Hauptpflegeperson 
Im Durchschnitt sind in den Familien zwei Personen an der Betreuung eines pflegebedürftigen Menschen beteiligt, bei einem Drittel der Fälle ist es sogar nur eine Person (Gräßel & Behrndt 2018; Rothgang & Müller 2018). Hierin spiegelt sich die soziale Veränderung unserer Gesellschaft: Immer kleiner werdende Familien und die räumliche Trennung der Generationen führen dazu, dass die »Last der Pflege« sich auf eine Hauptpflegeperson konzentriert.
Die Hauptpflegeperson gehört in aller Regel zum engeren Kern der Familie. Bei verheirateten Pflegebedürftigen pflegt häufig der Ehepartner, bei verwitweten die Tochter oder der Sohn, bei pflegebedürftigen Kindern ist es die Mutter, die sich für das Pflegegeschehen zuständig zeigt. In etwa zwei Drittel aller Fälle ist die Hauptpflegeperson weiblich. Der Anteil der Männer nimmt seit einigen Jahren zu. Sie treten zumeist in Erscheinung, wenn es sich um die Pflege ihrer Ehefrau/Partnerin handelt.
Die meisten Hauptpflegepersonen befinden sich im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, das Durchschnittsalter beträgt 59 Jahre (ebd.). Damit pflegt gar nicht mehr unbedingt die so genannte »Sandwich-Generation«, also jene, die sowohl noch eigene, jüngere Kinder als auch die Eltern zu versorgen hat. Vielmehr findet Pflege hauptsächlich innerhalb der älteren Generation statt. Es sind in erster Linie Menschen in der »dritten Lebensphase«, die jene in der »vierten Lebensphase« pflegen (Schneekloth 2006, S. 408). Dementsprechend steht der größte Teil der pflegenden Angehörigen nicht (mehr) im Erwerbsleben. Allerdings sind es immerhin noch 30–40 % der Hauptpflegepersonen, die in mehr oder weniger großem Umfang einer Berufstätigkeit nachgehen und damit einer Mehrfachbelastung von Arbeit, Familie, Haushalt und Pflege unterliegen. Nicht wenige Angehörige reduzieren wegen der Pflege ihre Arbeitszeit oder müssen sie ganz aufgeben. Ein nicht unerheblicher Teil der Hauptpflegepersonen (ca. 10 %) ist übrigens älter als 80 Jahre. Dabei geht es in aller Regel um die Partnerpflege. Diese Pflegearrangements mit hochaltrigen Beteiligten werden – bezogen auf die Unterstützungsleistungen – viel zu wenig beachtet, obwohl sie ausgesprochen fragil sind und jederzeit zusammenbrechen können.
Pflege als Selbstverständlichkeit 
Die Übernahme der Pflege wird von den Familien und der Gesellschaft häufig als Selbstverständlichkeit betrachtet. Zentrale Motive sind Liebe und Zuneigung zur pflegebedürftigen Person, Vertrautheit und Familienzusammenhalt, aber auch Pflichtgefühl sowie der Wunsch, etwas zurückgeben zu wollen (Bestmann et al. 2014). Weitere Gründe liegen in religiösen Überzeugungen bzw. Wertvorstellungen oder finanziellen Erwägungen vor dem Hintergrund der hohen Kosten einer professionellen Versorgung. Eine Rolle spielen ferner die Erwartungen anderer, sowohl der übrigen Familienmitglieder oder Nachbarn als auch die des Pflegebedürftigen selbst. Ein Großteil der pflegebedürftigen Menschen lehnen es ab, von jemand anderem gepflegt zu werden (Rothgang & Müller 2018).
Häufiges Fehlen einer bewussten Entscheidung zur Übernahme der Pflege 
Eher selten wird der Entschluss zur Pflege bewusst gefällt, insbesondere wenn sich Pflegebedürftigkeit schleichend entwickelt. Geht es zunächst nur darum, häufiger als früher nach dem Rechten zu sehen oder Einkäufe zu erledigen, entwickelt sich allmählich ein immer umfassenderer Hilfebedarf bis hin zur Unterstützung beim Waschen, Anziehen oder Toilettengängen. Aber auch bei plötzlicher Pflegebedürftigkeit, z. B. bedingt durch einen Schlaganfall, ist die Übernahme der Pflege oftmals keine bewusste Entscheidung, vielmehr werden Angehörige mit der neuen Aufgabe förmlich überrumpelt. Unter Umständen liegt in dieser fehlenden Entscheidungsfreiheit bereits ein gewichtiger Faktor für die Schwere der empfundenen Belastung durch die Pflege.
1.2 Belastungen von pflegenden Angehörigen
Die Übernahme der Pflege einer nahestehenden Person geht für die Angehörigen mit zahlreichen Herausforderungen einher, die sowohl positiv als auch negativ empfunden werden können. Zahlreiche Untersuchungen zeigen auf, dass es sich bei den pflegenden Angehörigen um eine vulnerable Personengruppe handelt, die vielfältigen Belastungen ausgesetzt ist (u. a. Rothgang & Müller 2018; Gräßel & Behrndt 2016; Rothgang et al. 2015). Zu den hauptsächlichen Belastungsfaktoren gehören:
Belastungsfaktoren 
• Zeitliche Belastung: Die Versorgung eines Pflegebedürftigkeiten ist häufig ein Full-Time-Job: Durchschnittlich 37,5 Stunden pro Woche werden für Hilfe, Pflege und Betreuung aufgewendet (BMG 2011). Viele pflegende Angehörige stehen in permanenter Einsatzbereitschaft rund um die Uhr zur Verfügung. Äußerst belastend ist es, wenn regelmäßig die Nachtruhe gestört wird und die Zeit für eine nachhaltige Regeneration fehlt.
• Gesundheitliche Belastung: Da – wie bereits angesprochen – ein Großteil der Hauptpflegepersonen 50 Jahre und älter ist, liegen in vielen Fällen bereits eigene gesundheitliche Beschwerden vor. Pflegebedingt kommen u. U. physische und psychische Beschwerden wie Rückenschmerzen, Herz- und Magenbeschwerden, Schlafstörungen, Erschöpfung, Burnout und Depressionen hinzu. Pflegende Angehörige sind häufiger und länger krank als andere Menschen (Billinger 2011), so dass häusliche Pflege durchaus als Gesundheitsrisiko bezeichnet werden kann. Trotz dieser Erkenntnis gibt es bislang kaum gezielte Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung für pflegende Angehörige.
• Emotionale Belastung: Der körperliche und geistige Abbau eines Familienmitglieds ist für viele Angehörige schwer zu ertragen. Sich unausweichlich verschlechternde Krankheitszustände lösen Gefühle der Hilflosigkeit und Trauer aus. Besonders hoch ist die Belastung, wenn bei der pflegebedürftigen Person eine dementielle Erkrankung vorliegt und es zu Veränderungen der Persönlichkeit und einer zunehmenden Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten kommt. Sie erhöhen bei den betroffenen Angehörigen im Vergleich zu Angehörigen, die eine Person ohne dementielle Erkrankung pflegen, das Risiko für eigene psychosomatische Beschwerden (
Tab. 2).
• Soziale Belastung: Pflegende Angehörige haben oftmals wenig bis gar keine Zeit, um soziale Kontakte zu pflegen, Hobbys aktiv auszuüben oder gar Urlaub zu machen. Spontane Besuche bei Freunden sind nicht mehr möglich. Einladungen können nicht wahrgenommen werden, wenn niemand anderes zur Verfügung steht, der sich in dieser Zeit um die pflegebedürftige Person kümmert. Soziale Isolierung und Spannungen im Familienleben können die Folge sein.
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