Infolge dieser und anderer Erfahrungen wurde Michael – ein Anthropologe mit guten akademischen Qualifikationen – zu einem versierten Praktiker und Lehrer des Schamanismus. Er und seine Frau Sandra gründeten außerdem die Foundation for Shamanic Studies, eine Institution, die sich der Vermittlung schamanischer Methoden an interessierte Studenten und dem Angebot schamanischer Workshops für die Öffentlichkeit widmet. Michael hatte ein Buch mit dem Titel Der Weg des Schamanen geschrieben, in dem er verschiedene Methoden schamanischer Arbeit aus der ganzen Welt sammelte und sie für den Gebrauch in erfahrungsorientierten Workshops und in der schamanischen Ausbildung für Westler adaptierte (HARNER 1980).
Während unseres einmonatigen Workshops in Esalen führte uns Michael auf eine Heilreise mit der Methode des Geistkanus ( Spirit Canoe) , wie sie vom Stamm der Salish-Indianer im amerikanischen Nordwesten praktiziert wird. Er eröffnete die Sitzung, indem er auf seine Trommel schlug, und forderte die Teilnehmer auf, sich zu bewegen und zu tanzen, bis sie sich mit einem bestimmten Tier identifizierten. Es dauerte nicht lange, und schon bald kauerten die Menschen, krochen auf allen Vieren, sprangen herum und ahmten dabei zahlreiche Kletter-, Grab-, Greif-, Schwimm- und Flugbewegungen nach. Der Hauptraum im Großen Haus von Esalen war erfüllt von verschiedenen erkennbaren und nicht erkennbaren Tier- und Vogelstimmen.
Als alle die Verbindung zu einem bestimmten Tier hergestellt hatten, bat Michael die Gruppenmitglieder, sich in einer spindelförmigen Anordnung auf den Boden zu setzen, sodass ein imaginäres »Geistkanu« entstand. Dann fragte er, ob es eine Person gäbe, die Heilung benötige, und Christina meldete sich freiwillig. Michael stieg in das »Boot«, hielt seine Trommel, winkte Christina zu sich und wies sie an, sich hinzulegen. Als die Szenerie für die Heilreise bereit war, bat Michael uns, uns vorzustellen, wir seien eine Crew von Tieren, die mit einem Kanu in die Unterwelt fährt, um Christinas Krafttier zurückzuholen. Der spezifische Ort, den Michael für diese imaginäre Expedition wählte, war das System miteinander verbundener, mit heißem Wasser gefüllter unterirdischer Höhlen, das sich angeblich unter einem großen Teil Kaliforniens erstreckt. Der Eingang dazu war leicht zu finden, da dieses System die heißen Quellen von Esalen speist.
Als Kapitän dieses Geistkanus, erklärte Michael, würde er das Tempo des Paddelns durch den Schlag seiner Trommel vorgeben. Während der Fahrt würde er nach Krafttieren Ausschau halten. Wenn ein bestimmtes Krafttier dreimal auftauche, wäre dies das Zeichen dafür, dass er das gesuchte Tier gefunden hatte. An diesem Punkt würde er es packen und der Besatzung des Bootes durch das schnelle Schlagen der Trommel signalisieren, dass es Zeit für eine rasche Rückkehr war. Wir hatten das Salish-Geistkanu schon einige Male mit Michael gemacht. Beim ersten Mal gingen wir ohne große Erwartungen an die Sache heran. Das Ganze klang nach einem harmlosen Vergnügen – eine großartige Idee für ein Kinderspiel, aber eine eher alberne Aktivität für reife Erwachsene.
Doch schon das allererste Erlebnis mit dem Geistkanu brachte uns dazu, unsere Einstellung zu ändern. In der Gruppe befand sich eine junge Frau, die durch ihr Verhalten die gesamte Gruppe gegen sich aufgebracht hatte. Sie war darüber sehr unglücklich, denn das Gleiche war ihr schon früher in ihrem Leben in fast jeder Gruppe passiert, mit der sie zu tun hatte, und sie beschloss, sich freiwillig für die Geistkanufahrt zu melden, um geheilt zu werden. Als das imaginäre Boot durch die »Unterwelt« fuhr, reagierte sie genau in dem Moment sehr heftig, als Michael ihr signalisierte, dass er ihr Krafttier erkannt und eingefangen hatte. Plötzlich setzte sie sich auf, und während Michael mit schnellen Trommelschlägen das Signal zur Rückkehr gab, durchlief sie mehrere krampfartige Episoden von schwallartigem Erbrechen.
Während sie sich übergab, hob sie den vorderen Teil ihres Kleides, versuchte das, was aus ihrem Mund kam, aufzufangen, und füllte ihn vollständig mit ihrem Erbrochenen. Diese Episode, die kaum eine halbe Stunde dauerte, hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihre Persönlichkeit. Ihr Verhalten änderte sich so dramatisch, dass sie noch vor dem Ende des einmonatigen Workshops zu einer der beliebtesten Personen in der Gruppe wurde. Zusammen mit vergleichbaren späteren Vorkommnissen ließ uns das diesen Prozess mit Respekt angehen.
Michael begann zu trommeln, und die Reise in die Unterwelt begann. Wir alle paddelten und ahmten die Laute der Tiere nach, mit denen wir uns identifiziert hatten. Christina wurde von intensiven Krämpfen erfasst, die ihren ganzen Körper erschütterten. An und für sich war dies nicht ungewöhnlich, da sie sich mitten im Prozess des Kundalini-Erwachens befand, bei dem Erfahrungen von starken Energien und Zittern ( Kriya s) sehr häufig sind. Nach etwa zehn Minuten beschleunigte Michael den Rhythmus seiner Trommelschläge stark und ließ uns wissen, dass es ihm gelungen war, Christinas Krafttier zu finden. Alle begannen schnell zu paddeln und stellten sich eine rasche Rückkehr in die Mittlere Welt vor. Michael hörte auf zu trommeln und deutete an, dass die Reise beendet sei.
Er stellte die Trommel ab, presste seinen Mund auf Christinas Brustbein, blies mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, und machte dabei ein lautes Geräusch. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Dein Krafttier ist ein weißer Schwan.« Daraufhin forderte er sie auf, vor der Gruppe einen Tanz zu zeigen, der ihre Schwanenenergie zum Ausdruck brachte. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Michael keine Vorkenntnisse über Christinas inneren Prozess besaß und dass dieser Vogel bei ihren Erlebnissen am Tag zuvor eine wichtige Rolle gespielt hatte. Er hatte auch keine Ahnung, dass der Schwan ein sehr wichtiges persönliches Symbol für Christina war. Sie war eine glühende Verehrerin von Swāmī Muktananda und eine Schülerin des Siddha-Yoga, in dem der Schwan als Symbol für Brahma eine wichtige Rolle spielte.
Die Geschichte setzte sich am nächsten Morgen fort, als Christina und ich zu unserem Briefkasten am Highway 1 gingen, um unsere Post zu holen. Christina erhielt einen Brief von jemandem, der einige Monate zuvor an einem Workshop von uns teilgenommen hatte. Darin befand sich ein Foto von Christinas spirituellem Lehrer, Swāmī Muktananda, von dem der Absender dachte, dass es Christina interessieren könnte. Es zeigte ihn, wie er mit schelmischem Ausdruck auf einer Gartenschaukel neben einem großen Blumentopf in Form eines weißen Schwans saß. Der Zeigefinger seiner linken Hand zeigte auf den Schwan; die Spitzen seines rechten Daumens und seines Zeigefingers waren miteinander verbunden und bildeten das universelle Zeichen, das für einen Volltreffer und Begeisterung steht. Obwohl es zwischen Christinas inneren Erfahrungen, Michaels Wahl des weißen Schwans als ihr Krafttier und dem Foto von Muktananda keine kausalen Zusammenhänge gab, bildeten sie doch eindeutig ein bedeutungsvolles psychologisches Muster. Dieses erfüllte die Kriterien für Synchronizität oder ein »akausales Verbindungsprinzip«, wie es C. G. Jung definiert hat.
Im Zusammenhang mit einem unserer Ausbildungsmodule kam es zu noch bemerkenswerteren Ereignissen. Es wurde in einem wunderschönen Seminarzentrum namens Pocket Ranch in der Nähe von Healdsburg, Kalifornien, nördlich von San Francisco abgehalten. Das Zentrum befand sich in den Bergen, in einer Naturlandschaft, in der es von Wildtieren wie Hirschen, Kaninchen, Klapperschlangen, Waschbären, Stinktieren und verschiedensten Vögeln nur so wimmelte. Eine der Teilnehmerinnen hatte eine sehr kraftvolle und bedeutungsvolle Sitzung mit vielen schamanischen Motiven. Ein wesentlicher Teil davon war die Begegnung mit einem Virginia-Uhu; sie hatte das Gefühl, dass der Uhu ihr persönliches Krafttier geworden war.
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