzt, insbesondere zu Beginn einer Pflegesituation, wenn der Umfang der Beanspruchung durch die häusliche Pflege noch nicht erfasst werden kann.

Gleichwohl wünschen sich pflegende Angehörige mehr Unterstützung. In einem von der Europäischen Union geförderten Projekt zur Untersuchung der Situation pflegender Angehöriger in sechs europäischen Ländern (EUROFAMCARE) wurde bereits vor etlichen Jahren deutlich, welche Unterstützung Angehörige vordringlich benötigen:
• Entlastung und Erholung,
• Information, Beratung und Training pflegerischer Fertigkeiten sowie
• Möglichkeiten der Aussprache
(Mestheneos & Triantafillou 2005).
Handlungsbedarf 
Will man das familiale Pflegepotenzial erhalten, müssen die Wünsche und Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen verstärkt Berücksichtigung finden. Handlungsbedarf – insbesondere für Kostenträger wie Kranken- und Pflegekassen – besteht insbesondere darin, zielgruppenspezifische Angebote der Unterstützung von pflegenden Angehörigen zu entwickeln. Zugleich muss der gesundheitlichen Situation der Angehörigen größere Aufmerksamkeit gewidmet werden und gesundheitsfördernde Angebote auf den Weg gebracht werden (Bohnet-Joschko 2020). Familien müssen ermutigt werden, Hilfen anzunehmen. Hier kann die professionelle Pflege mit ihrem unmittelbaren und intensiven Kontakt zu pflegebedürftigen Menschen und ihren Familien eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehört jedoch zuallererst ein verstärktes Bewusstsein für die Bedeutung einer familienorientierten Pflege – sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich (Friedemann & Köhlen 2017). Familienorientierte Pflege bedeutet:
• pflegende Angehörige wertzuschätzen,
• sie als Partner im Pflegegeschehen zu begreifen,
• ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erfassen und sie mit in den Pflegeprozess zu integrieren und
• sie als Experten ihrer Lebenssituation zu akzeptieren und zu respektieren.
Familienorientierung in der Pflege 
Familienorientierte Pflege bedeutet auch, Familien bei der Bewältigung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu unterstützen und – im Sinne von Primärprävention – zum Erhalt und zur Förderung der Gesundheit pflegender Angehöriger beizutragen.
Trotz aller gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen wird immer noch der weit überwiegende Teil pflegebedürftiger Personen zu Hause durch die Familie betreut. Die Versorgung eines Pflegebedürftigen stellt häufig eine große Herausforderung für die Angehörigen dar, insbesondere wenn die Last der Pflege auf einer einzigen Person ruht und diese sich ebenfalls im höheren Lebensalter befindet. Und dennoch: Viele Familien sind bereit, sich um ihre hilfe- und pflegebedürftigen Mitglieder zu kümmern. Sie wollen dies nicht nur zu Hause, sondern auch, wenn der Pflegebedürftige sich im Krankenhaus befindet oder in ein Altenheim übergesiedelt ist. Sie darin zu unterstützen, ist jetzt und zukünftig eine der vordringlichsten Aufgaben der professionellen Pflege in nahezu allen pflegerischen Settings.
2 Rechtliche Grundlagen der Angehörigenunterstützung
Maßnahmen der Angehörigenunterstützung, in Form von Information, Schulung oder Beratung, finden sich in verschiedenen Gesetzen, Regelwerken und Empfehlungen als Aufgabe der Pflege verankert: im Pflegeberufegesetz, im Pflegeversicherungs- und Krankenversicherungsgesetz oder in den Nationalen Expertenstandards in der Pflege. Anliegen dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die wichtigsten gesetzlichen und rechtlichen Regelungen zu geben. Wer sich weniger für diese – zugegebenermaßen etwas »trockene« – Materie interessiert, möge dieses Kapitel zunächst überschlagen und ggf. zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen.
Neuordnung der Ausbildung 
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