Faktoren einer gelingenden Bewältigung 
Inwieweit pflegenden Angehörigen eine positive Bewältigung gelingt, hängt entscheidend von den Ressourcen und Fähigkeiten einer Person ab (Mischke 2012, S. 170):
Bedeutsame Ressourcen aus der Perspektive pflegender Angehöriger
• Eigenes Wohbefinden
• Pflegerechte Wohnsituation
• Soziale Netzwerke/Beziehungen im weiteren Bekanntenkreis
• Optimistische, positive Lebenseinstellung
• Das Gefühl, mit der Situation umgehen zu können
• Zeit haben für sich selbst
• Das Gefühl, eine gute Beziehung zur pflegebedürftigen Person zu haben
• Familienstabilität, Erleben eines familiären Zusammenhalts
• Das Gefühl, eine gute Pflegearbeit zu leisten
• Kenntnisse über Ursachen und Folgen der Erkrankung der pflegebedürftigen Person
• Die Unterstützung durch engagierte Pflegedienste
• Die Möglichkeit von Nähe und Distanz/Abstand zum Pflegebedürftigen
• Kontakte zu anderen pflegenden Angehörigen
• Finanzielle Mittel/Möglichkeiten
Professionell Pflegende, wie beispielweise ambulante Pflegedienste, können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Ressourcen zu fördern, beispielsweise durch Information, Schulung und Beratung sowie das Aufzeigen von Entlastungsmöglichkeiten.
Ohne die Belastungen der häuslichen Pflege negieren zu wollen, bleibt festzuhalten, dass es als durchaus bereichernd erlebt werden kann, sich um eine andere Person zu kümmern. Das Wissen darum, eine gute Pflege zu leisten und damit den Verbleib des pflegebedürftigen Familienmitglieds in der Häuslichkeit sicherzustellen, kann pflegende Angehörige berechtigterweise mit Stolz und Zufriedenheit erfüllen.
1.4 Notwendigkeit der Unterstützung pflegender Angehöriger
Erhalt der Tragfähigkeit des Familiensystems 
Insgesamt kann von einer hohen Bereitschaft der Familien ausgegangen werden, sich um ihre pflegebedürftigen Mitglieder zu kümmern. Sowohl die Angehörigen als auch die Betroffenen selbst bevorzugen den Verbleib in der häuslichen Umgebung (Gräßel & Behrndt 2016). Allerdings kann die Versorgung eines pflegebedürftigen Menschen auf Dauer nur durch ein tragfähiges und belastbares Familiensystem geleistet werden. Die Unterstützung pflegender Angehöriger ist notwendig, um:
• die eigene Gesundheit und die Lebensqualität der Angehörigen zu erhalten,
• familiale Pflegebereitschaft zu erhalten und zu fördern,
• Autonomie und Selbstbestimmung von Familien zu stärken,
• Eigenverantwortung der Familie im Umgang mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu fördern und
• eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgung der Pflegebedürftigen sicherzustellen und ihre Lebensqualität zu erhalten.
Eine Überlastung der Angehörigen kann negativen Einfluss auf die Art des Umgangs mit der pflegebedürftigen Person haben. Insbesondere bei der Pflege von Menschen mit Demenz besteht ein erhöhtes Risiko für »abusive behavior«, d. h. problematische Verhaltensweisen wie beispielsweise Vernachlässigung, verbale Aggressivität oder körperliche Gewalt (
Kap. 7.8).
Kostengründe 
Auch ökonomische Gründe spielen eine Rolle: Pflege in der Familie ist fast immer kostengünstiger als in einer stationären Pflegeeinrichtung, wo die Kosten für Pflege und Unterbringung durchschnittlich bei 1.891 Euro liegen (Statista 2021). Volkswirtschaftlich betrachtet, macht es also durchaus Sinn, Angehörige zu stützen und zu stärken, um den Verbleib von pflegebedürftigen Menschen in der Familie so lange wie möglich sicherzustellen.
Rückgang der professionellen Pflege 
Und noch ein weiterer Grund spricht für die Unterstützung pflegender Angehöriger: Die demografische Entwicklung mit der abnehmenden Zahl junger Menschen wird auch Auswirkungen auf die Beschäftigten in der Pflege haben. Professionell Pflegende werden in Zukunft nicht mehr in hinreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Bereits jetzt gestaltet sich beispielsweise die Personalgewinnung für stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen schwierig. Bei gleichzeitiger Zunahme der pflegebedürftigen Menschen zeichnet sich eine prekäre Entwicklung ab, die mehr denn je den Erhalt des Pflegepotenzials in der Familie erforderlich macht.
1.5 Unterstützungsmöglichkeiten und Inanspruchnahme
Inanspruchnahme von Hilfen 
Mit Inkrafttreten der Pflegeversicherung Mitte der 1990er Jahre wurden verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung von pflegenden Angehörigen auf den Weg gebracht. Dazu gehören Pflege- und Betreuungsangebote (ambulante Pflege, Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Betreuungsgruppen, Haushaltshilfe, betreuter Urlaub), Beratungsangebote (Pflegeberatungseinsätze, Einrichtung von Pflegestützpunkten und andere Beratungsstellen) sowie Schulungsangebote (Pflegekurse, häusliche Einzelschulungen). Für berufstätige Angehörige wurden das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz geschaffen. Unterstützung leisten ferner Selbsthilfegruppen und Angehörigengesprächskreise.
Allerdings nimmt trotz des erheblichen Belastungspotenzials der häuslichen Pflege nur ein vergleichsweiser geringer Teil der Angehörigen Hilfe in Anspruch. Eine BARMER-Versichertenbefragung aus 2018 kam zu folgenden Erkenntnissen:
• Lediglich ein knappes Drittel der Familien erhielt Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst in Form von Pflegesachleistungen oder Kombinationsleistungen.
• Leistungen der teilstationären Pflege (Tagespflege, Nachtpflege) wurden von knapp 4 % der anspruchsberechtigten Personen genutzt, wobei die Nachtpflege so gut wie gar nicht ins Gewicht fiel.
• Verhinderungspflege wurde von einem Drittel der Familien in Anspruch genommen, entweder durch einen ambulanten Pflegedienst oder eine andere Person.
• Kurzzeitpflege wurde von etwa 20 % der pflegebedürftigen Personen wahrgenommen.
• Betreuungs- und Haushaltshilfe nutzten 27 % der Pflegebedürftigen.
• Nur sehr wenige Familien nahmen niedrigschwellige Betreuungsgruppen oder betreute Urlaube in Anspruch.
• Ebenfalls im einstelligen Prozentbereich lagen die Inanspruchnahme eines Pflegekurses, einer häuslichen Einzelschulung oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe. (Rothgang & Müller 2018)
24-Stunden-Pflege 
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